18.08.13

Broadway-Musical

Eigentlich waren die Beatles fett, faul und feige

Im Musical "Let It Be", zu sehen in New York, erobern die Beatles zum zweiten Mal Amerika. Die Erkenntnis einer grandiosen Show: Hier zeigen geklonte Beatles den realen Beatles, wie es geht. Von


James Fox, John Brosnan und Reuven Gershon (von links) machen das möglich, worauf junge und alte Fans lange gewartet haben: Mit ihrem Musical „Let it Be“ holen sie den Hype der Beatlemanina aus den 60er-Jahren in die Gegenwart – und nach Amerika
Foto: REUTERS James Fox, John Brosnan und Reuven Gershon (von links) machen das möglich, worauf junge und alte Fans lange gewartet haben: Mit ihrem Musical "Let it Be" holen sie den Hype der Beatlemanina aus den 60er-Jahren in die Gegenwart – und nach Amerika

Vom liverpoolgefärbten Einzählen Pauls McCartneys zu einem furiosen "I Saw Her Standing There" bis zum letzten vom Publikum selig mitgeschunkelten Na-Na-Na-Na-Chorus von "Hey Jude" dreißig Songs später kann sich "Let It Be: A Celebration Of The Music Of The Beatles" nicht entscheiden, ob es die schöne Leich der besten Rock'n'Roll-Band der Geschichte fleddert.

Oder ihr durch perfekte Imitation schmeichelt, das heißt Wimpern anklebt und Rouge aufträgt gegen die Totenblässe. Das wohltuende ist, die Show muss sich gar nicht entscheiden. Das übernimmt jeder Einzelne je nach Jahrgang im St. James Theatre am New Yorker Broadway.

Wer dreißig ist und jünger, sieht zwei Stunden die Live-Fassung eines Youtube-Videos von dem Songkanon, den die Eltern seit der Wiege lehrten. Er erwartet notengetreue Kopien und wird nicht enttäuscht. Wer an die sechzig ist und älter, hört das Konzert, das die Welt nie gehört hat, weil es die Beatles nie gegeben haben.

Den Älteren jagt der Gedanke, die Band hätte noch in den Siebzigerjahren live gespielt Schauer des entzückten Entsetzens über den Rücken. Sie können die Perfektion der Broadway-Beatles bis zu dem Spätwerk, das die Beatles nicht wagten, live zu spielen und singen zu können, weil sie sich nicht mehr hören konnten in dem Stadienzirkus, schier nicht fassen.

Der Mythos der Beatles gehört der Welt

Ihre Musik hat immer gelebt. Es gibt wohl wenige Länder auf der Welt (Nordkorea? Iran?), in dem nicht Beatles-Revival-Bands ihr gutes Werk tun. Oder ihr Unwesen treiben. In New York wird eine Band reanimiert, die am 29. August 1966 im Baseballstadion Candlestick Park zu San Francisco ihren letzten Gig gegen Eintritt spielte. Und am 30. Januar 1969 auf dem Apple Buildung in London für genau 42 Minuten das letzte Mal öffentlich zusammen musizierte.

Graham Alexander, John Brosnan, Ryan Coath und Chris McBurney beweisen, was wir immer geahnt haben: Dass Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr feige waren und fett und faul und es viel zu früh sein ließen.

Das Auseinanderbrechen der Band war Frivolität, kein Schicksalsschlag. Wer Paul McCartney noch heute in seinen fabelhaften Konzerten hört, weiß, was wir hätten haben können. An ihm lag es nie. Wenn die Jungens sich nur zusammengerissen hätten. Wenn Yoko Ono sich aufs Blumenstecken in Kyoto und einen anständigen Butotänzer statt auf Lennon als Konzeptkunst verlegt hätte.

Mythos und die Musik der Beatles gehören der Welt. Was die Generationen teilt, sind Fragen wie: Wo warst Du an dem Tag, als Elvis Presley eingezogen wurde? Oder als John F. Kennedy starb? Als Paul McCartney "Yesterday" vor BBC-Kameras sang und dem Rock'n'Roll rosa Schleifen zu Streicherklang anpasste? Hübsche Schleifen, zugegeben.

Und dann herrscht plötzlich Bierzeltniveau

In New York sortieren noch vor dem Beginn der Jukebox-Show britische Wochenschaubilder das Publikum. In Ahnungslose und eine Handvoll älterer Europäer. Was soll den New Yorkern Bobby Charlton und Franz Beckenbauer in der Verlängerungspause des Finales von 1966 sagen? Der Rennfahrer Jackie Stewart und Diana Rigg als Emma Peel treten auf an der Seite Churchills und der Posträuber, neben Ovomaltine und "Sugar Smacks Cornflakes".

