21.08.13

Geheimnisverrat

35 Jahre Haft für Wikileaks-Informant Manning

Ein US-Militärgericht hat Bradley Manning für die Weitergabe von Hunderttausenden US-Geheimdokumenten zu 35 Jahren Haft verurteilt. Das Strafmaß gilt als besonders hart. Von

Bradley Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt
Quelle: Reuters Das Strafmaß verkündete eine US-Militärrichterin in Fort Meade. Die Anklage hatte wegen der Weitergabe von über 700.000 Informationen an die Enthüllungsplattform Wikileaks 60 Jahre Haft gefordert.

Die Verteidiger baten darum, dem Mann nicht "seine Jugend zu rauben, sie hielten maximal 25 Jahre für angemessen. Die Staatsanwälte wollten erst einen 85 Jahre alten Bradley Manning wieder in Freiheit sehen, nämlich nach 60 Jahren Haft. Nun ist der Obergefreite wegen Geheimnisverrats zu 35 Jahren Haft in einem US-Militärgefängnis verurteilt worden.

Das Urteil der Richterin Oberst Denise Lind in Fort Meade (US-Staat Maryland) war mit Spannung erwartet worden. Die Höchststrafe hätte bei 90 Jahren gelegen. Bradley wurde zudem unehrenhaft aus den US-Streitkräften entlassen. Die Strafe gilt als hart; in den 80er Jahren etwa wurden US-Verräter, die für die Sowjetunion spioniert hatten, mit höchstens 30 Jahren Haft bestraft.

Bradley Manning hatte vor drei Jahren als Analyst des Heeres im Irak 750.000 Geheimdokumente, darunter Videos von Gefechten, diplomatische Korrespondenz und andere Informationen aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan an die Organisation "Wikileaks" übermittelt. Aus Gewissensgründen, wie Manning angab.

Seine Anhänger heißen ihn einen Helden, sie fordern den Friedensnobelpreis für den "Whistleblower". Laut den Anklägern handelte Manning aus reiner Geltungssucht und als "Verräter", der es in Kauf nahm, Menschenleben zu gefährden.

Berufung automatisch eingeleitet

Eine Berufung gegen den Spruch wird nach den Prozessregeln des US-Militärs automatisch eingeleitet; gewöhnlich wird nach Verbüßung eines Drittels der Haftstrafe ein Bewährungs-Prüfungstermin angesetzt. Manning Anwalt David Coombs hat angekündigt, sich für eine Minderung der Haftstrafe einzusetzen und den Weg einer Begnadigung durch den US-Präsidenten zu suchen.

Eine lange Haftstrafe war unumgänglich geworden, nachdem sich Bradley Manning in zehn von 22 Anklagepunkten schuldig bekannt hatte.

Richterin Lind hatte ihn von dem gewichtigsten Vorwurf des Hochverrats ("Unterstützung des Feindes"), der die Todesstrafe oder mindestens lebenslange Haft nach sich zieht, freigesprochen. Vor dem Schuldspruch hatte sich der Angeklagte entschuldigt: "Ich weiß, dass ich den Preis für meine Entscheidungen zahlen muss."

Strafe als Abschreckung für "Whistleblower"

In den US-Medien waren Fotos des Obergefreiten in Frauenkleidern aufgetaucht. Auch das ist der Preis. Ein Militärpsychologe hatte dem homosexuellen Manning zuvor eine Persönlichkeitsstörung und eine Störung der Geschlechteridentität attestiert. Er habe während seiner Stationierung im Irak unter "emotionalem Stress" gestanden, da er darüber nachgedacht habe, als Frau zu leben.

Die Ankläger stellten während ihres Schlussplädoyers am Dienstag noch einmal klar, dass es ihnen nicht um die Bestrafung Mannings allein ginge. Die Abschreckung anderer potenzieller "Whistleblower" mit einer harten Haftstrafe scheint dem Militär mindestens so wichtig zu sein. Der Zugang eines niederrangigen Auswerters von Armee-Berichten im Irak 2009 zu geheimsten Informationen muss das Pentagon alarmiert haben.

