Hormonforschung
Warum die Jugend das Risiko liebt
Maßnahmen zur Gesundheitsprävention bei Jugendlichen verpuffen häufig. Der Grund: Junge Menschen sind besonders risikofreudig. Dafür können sie nicht immer etwas, ihr Gehirn ist schuld Von Harald Czycholl
Zum Sport? Keine Lust. Zum Arzt? Nur, wenn es blutet oder fault. Gemüse statt Pommes? Vielleicht nächstes Jahr. Ob Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen, regelmäßiger Sport oder eine gesunde Ernährung: Wenn es um die Gesundheitsprävention geht, haben Eltern, Ärzte und Krankenkassen bei Jugendlichen einen schweren Stand. In der Regel sind diese nämlich für derlei Maßnahmen wenig empfänglich. Logisch ist diese scheinbare Risikofreude zwar nicht – zumindest aus Erwachsenenperspektive. Aber es gibt wissenschaftliche Erklärungen dafür.
So hat die britische Psychologin Stephanie Burnett, die an der Oxford University forscht, mithilfe einer Studie wissenschaftlich belegt, dass Menschen in ihren Teenager-Jahren die riskantesten Entscheidungen treffen. Dafür ließ sie Probanden ein Computerspiel spielen, bei dem Entscheidungen getroffen werden mussten, um Punkte zu erzielen. Das Ergebnis: Erwachsene und Kinder spielten eher reflektiert – die Teenager gingen aufs Risiko. Die risikofreudigsten Probanden waren dabei die männlichen 14-Jährigen.
Schuld daran sind die Hormone: Es beginnt mit dem Botenstoff Neurokinin B, der wiederum zu einer kaskadenartigen Ausschüttung von Hormonen im Gehirn führt. Diese leiten einerseits die Entwicklung zur Geschlechtsreife ein, andererseits bauen sie das Gehirn um. Die Veränderungen sind sehr tiefgreifend: So wird beispielsweise die Verbindung zwischen rechter und linker Hirnhälfte, der so genannte Corpus callosum, verstärkt. Mit Beginn der Pubertät sterben zudem mehrere Milliarden Nervenzellen der Großhirnrinde ab.
Im Kleinhirn geht das Drama los
Die Reifung des Gehirns verläuft dabei nicht gleichmäßig, sondern vollzieht sich eher von hinten nach vorne. Der Prozess beginnt im Kleinhirn und endet schließlich im Stirnlappen, wo neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen geknüpft werden. Der Stirnlappen ist sozusagen der Sitz der Vernunft: Er ist für die Planung von Handlungen, die Kommunikation und die Impulsregulierung zuständig.
Aufgrund des Gehirn-Umbaus werden diese spezifischen Funktionen vorübergehend beeinträchtigt – es kann bis zum 20. Lebensjahr dauern, bis sie vollständig wiederhergestellt sind. Außerdem gehen dabei rund ein Drittel der Rezeptoren für den Glücksbotenstoff Dopamin verloren. Um Glücksgefühle zu erzeugen, muss der "Kick" plötzlich wesentlich größer sein – auch das steigert die Risikofreude.
Laut Angaben des amerikanischen Hirnforschers Laurence Steinberg von der Temple University in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania erreichen junge Menschen zwar mit 16 Jahren die kognitiven Fähigkeiten eines Erwachsenen. Doch die psychosoziale und emotionale Reife kann dieser Entwicklung um mehrere Jahre hinterherhinken. Das gilt auch für die Fähigkeit zu Selbstregulierung, Impulskontrolle und Planung. Damit einhergehend verlieren Jugendliche viel von ihrer Fähigkeit, soziale Szenarien sowie die Gefühle anderer Menschen einzuschätzen.
Die Sorge des Vaters wird als Wut interpretiert
Dass Fehlurteile für Teenager typisch sind, konnte auch Robert McGivern von der San Diego State University in einer Studie nachweisen: Er zeigte 300 Probanden im Alter zwischen zehn und 22 Jahren Porträts von Menschen und bat sie, deren Gesichtsausdruck zu beurteilen. Die Auswertung zeigte: Während der Pubertät brauchen Jugendliche viel länger für ihre Einschätzung als Kinder oder Erwachsene – und sie liegen dabei häufiger daneben.
Das äußert sich auch in typischem Teenager-Verhalten: Da wird etwa die sorgenvolle Miene des Vaters als wütend interpretiert – und automatisch mit Aggression reagiert. Vermutlich verarbeiten Jugendliche Reize aus der Außenwelt ganz anders als Erwachsene. Vor allem bei emotionalen Informationen reagieren Teenager eher aus dem Bauch heraus, sie entscheiden impulsiv und wenig überlegt.
Trotzdem: Sie wissen, was sie tun. "Der Grund, warum die Jugendlichen waghalsiger sind als andere Personen, ist nicht ein Problem der mangelnden Übersicht über die drohenden Konsequenzen", sagt Psychologin Stephanie Burnett. "Sie wählen schlicht und einfach das Risiko."
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