Große Literatur und mittelmäßige Kakerlaken
25. August 2013
Was mich immer wieder erstaunt, ist diese überhebliche Kritik von Autoren an den Lesern, weil diese zu dumm sind, die richtigen Bücher zu kaufen. Das Ganze wird immer gerne in einer „die guten Jahre sind vorbei“-Rhetorik vorgetragen, ohne dass der Hinweis fehlen darf, dass man natürlich seinen Anteil am hohen Niveau dieser guten Jahre hatte.
Der letzte dieser „Ich war ja dabei“-Seufzer stammt von Sibylle Berg, die die Entlassung eines Literaturkritikers zum Anlass nimmt, den Zustand der Literatur in unserer Welt zu beklagen. Schlimmes gibt es zu berichten, der Leser-Pöbel schwingt sich dazu auf, nicht mehr nur zu kaufen, sondern auch seine Meinung zu kommunizieren. Das macht wütend, wer hat ihm das erlaubt? Und man sieht ja auch direkt, wo das hinführt, wenn die Literaturkritiker nicht mehr wie Fackelträger in der Dunkelheit den Weg leuchten. Kaum passt man auf den Leser nicht mehr auf, rennt er los und kauft sich Fantasybücher, SM-Romane und andere minderwertige Ware. Wo soll das noch enden?
Wichtig ist vor allem, in solchen Klageliedern keinen Zweifel daran zu lassen, dass man für den gemeinen Leser eine gehörige Portion Verachtung übrig hat. Diesem offenbar von Natur aus dummen Geschöpf, das gerade einmal gut genug ist, auf Anweisung durch den Kritiker das letzte Meisterwerk der Künstlerin zu kaufen und ansonsten bitte keine Ansprüche stellen soll. Wenn er sich nicht daran hält und sich selbst zu Wort meldet (wer hat ihm eigentlich erlaubt, auf Amazon zu kommentieren, woher nimmt er sich das Recht, ein Bücher-Blog zu betreiben?), soll er sich nicht wundern, wenn er das Ziel einer Publikumsbeschimpfung wird.
Viele Autoren sehen sich als atmendes Kunstwerk an, das man schon alleine aufgrund seiner bloßen Existenz zu bewundern hat. Für diese Leute ist es natürlich schwer zu ertragen, wenn der Leser immer mehr das Heft in die Hand nimmt, sich bei anderen Lesern informiert und sich trotz der Warnungen der Literaturkritiker (die haben verdammt noch einmal von der Pike auf gelernt, was gut und was schlecht ist!) nicht beirren lassen, unter anderem auch Feuchtgebiete zu kaufen oder Shades of Grey. Es sind die Leser, die Bücher kaufen und darum sind sie auch die besten Kritiker von Büchern.
Man kann dann natürlich immer noch versuchen, sich über die „mittelmäßigen Gehirne“ der Leser auszulassen, mit denen sie natürlich die Bücher, die Sibylle Bergs „Freunde sind“, nicht würdigen können und darum bei Amazon schlecht bewerten. Man kann sich aber auch fragen, ob wirklich nur im Schädel der bedrohten Literaturkritiker die Höchstleistungsgehirne zu finden sind, die Höchstleistungsliteratur honorieren können (und man kann sich übrigens auch hinsetzen, und im Amazon-Kommentarbereich einen eigenen Kommentar dazu verfassen, warum man das Buch, das einem Freund ist, gut findet).
Nein, Literatur ist kein Selbstzweck, sondern für den Leser da und dass es Autoren gibt, die dieser Tatsache in elitärer Verklemmtheit widersprechen, obwohl sie ihre Werke auch nicht exklusiv für die eigene Schreibtischschublade produzieren, ist der Stoff, aus dem diese Publikumsbeschimpfungen gemacht sind. Zum Fundament solcher selbstverliebten Untergangsprosa gehört auch die Einsicht, dass wir uns auf einer Einbahnstraße befinden, die uns immer weiter von der Hochkultur entfernt und in die Arme des Trash treibt. „Sie wissen schon: Die Stärksten überleben!“, schreibt Sibylle Berg resignierend dazu. Was schon alleine deswegen falsch ist, weil es evolutionär eben nicht „die Stärksten“ sind, die überleben, sondern die Anpassungsfähigsten. Womöglich gilt das ja auch für den Literaturbetrieb.
Gideon Böss twittert unter twitter.com/GideonBoess