04.08.13

Wacken, Tag drei

Absolut Wacken – Es ist gut, böse zu sein

Rammstein hatten Heino dabei, Motörhead haben eine halbe Stunde durchgehalten. In Wacken ging am Samstagabend das größte Metalfest der Welt zu Ende. Die Abschlussakte aus dem Schwermetaller-Tagebuch. Von

Wacken, wie es singt und lacht
Foto: dpa

Heimspiel: die Band Motörhead bei ihrem kurzen Auftritt in Wacken. Kurz darauf musste Lemmy (r.) mit gesundheitlichen Problemen die Bühne verlassen.

Foto: REUTERS

Das Festival geht weiter: ein besorgter Fan von Motörhead am Morgen nach dem Kurzkonzert

Foto: dpa

Seit dreißig Jahren steht die deutsche Sängerin Doro Pesch (M.) auf den Rockbühnen in aller Welt. In Wacken hat sie auch diesmal nicht gefehlt.

Foto: dpa

Wacken 2013, wie die Sonne es sah.

21.15 Uhr. Party Stage. Dass das Wacken Open Air eine Zukunft haben kann, nicht nur als hochgetunte Gelddruckmaschine, sondern als Szeneereignis, beweist der Auftritt von Candlemass. Die schwedischen Doom-Prälaten zelebrieren weihevollen, epischen Schlaghosen-Metal wie er im Ersten Buch Ronnie James Dio steht: bleischuhbeschwerte Tiefsee-Riffs untermalen einen himmelhochjauchzenden Faunengesang, dessen dunkle Wortwälder von Wasserhexen, Geisterkönigen und anderen mythischen Figuren bevölkert sind, die sich in den Facetten zauberkräftigen Christallkugeln spiegeln. Realitätsflucht Galore!

Und ja, es ist ein erhebendes Gefühl, mit einem bierseligen Japaner und einem frenetischen Finnen Arm in Arm unterm schimmernden Sternenzelt einen kerzenlichtflackernden Melodic-Metal-Choral wie "Solitude" zu singen. Auch das gibt es in Wacken. Immer noch.

Alice Cooper ist passend gekleidet

21.00 Uhr. Black Stage. "Hello! Hooray! Let the show begin!", singt Alice Cooper. Den kennen hier wirklich alle, seit "School's Out" und "Poison". Seine Mundwinkel hat er wieder mit Maskara nach unten gezogen. Rotgestreifter Frack, Chapeau Claque, wirres Haar: Der Altmeister des Geisterbahn-Rocks ist die vollkommene Synthese aus Zirkusdirektor und Hexendoktor.

Passender könnte der Veteran des vergnüglichen Schocks nicht ausstaffiert sein, für dieses Festival mit all seinen Widersprüchen. Grundehrliche Arbeit am Rock, Kommerz und kindliche Freude an Mummenschanz und Budenzauber. In seiner fast 50-jährigen Karriere hat es Vincent Damon Furnier verstanden, diese Aspekte seines Schaffens wie kein Zweiter auszubalancieren und miteinander zu versöhnen.

Den Leuten eine Freude und dabei einen Haufen Geld zu machen, ohne je unglaubwürdig zu werden. Das sind die Grundlagen jedes erfolgreichen Schaugeschäfts. Fehlt eine, der Zauber verflöge sofort. In Wacken sollten sie beginnen, darüber nachzudenken.

Katastrophentouristen in Bademänteln

18.30 Uhr. Black Stage. Schlamm, Hitze, Staub, Herden angetrunkener vollschlanker Männer in Motto-Party-Outfits (beliebt sind Bademäntel oder T-Shirts in Orange, von denen der Brandt-Zwieback) und sonstige Katastrophentouristen, die mal feiern wollen wie echte Metal-Fans, aber Scott Ian nicht von Anthony Kiedis unterscheiden können, noch mehr Schlamm und Santiano. Auch auf dem 24. Wacken Open Air hatte der musikaffine Besucher wieder so einige Härten hinzunehmen.

Doch jetzt lässt Glenn Danzig im Zeichen des gehörnten Schädels den "Hammer Of The Gods" auf Wackens uringetränkte Felder herabsausen (Für die Zwieback-Zuschauer: Nein, nicht der Wacken-Kuhschädel ist gemeint, sondern der mit den Vampirzähnen, welcher der Band da oben als Maskottchen dient). Krawummm!

Es ist gut, böse zu sein

Weiter geht es mit "Dirty Black Summer". Mit boshafter Elvis-Stimme und schinkendicken Armen macht dieser 1,60 Meter kleine Bruder von Mr. Hyde wieder einmal klar, warum es gut ist, böse zu sein. Und stark: Man könnte jeden Blasmusiker, der "Ace Of Spades" spielt mit seiner eigenen Posaune erdrosseln. Eine Fähigkeit, die besonders auf dem WOA eigentlich überlebensnotwendig wäre.