Das Herunterladen der ungeheuren Datenmenge sowie die Übermittlung an Wikileaks scheinen keine besondere kriminelle Energie verlangt zu haben. Im Verfahren gegen Manning machten die Ankläger geltend, dass er wahllos und ohne Rücksicht auf die mögliche Lebensgefahr für US-Agenten oder Agenten ihrer Verbündeten Daten abgeschöpft und veröffentlicht hätte.

Edward Snowden, der als freier Mitarbeiter des Geheimdienstes mit nicht weniger brisanten, geheimen Daten den Überwachungsskandal des Geheimdienstes NSA angestoßen hat, wird zugute gehalten, dass er Lecks auswählte. Und, so weit bekannt, keine amerikanischen Leben aufs Spiel setzte.

Bild eines gefährlichen Schwerverbrechers

Ein Urteil gegen Snowden, sollte er sein russisches Asyl verlassen und sich den zivilen US-Gerichten stellen, dürfte dennoch kaum weniger hart ausfallen. Manning wurde in sechs Anklagepunkten schuldig gesprochen, die sich auf das "Spionagegesetz" aus dem Jahr 1917 beziehen. Die Ankläger zeichneten das Bild eines extrem gefährlichen Schwerverbrechers, der genau wusste, was er tat und wen er gefährdete.

Aus der Sicht seines Verteidigers ist Bradley Manning ein "naiver" junger Mann mit idealistischem Sturm und Drang, Gutes zu tun und sein Land davor zu bewahren, sich gewissermaßen zu versündigen.

Bei Bradley Manning wie Edward Snowden kann man sich auch fragen, was die (für Außenstehende) ans Paranoide grenzenden Sicherheitsüberprüfungen des eigenen Personals im US-Militär eigentlich wert sind. Zeitgleich mit dem Verfahren gegen Manning läuft der Prozess gegen den Massenmörder Major Nidal Hassan, der 2009 im texanischen Fort Hood 13 Kameraden erschoss und 30 verwundete. Der Armee-Psychiater Hassan wähnte sich im "Dschihad-Einsatz". Die Vorgesetzten ignorierten alarmierende Hinweise auf Hassans gestörten Geisteszustand.

Es fällt nicht schwer, sich die Attraktivität, als "Whistleblower" den Helden zu spielen, für einen jungen Amerikaner vorzustellen. Gerade die Jungen, die weit mehrheitlich 2008 den ersten schwarzen Präsidenten wählten, sind enttäuscht von einer harschen Realpolitik im Drohnenkrieg, in Guantanamo, im sogenannten "Krieg wider den Terror".

Sie hatten geglaubt, der frühere Verfassungsrechtlers, den sie als Idealisten missverstanden, sei ihr Verbündeter. Edward Snowden hat explizit seine Desillusionierung mit Obama als Motiv genannt. Und auch Manning beging seinen Datenraub im ersten Jahr der Regierung Obama.

Misstrauen gegen US-Regierung

Die neusten Enthüllungen über die NSA-Überwachung sind nicht angetan, das Misstrauen gegen den Präsidenten und die Regierung zu zerstreuen. Nach einem Bericht des "Wall Street Journal" hat der Geheimdienst mit Hilfe der Telekom-Unternehmen Zugriff auf 75 Prozent des Datenverkehrs im Internet.

An Dutzenden Verbindungspunkten würden die Daten abgegriffen, und keineswegs nur Daten von Ausländern. Auch Emails und Gespräche von US-Bürgern im Inland würden aufgezeichnet und mit Suchbegriffen durchgekämmt. Dass ein großer Teil der ersten Auswahl von den Telekom-Unternehmen geleistet wird, macht die Sache nicht besser.

Barack Obama hatte das Abschöpfen von Daten als notwendige Abwehrmaßnahme Dienstes verteidigt, der das Vertrauen der Bürger verdiene. Später hatte er mehr Transparenz und gerichtliche Kontrolle angekündigt. Für Überzeugungstäter wie Edward Snowden und Bradley Manning sind das bedeutungslose Versprechen.

Anklage fordert 60 Jahre Haft für Bradley Manning
Quelle: Reuters Im Prozess gegen den WikiLeaks-Informanten Bradley Manning fordert die Anklage eine Haftstrafe von mindestens 60 Jahren. Er habe die USA verraten, so der Staatsanwalt Joe Morrow in Fort Meade.
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