Landtagswahl
Bayern ist und bleibt Deutschlands Musterstaat
Lange war der Süden das Armenhaus Deutschlands. Heute steht Bayern bei Wirtschaft, Finanzen und Bildung am besten da. Ein Grund ist die besondere bayerische Mischung aus Modernität und Konservatismus. Von Michael Stürmer
Bayerns Uhren gehen anders. So war es, so ist es, und so soll es, wenn es nach den Bayern geht, auch bleiben. Gute Zeiten oder schlechte Zeiten, die CSU inszeniert sich als Staatspartei, und die Bürger glauben es.
Ein einziges Mal in ihrer Geschichte hat die CDU im Adenauer-Jahr 1957 – "keine Experimente" – die absolute Mehrheit erreicht. Für die CSU ist alles unter 50 Prozent uneingestandene Niederlage. Koalitionen, im Bund unausweichlich, sind in Bayern Notbehelf.
So wird es wohl auch diesmal sein, wiewohl die Wähler mit der FDP in der Regierung nicht unzufrieden sind: Viele Bürgerliche gönnen der CSU – zu ländlich, zu katholisch, zu selbstzufrieden – den liberalen Widerspruch.
"Mir san mir", so versteht sich das Land, ohne falsche Scham und mit einer gesamtbayerischen Geschlossenheit, die bei genauer Betrachtung gar nicht existiert. Denn die Bayern zerfallen – wie Cäsars Gallien einst in drei – heute in sieben Teile.
Eine Identitätskrise lässt man sich nicht aufreden
Wehe dem Regierungschef, der das nicht auszugleichen weiß durch Geld, Zuwendung und Ministerposten. Wehe auch dem SPD-Gegenkandidaten, der sich zwischen Mittel-, Ober- und Unterfranken nicht auskennt, wie es dem unglückseligen Christian Ude jüngst passierte.
Eine Identitätskrise lässt man sich von niemandem aufreden, schon gar nicht aus dem hohen Norden der Republik. Das bleibt allenfalls den G'scherten in Münchner Redaktionsstuben vorbehalten, die man noch nie übermäßig geschätzt hat.
Wer das Wie und Warum und Wohin der Landtagswahl am Sonntag in drei Wochen ergründen will, der sollte nicht nur die zwischen Frankenwald und Voralpen gepflegten Dialekte und ihren Wortschatz gut verstehen. Er muss einen Sinn für Geschichte mitbringen und das lange Gedächtnis der Bayern, der Franken und der Schwaben zu würdigen wissen.
Zuletzt und vor allem aber muss er die altgewohnte Äquilibristik bayerischer Staatskunst begreifen: Da geht es nicht allein um Posten und Pöstchen, sondern um Investitionen, Krankenhäuser, Kunst und Wissenschaft, Ausstellungen und Inszenierungen.
Alte Kränkungen werden nicht vergessen
Nach außen tun die Weiß-Blauen, mit Schillers Eidgenossen zu reden, wie ein "einig Volk von Brüdern" – nach innen aber sind sie eifersüchtig, auf jeden Vorteil bedacht, Gerechtigkeit und Ausgleich verlangend und ohne Neigung, alte und älteste Kränkungen zu vergessen.
Man frage einmal in Nürnberg, was denn mit den dürerschen Apostelbildern geschehen ist vor knapp vier Jahrhunderten, oder in einem oberschwäbischen Kloster, was denn vom Grafen Montgelas zu halten sei: Bei der Nennung des Namens wird sich die fromme Schwester bekreuzigen.
Zu nah ist die Erinnerung, wie die bayerischen Soldaten, als Kaiser und Reich vor zwei Jahrhunderten kassiert wurden, in den neuen Provinzen gehaust, das Kirchengerät geplündert, die Bibliotheken zerfleddert und die Mönche und Nonnen aufs Altenteil gesetzt haben. Da ist Wiedergutmachung fällig, und kein Federfuchser im Finanzministerium wird es wagen, alte Kränkungen durch neue wachzurufen.
