09.08.13

Danny Boyle

"Mit 'Trance' will ich die Leute verführen"

Danny Boyle gehört zu den innovativsten Regisseuren des Kinos. Er hat so unterschiedliche Filme wie "Trainspotting" und "Slumdog Millionaire" gedreht. Ein Gespräch über Hypnose, Fußball und die Queen. Von


Hat jeden Grund zur Freude: Regisseur Danny Boyle bringt nach Erfolgsfilmen wie „Slumdog Millionaire“ und „Trainspotting“ jetzt sein neuestes Projekt, „Trance“, ins Kino
Foto: Getty Images Hat jeden Grund zur Freude: Regisseur Danny Boyle bringt nach Erfolgsfilmen wie "Slumdog Millionaire" und "Trainspotting" jetzt sein neuestes Projekt, "Trance", ins Kino

Danny Boyle gehört zu den innovativsten Regisseuren des angloamerikanischen Kinos. Er hat so unterschiedliche Filme wie "Trainspotting", "Slumdog Millionaire" oder "127 Hours" gedreht. Ein Gespräch über Hypnose, Fußball und die Queen.

Die Welt: Es gibt im heutigen Kino zwei Regisseure, die sich nie zu wiederholen scheinen: Steven Soderbergh und Danny Boyle. Nun scheint es, als würden wir einen verlieren.

Danny Boyle: Ach, Soderberghs Selbstpensionierung! Glauben Sie daran?

Die Welt: Nein.

Boyle: Er wird zurückkehren. Er sagt, er sei müde und wolle eine Auszeit nehmen. In gewisser Weise brauchst du für Kino die Energie der Jugend, heute mehr denn je. Er ist Anfang 50, ich bin Mitte 50. Aber ich fühle diesen Appetit fürs Geschichtenerzählen noch in mir. Wer ihn verliert und das spürt, sollte nicht in der Tretmühle weitermachen.

Die Welt: Hunger auf neue Geschichten oder auf neue Arten des Erzählens?

Boyle: Natürlich suchst du immer eine Geschichte, die dich packt. Es ist einer der Flüche meines Berufs, dass man nichts lesen kannst, ohne automatisch zu analysieren, ob sich das als Film eignen würde. Jeder Regisseur bringt eine eigene Ästhetik mit, aber du musst auch den Stil entdecken, den deine Geschichte mitbringt. Bei "Trance" haben wir versucht zu verführen, mit jeder Entscheidung in Sachen Design, Kostüme, Location, Musik oder Besetzung. Das Publikum sollte in eine Art Trance versetzt werden.

Die Welt: Im Grunde dreht sich "Trance" nicht um Gedächtnisverlust, sondern um Erinnerungsdiebstahl. Gibt es das?

Boyle: Einer der Gangster im Film sagt: "Amnesie ist völliger Quatsch", und er hat recht. Erinnerung wird nicht ausgelöscht, sondern verdrängt. Ich war bei Vorstellungen mit dem Hypnotiseur Darren Brown, und viele werfen ihm Täuschung vor; die Leute, die er auf die Bühne hole, seien Schauspieler. Ich weiß, dass das nicht der Fall ist. Ich habe mein ganzes Leben mit Schauspielern gearbeitet, und ich kann Ihnen sagen: Bei Brown wird nicht geschauspielert. Aber er betreibt am Anfang einige Spiele mit dem Publikum, was allen Spaß macht, in Wirklichkeit jedoch dazu dient, jenes Dutzend unter den Anwesenden zu identifizieren, das hypnoseanfällig sein könnte.

Die Welt: "Trance" bietet etwas sehr Seltenes: Man kann keine der Hauptfiguren ausloten, Empathie für sie entwickeln.

Boyle: Ja, nehmen Sie meine Hauptfigur, gespielt von James McAvoy. Er erzählt uns die Geschichte, ist witzig, scheint vernünftig. Dann bekommt er eins auf den Kopf – und plötzlich ändert er sich. Die Studioleute fragen immer, wer unser Empathieträger sein soll, und die Antwort bei "Trance" lautet: "Es könnte McAvoy sein, aber seien Sie sich dessen nicht zu sicher." Darin lag für mich das Vergnügen bei diesem Film, dass er den Empathieregeln nicht gehorcht. Für das Publikum ist es eine Herausforderung.

Die Welt: Erinnern Sie sich an Hitchcocks "Die rote Lola" mit seiner gefälschten Rückblende? Was hat er dafür damals Prügel bekommen! Aber Sie gehen mit "Trance" viel, viel weiter.

Boyle: Ich bin nicht der Erste. Denken Sie an Michel Gondrys "Vergiss mein nicht" und Christopher Nolans "Memento" oder "Inception". Die nennen alle Nicholas Roeg als Vorbild. So, wie van Gogh der erste Maler der menschlichen Psyche war, ist Roeg der Regisseur, der im Kino das assoziative, nicht lineare Erzählen eingeführt hat – und trotzdem ein Mainstream-Regisseur geblieben ist. Das ist die Herausforderung, der auch ich mich stelle.

Die Welt: Zuletzt haben Sie mit drei Bällen gleichzeitig jongliert: Da war der offizielle Olympiafilm "Isle of Wonders" für London, der Dreh zu "Trance" und "Frankenstein" fürs National Theatre.

