Fall Maria H.
Nichts mehr zu verlieren – außer dem Mädchen
Im Mai verschwand die 13-jährige Maria aus Freiburg zusammen mit einem 53-Jährigen, den sie im Internet kennenlernte. Nun ist die Polizei dem Mann auf den Fersen, der "alles hinter sich ließ". Von Per Hinrichs
Polizeibeamte fanden das Fluchtfahrzeug schon am 13. Juli in Gorlice, Polen. Sie fanden den Schäferhund, mit dem die beiden auf der Flucht waren; er war angeleint an einem Gartenhäuschen in der Nähe der polnischen Stadt, Futter- und Wassertrog vor der Schnauze. Aber die Ermittler haben keine Spur von der 13-jährigen Maria Henselmann aus Freiburg, die seit dem 4. Mai 2013 mit dem 53-jährigen Bernhard Haase aus dem westfälischen Blomberg verschwunden ist. Die Polizei weiß weder, wo die beiden sind noch wie es dem Mädchen geht. Nur eines ist klar: Haase meint es bitterernst. "Er hat alles hinter sich gelassen", sagt Laura Riske von der Polizeidirektion Freiburg.
Zeugen haben das ungleiche Pärchen in Supermärkten in Polen gesehen, wie sie Lebensmittel einkauften. Mit dabei hatten die zwei Deutschen Wanderrucksäcke und Iso-Matten. Allerdings sah es nicht danach aus, als ob Maria gegen ihren Willen mit dem 40 Jahre älteren Mann unterwegs sei. "Wir gehen nicht von einer Entführung aus", sagt Riske.
Worum handelt es sich dann? Ist nicht davon auszugehen, dass Haase pädophil ist? Wer brennt hier mit wem durch? Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg wartet darauf, seine Zielfahnder loszuschicken, der Privatdetektiv Guido Weber ermittelt. "So einen Fall habe ich noch nie erlebt", sagt Weber, der selbst 22 Jahre bei der Kripo arbeitete und ehrenamtlich für die Familie tätig ist. Er selbst hat einiges herausgefunden und der Polizei mitgeteilt, will aber keine Details verraten. "Oberstes Ziel ist es, Maria zu finden und nach Hause zu bringen", sagt Weber.
Marias Mutter fleht ihre Tochter an
Doch dorthin will der pubertierende Teenager anscheinend auf keinen Fall zurück. Marias Mutter, Monika Beisler, hat auf Facebook eine Unterstützergruppe eingerichtet. Auf einer der Internetseite "Maria Suche" flehte Beisler ihre Tochter an, ein Lebenszeichen zu geben. Sie solle bitte ihren Kosenamen nennen, den sie als Baby bekommen habe, schreibt sie. "Nimm meine Hand... ich halte dich… dir wird nichts geschehen, du hast mein Ehrenwort. Bitte hab' Vertrauen!" schreibt die Mutter dort – vergebens. Auf keinen der Aufrufe ihrer Mutter ist die Tochter eingegangen.
Die Polizei sprach mit Freundinnen von Maria, sichtete Mails, Chatprotokolle, Festplatten. Kein Wort von Flucht, keine Rede vom Abhauen. Maria hielt dicht, auch ihren engsten Freundinnen gegenüber.
Schon 2012 lernte das Mädchen den Elektriker aus Blomberg in einem Internet-Chat kennen. Dort soll er sich als 14-Jähriger ausgegeben haben. Haase lebt nach einer Trennung bei seiner Mutter, er hat eine 24-jährige Stieftochter und war 2005 Landes-Schatzmeister bei den rechtsradikalen "Republikanern", eine Partei, die unter anderem "Lebenslänglich für Kinderschänder" fordert.
Nach Informationen der "Welt" hatte er die Flucht geplant. Haase soll mehrere tausend Euro Bargeld mit sich geführt haben; in seinem weißen Skoda Kombi fuhr er nach Freiburg und holte Maria ab. Der Einsatz einer EC- oder Kreditkarte hätte die Fahnder sofort auf die Spur geführt. Mit dabei: Sein weißer Schäferhund, dem er sogar eine eigene Internetseite gewidmet hat.
Von Freiburg über Sachsen nach Polen
Nach den Ermittlungen der Polizei flohen die beiden bald nach Sachsen. Haase soll Mitte Mai dort ein Auto-Kennzeichen aus Ludwigshafen gestohlen haben, da er von der Fahndung nach seinem Wagen wusste. Die erste heiße Spur ergab sich erst am 13. Juli, zweieinhalb Monaten nach dem Verschwinden des Mädchens. Da wurde das Auto in der Nähe der polnischen Grenzstadt Gorlice gefunden, offenbar aufgegeben.
Die Polizei untersuchte den Wagen und stellte fest, dass die beiden dort mehr oder weniger gewohnt und geschlafen haben. Im polnischen Radio fragte die Polizei nach Zeugen, die Maria und Haase gesehen hatten. Und es meldeten sich welche: In einer Gartenhütte bei Gorlice fanden Anwohner den Schäferhund. Auch ihn ließ Haase zurück – und damit die letzte Brücke in sein altes Leben, das nun in Trümmern hinter ihm liegt.
Der Job weg, die Mutter allein gelassen, das Auto aufgegeben, den Hund ausgesetzt, in der Tasche ein wenig Bargeld und im Schlepptau eine 13-Jährige, von der niemand weiß, wie lange sie noch durch die Weiten Polens wandern will. Die bange Frage für die Polizei ist, wie Haase reagiert, wenn Maria einfach wieder nach Hause möchte. Offenkundig hat der Mann, der nicht einschlägig vorbestraft ist und nicht als gewalttätig gilt, nichts mehr zu verlieren außer dem Mädchen.
So erklärt sich auch die restriktive Informationspolitik der Polizei: Die Tür sollte für beide solange wie möglich offen gehalten werden. Dass es dem Duo gelingen würde, über mehrere Monate komplett abzutauchen, hätte niemand für möglich gehalten. "Wir wissen nicht, wo sie sich jetzt aufhalten", sagt Polizeisprecherin Laura Riske. Möglicherweise ist es ein Offenbarungseid der Fahnder, die weder den Aufenthaltsort der beiden kennen noch ihre Beweggründe bei der Flucht vor Europas Polizei. Und wie es Maria, 13, aus Freiburg dabei geht.
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