Bayern misstrauen ihrer Landeshauptstadt München
Worin sich die meisten Bewohner zwischen den weiß-blauen Grenzpfählen indessen einig sind, ist die neidvoll gepflegte Abneigung gegen die immer und zu allen Zeiten bevorzugte Landeshauptstadt: teuer, reich, geputzt, zentralistisch, besserwisserisch, regiert von Juristen, die meisten aus dem Finanzministerium und Produkte des elitären "Kronprinzenlehrgangs".
Während in Nürnberg mancherlei Verkehrshinweise und Beweisstücke insistierend an die "Stadt der Reichsparteitage" erinnern, muss man in München schon viel Mühe auf die Spurensuche wenden. Die Nazis und Obernazis haben sich, so könnte man glauben, im Nirgendwo aufgehalten und ihre Verbrechen ausgeheckt. Das Braun der Vergangenheit, ob Franken oder Oberbayern, ist übertüncht – keine Störung des guten Gewissens.
Der Freistaat im Süden hat, auch wenn bei staatlichen Anlässen die Bayernhymne zur Sicherheit immer gedruckt auf den Stühlen liegt, Stolz und Selbstbewusstsein eigener Art: Die heutige Formel "Laptop und Lederhose" galt sinngemäß schon unter Franz Josef Strauß, der die bayerischen Widersprüche versöhnte.
Viele wären gern ein unabhängiges Land
Gemeint sind auf der gemütvollen Seite Traditionsbewusstsein, Brauchtumspflege, die Wies'n in München im September mit dem "Oazapft iis!" des Oberbürgermeisters und die Bergkirchweih im Norden in Erlangen im Mai.
Auf der anderen, der ingenieurmäßigen Seite, finden sich in und um München die größte Ansammlung von Forschungsinstituten internationalen Ranges in Deutschland, exzellenz-zertifizierte Universitäten und dazu, mittelständisch und großindustriell, national und international vernetzt, Maschinenbau, Flugzeugbau und Automobilbau vom Feinsten: jedenfalls genug, um gelegentlich zu träumen.
In Festreden, wenn Frankenwein die Seelen hebt und Bier die Bremsen löst, kommt kühnen Rednern mitunter der Gedanke, man könnte, unabhängig, zu den stärksten Staaten in Europa gehören, wenn nicht Gewohnheit, Grundgesetz und die Schwerkraft im Wege stünden.
Doch Granteln auf hohem Niveau bedeutet noch lange nicht, das Unterste zuoberst zu stürzen. Der bayerische Löwe raunzt und lässt es dabei bewenden.
Bayern ist unter den Bundesländern am meisten Staat
Lange Zeit Armenhaus Deutschlands, fernab der Kohle, der Seehäfen und der Schwerindustrie, ist Bayern seit vier Jahrzehnten – wenn auch nicht ohne Zorn, Gutachten eminenter Staatsjuristen und Gang nach Karlsruhe – Netto-Wohltäter im Girosammelverkehr der Bundesländer.
Doch die Empfänger bayerischer Milliarden zeigen weder Dankbarkeit noch Reue, und so wird es auch in Zukunft sein. Staatsregierung und Staatspartei können dann weiter zeigen, ob Schuldenabbau oder Bevölkerungszuzug, wie musterhaft es im Freistaat zugeht.
Bayern ist unter den Bundesländern am meisten Staat. Konservatismus ist Lebensform, wenngleich die revolutionäre Prägung des Freistaats unübersehbar ist. Am Anfang war Wittelsbach, dann aber kam Napoleon, mit ihm der Münchner Zentralismus über sieben Departements, der Steuer- und Beamtenstaat, zentrale Prüfungen in Schule und Universität.
Den Wittelsbachern hat man längst verziehen. Napoleon aber und sein Erbe teilen die Geister bis heute. Ernste Überraschungen? Nicht am 15. September.
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