Das Wembley-Finale samt dem notorischen dritten Tor wurde am 30. Juli 1966 ausgetragen. Wir gehen jede Wette ein, dass die Beatles es mindestens im Fernsehen sahen. Einen Monat später spielten sie, ohne es zu wissen vielleicht, ihr letztes Konzert in San Francisco.

Die Werbung erlischt, es flutet der Tsunami von "I Saw Her Standing There" aus dem gefühlten Cavern Club ins St. James Theatre. "Please Please Me" und "It Won´t Be Long" drängen nach ohne Atempause. Ganz wie in den knapp halbstündigen Konzerten der frühen Erfolgsjahre, als Vorgruppen den Großteil der Beatles-Auftritte bestritten.

In New York sind die Beatles ihr eigener Support Act. Bei "She Loves You" sind sie schon in Ed Sullivans Show. Bei "I Wanna Hold Your Hand" und "All My Lovin'" kommen die ersten Bitten der Band, mitzuklatschen und überhaupt Wohlbefinden zu zeigen. Schrecklich. Auf solches Bierzeltniveau könnten die Beatles unmöglich gesunken sein. Oder?

Eine Maschine zum Gelddrucken sind sie immer noch

Dass alle außer Ringo aussehen wie der reale Paul, bemängelt die "New York Times". Erst später, wenn die Herren sich durch typische Brillen, Bart- und Haartracht unterschieden, sei unzweifelhaft, wer hier wen wann spiele. Naturgemäß sollte das ein Scherz sein.

Der Rezensent befand, dass "Let It Be" ein wahrhaftiges Zelebrieren der Beatles sei. Und dass frühere Versuche, "Beatlemania" (1977) und "Rain" (2010) von der jüngsten Produktion in Grund und Boden gespielt würden. Das hinderte die Londoner Rain Productions nicht daran, die britischen Produzenten von "Let It Be" zu verklagen und die Hälfte der Einnahmen zu verlangen.

Man habe "Let It Be" fit gemacht für die Bühne, 28 der 31 Songs aus "Rain" würden wieder gespielt. Und wenn? Kein gelungener Scherz. Gibt es ein Copyright auf die Auswahl von Beatles-Songs? Im Balgen um die Gelddruckmaschine, die jegliche Beatles-Verwertung darstellt, verschwindet jede Scham.

Lennon hantiert mit der Klobrille vor "Can't Buy Me Love". Der wahre Lennon hatte solche Mätzchen in den Anfangsjahren nötig, die Broadway-Show sollte die Finger lassen von Satire. Sie steht ihr nicht. Auferstehungen sind eine ernste Sache. Unnötig die Dada-Witzelei vor "Yesterday" ("Das ist die B-Seite zur A-Seite, komponiert von der C-Seite").

Nett und angemessen ist dagegen das deutsche Einzählen zu "Help", die Jungs von der Reeperbahn hatten ein Herz für uns. "I Feel Fine". "Drive My Car" fegt durch den Saal. Bei "Twist and Shout" muss das Publikum aufstehen und vorgeben zu tanzen. In einer Umbaupause, als Kostüm- und Perückenwechsel eine neue Phase in der Rekordreifung der Beatles nötig macht, erinnert eine Zigarettenwerbung daran, dass damals fast jeder rauchte. "Ich bin da ganz eigen", sagt der Raucher in der Werbung, der jede andere Marken verschmäht.

Sogar Eric Clapton tritt auf

Nach fünfzig Minuten erreicht die Show "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band". Die Herren tragen die allseits bekannten bunten Satinanzüge, die stets an Elvis' Edelpyjamas erinnerten.

Die Musik aber fegt alle Zweifel zur Seite: geklonte Beatles, die den realen Beatles im Nachhinein vormachen, wie es geht.

In der Pause nach einer Stunde singt Donovan "Mellow Yellow" vom Band, es blumenkindert, bevor "Magical Mystery Tour" beginnt. Ein fünfter Mann, der Keyboarder John Korba, übernimmt die Parts, die mit Gitarren und Schlagzeug nicht zu machen sind. Korba fügt sich leicht ein wie Bill Preston auf dem Apple Buildung, er mimt George Martin in dem Cembalo-Solo von "In My Life" und erntet Applaus.

Eric Claptons hinreißendes Gastsolo in "While My Guitar Gently Weeps" treibt die Beatles-Hommageisten auf atemberaubendes Konzertniveau. Es folgen "Abbey Road" und Auszüge aus "Let It Be".

Himmel, so hätten die Beatles 1975 klingen tatsächlich können. An einem guten Abend.

Biografie
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