Boyle: Als ich meinen letzten Film, "127 Stunden", beendet hatte, kam das Angebot für die Olympischen Spiele. Daran würde ich, das war mir klar, zwei Jahre arbeiten – aber mit einer Menge Pausen. Also war die Idee, im ersten Jahr in der Pause "Frankenstein" fürs Theater zu inszenieren und im zweiten "Trance" fürs Kino. Zwei Monate lang sah mein Wochenplan so aus, dass ich Olympiabesprechungen am Donnerstag und Freitag hatte und von Samstag bis Mittwoch an "Trance" drehte. Es sieht wie eine schwere Belastung aus, aber das eine hat das andere erleichtert. Das eine ist eine nationale Jubelarie, das andere ist ein Ausflug auf die dunkle Seite der menschlichen Psyche. Ich erinnere mich, wie ich in diesen Olympiameetings an "Trance" dachte. Da sitzt du dem Kulturminister gegenüber und denkst darüber nach, wie man diese Filmfigur erschießen könnte. Derartige Gedanken sind bei solchen Anlässen durchaus erquickend.

Die Welt: Vielleicht die einzige Art, solche Besprechungen zu überleben.

Boyle: Das Internationale Olympische Komitee ist wie ein Riesenkonzern. Deshalb fühlst du dich bei solchen Meetings wahrscheinlich wie in einem Treffen mit Coca-Cola-Funktionären.

Die Welt: Haben Sie Werbespots gedreht?

Boyle: Habe ich nicht. Würde ich auch nicht.

Die Welt: Fellini tat es. Wenders tut es.

Boyle: Die Kollegen tun das, um mit dem Geld ihre nächsten Filme zu finanzieren. Ich habe bisher das Glück gehabt, dass meine Filme genug Geld eingebracht haben. Ein Regisseur muss an das, was er tut, glauben. Nun, ich mag zwar BMWs, aber ich möchte nicht an sie glauben. Ich will, dass mein Film nach einem Budget von 100 Millionen aussieht, obwohl mir nur 20 zur Verfügung stehen. BMW hingegen würde mir die 100 Millionen geben, damit es nach 100 Millionen aussieht. Keine Herausforderung. Aber, um das auch zu sagen, BMW gehörte zu den Sponsoren der Olympischen Spiele, und sie gehörten zu den Guten.

Die Welt: Und wer waren die Bösen?

Boyle: Um das zu verraten, bin ich zu diskret. Aber ich kenne genug Hintergründe.

Die Welt: Zurück zu "Isle of Wonders": Wie können Sie als Schotte so viel Passion für Großbritannien aufbringen?

Boyle: Nun, ich bin sportverrückt, ein Fußball-Wahnsinniger …

Die Welt: Welche Mannschaft?

Boyle: Sie werden sie nicht kennen: der FC Bury, der leider immer am Ende der Ersten Liga herumkrebste und nun abgestiegen ist. Wenn ich in London nach meiner Mannschaft gefragt werde, sage ich allerdings Manchester United, denn dort ist jeder Arsenal- oder Chelsea-Fan, und so kann man hübsch mit ihnen streiten. Aber ich bin Sportfan, und ich lebe im East End von London, und diese Gegend ist durch die Spiele wieder belebt worden.

Die Welt: Gut und schön, aber was ist Ihr Land: Schottland oder Großbritannien?

Boyle: Ich glaube an uns als ein zukunftsorientiertes, fortschrittliches Land. Die Geschichte des Empire interessiert mich nicht wirklich, mir geht es um die Gegenwart. Großbritannien steht für mich für die Integration der verschiedensten Völker, und London ist ein Ort, wo Menschen die sein können, die sie sein wollen. Das wollte ich feiern, obwohl Briten sehr selbstkritisch sind, bis zum Zynismus.

Die Welt: Gut, ich nenne Ihnen nun drei Pfeiler der Britishness, und Sie sagen, welche Ihrer Meinung nach in 50 Jahren noch existieren sollten: die Monarchie, die BBC oder der National Health Service?

Boyle: Die Monarchie, glaube ich, wird durch ein gewähltes Staatsoberhaupt ersetzt worden sein. Der Druck auf die Monarchie ist für ihre Repräsentanten kaum ertragbar – obwohl die Queen ihn bewundernswert ausgehalten hat.

Die Welt: Stimmt es, dass Sie dem Buckingham-Palast zwei Optionen anboten, wer die Queen in "Isle of Wonders" darstellen sollte, entweder Helen Mirren oder ein gutes Gesichtsdouble?

Boyle: Wir haben ihnen die Geschichte geschickt und diese zwei Optionen, wie das Staatsoberhaupt darin vorkommen könnte. Dann kam das Antwortschreiben, in dem die Geschichte gutgeheißen, aber völlig überraschend eine andere Besetzung vorgeschlagen wurde: Die Queen würde gern selbst mitwirken. Mit anderen Worten: sich selbst spielen. Eine surreale Idee, auf die wir nie gekommen wären! Einzige Bedingung des Königshauses war, dass niemand davon erfahren durfte, selbst ihre Familie nicht. Ich bin ziemlich stolz darauf, dass wir es geschafft haben, das Geheimnis zu wahren.


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