Doch es wird noch besser: Mit baumelnder "Devillock" stapft plötzlich Paul Doyle Caiafa, alias Wolfgang von Frankenstein, aus der Kulisse und gemeinsam metzeln sich die beiden ehemaligen Misftis-Spießgesellen durch ein Best-Of-Kabinett des Horrorpunk: "Death Comes Ripping", "Vampira", "Skulls", "Last Caress", "Die, Die My Darling".

Bei jedem Saitenanschlag kriechen die gewaltigen Muskelpakete unter Doyles Haut bedrohlich dahin wie Alligatorenkinder. Der 48-Jährige muss die letzten Jahre entweder im Kälteschlaf verbracht haben, oder er wohnt in einem Fitnessstudio.

Wie dem auch sei, fünf Minuten und zwanzig Misfits-Songs später erscheint die bunte Wacken-Welt wieder ein wenig besser. Will sagen: schwärzer.

Und das war vorher los:

16.00 Uhr. An der Hauptbühne. Wenigstens hier wurde man während der vergangenen drei Tage ungestört mit schwermetallischer Kost versorgt. Wenn man auf dem Weg dorthin bloß nicht immer erst an der Wackinger Bühne und dann an der Beer Garden Stage vorbei müsste. Hier spielen ununterbrochen alle möglichen (und unmöglichen) Blas-, Schlager-, Mittelalter-, Dreh- oder Heimorgel-Kapellen und andere musikalische Monstrositäten. Am liebsten "Ace Of Spades".

Der Klassiker von Motörhead war schon als Bluegrass-, Blechblas-, Holzblas- und Schalmaien-Version zu hören. Nur nicht im Original. Weil Lemmy, gezeichnet von 50 Jahren Rock und 40 Grad Hitze, seinen Auftritt vorzeitig abbrechen musste. Doch so lange die Geldmaschine WOA wie geschmiert läuft, werden Jensen und Hübner wohl nicht zu ihren Wurzeln zurückkehren: Ein Festival von Fans für Fans – und nicht von Pappe.

15.00 Uhr. Das Bild ist bezeichnend: Da stehen Thomas Jensen und Holger Hübner, die beiden Gründer des Wacken Open Air, als Pappkameraden mit E-Gitarren in den Händen, umgeben von einer Blaskapelle. An mehreren Stellen auf dem etwa 300 Fußballfelder großen Gelände können sich Festivaltouristen davor fotografieren lassen. Wie mit Comicfiguren in einem Vergnügungspark. Statt "I Love Paris"-Hemden, auf denen das Wort Liebe durch ein Herz ersetzt ist, und statt Hüten mit Entenschnäbeln daran, tragen sie schwarze Shirts mit dem Stierschädel-Logo der Mammutveranstaltung und Wikingerhelme mit angeklebten Zöpfen.

In der Bullhead City-Arena gehen beim Wrestling, dem amerikanischen Schauringen, derweil ein um die Hüfte recht wabbeliger Nordmann in Kriegsbemalung namens Heimo und ein insgesamt wabbeliger ukrainischer Riese gespielt bösartig aufeinander los. Dazu läuft "Iron Man" von Black Sabbath. Es geht um Ironie, nicht um Eisen. Immerhin sind Heimos Haare echt.

Eisern sei höchstens der Wille, den man braucht, um solche albernen Spektakel über sich ergehen zu lassen. Dass ein sogenannter Moderator das unbeteiligt wirkende Publikum ständig mit penetranten Rufen wie "Auf die Fresse!" zu animieren versucht, macht die Herausforderung noch größer.

Schalmeien spielen Motörhead

Bon Scott im Himmel, lasse glühendes Metall herabregnen! Auf dass dieses unwürdige Schauspiel enden möge! Ständig spricht eine innere Stimme. Sie klingt hoch, aber bestimmt. Wie das Falsetto von Rob Halford. Nichts tut sich. Scott schläft wohl gerade, im Rausch der ewig Glückseligen.

Die Favoriten unseres Homepage-Teams

Leserkommentare 2 Kommentare
Leserkommentare sind ausgeblendet.
Kommentare einblenden
Datenschutz Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen, insbesondere darüber, ob und wie personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden, finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen
Moderation Die Moderation der Kommentare liegt allein bei DIE WELT. Allgemein gilt: Kritische Kommentare und Diskussionen sind willkommen, Beschimpfungen / Beleidigungen hingegen werden entfernt. Wie wir moderieren, erklären wir in der Nutzungsbedingungen.
blog comments powered by Disqus

KULTUR - AKTUELLE NACHRICHTEN

Musik-Empfehlungen