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Die Griechen-Steuer, die niemand zahlen will

  • Associated Press

    Feuerwehrleute bei einer Sitzblockade im Zentrum von Athen.

  • dapd

    Bürgerproteste gegen die Immobiliensteuer: "Ich kann die zusätzlichen Steuern und Immobilienabgaben nicht zahlen" steht auf dem Schild.

ATHEN – Als die griechische Regierung im September überraschend eine nationale Immobiliensteuer einführte, fackelte Stavros Kasimatis nicht lange. Der Bürgermeister von Korydallos, einer heruntergekommenen Gemeinde im Westen Athens, verwandelte sein Büro kurzerhand in eine Kernzelle des Volksprotests.

Mit einem geschickten Schachzug hatte die Regierung versucht, ihre mickrigen Staatseinnahmen aufzubessern. Sie hatte die neue Steuer einfach auf die Stromrechnungen ihrer Bürger setzen lassen. Und jetzt standen sie in Kasimatis' Amtsstube, die Verzweifelten, die kaum noch genug zum Leben hatten, und fragten, woher sie das zusätzliche Geld nehmen sollten.

Die Gemeinde half: Sie wies die Bürger an, nur für den Strom zu zahlen und nicht für die neue Steuer. Und sie schalteten einen Richter ein, um zu verhindern, dass die Elektrizitätskonzerne den Menschen in Korydallos zur Strafe einfach das Licht ausknipsten. 1.165 Petitionsschreiben gegen die Immobiliensteuer brachte der Bürgermeister eigenhändig ins Bezirksgericht. Im Februar gewann er. Jetzt brennt in Korydallos das Licht, obwohl viele Einwohner die Steuer nie zahlten.

„Vom ersten Moment an hielten wir diese Maßnahme für verfassungswidrig", sagt Kasimatis, den linksgerichtete Parteien bei seinem Protest unterstützten. Immer noch schimpft er: „Strom, Energie, das ist doch ein soziales Recht. Die haben die Bürger erpresst."

Heute, kurz vor der wohl kritischsten nationalen Wahl seit Jahrzehnten, steht die Immobiliensteuer abermals im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Sie zeigt exemplarisch, was schief gelaufen ist in Griechenland und warum die Rettung des Landes für Europa so schwierig ist.

Für viele in der Eurozone sind Griechenlands schleppende Steuereinnahmen ein ewiges Übel. Für viele Griechen aber machen die neuen Steuern, die jene am unteren Rand der Einkommensverteilung besonders hart treffen, die wirtschaftlichen Probleme ihres Landes nur noch schlimmer.

Derart verhasst ist vielen die Immobiliensteuer, dass ihre Kritiker – also im Prinzip fast alle Griechen – sie nur noch haratsi nennen. So hieß die Kopfsteuer, die einst die Osmanen den Bürgern während der Besetzung des Landes abknöpften.

Etwa drei Viertel aller Griechen besitzen ein Eigenheim. Und wie in vielen anderen europäischen Ländern gibt es auch in Griechenland bereits eine Reihe anderer Immobiliensteuern. Doch diese zielen meist auf hochwertigere Immobilien und brachten dem Staat bisher kaum Einnahmen.

Die neueste Steuer ist aus der Not geboren. Im Schnellverfahren hatte sie die Regierung im vergangenen Jahr erlassen, um ein zwei Milliarden Euro großes Haushaltsloch zu stopfen. Sie rechnete mit Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro und ließ die Steuer – abhängig von Größe, Lage und Alter einer Immobilie – einfach als Aufschlag auf 12,6 Millionen Stromrechnungen des Versorgers Public Power Corp (PPC) setzen.

Die Einnahmen flossen langsam. Inzwischen liegt das Steueraufkommen aus der neuen Abgabe bei 2,1 Milliarden Euro, aber das meiste davon wurde erst in diesem Jahr bezahlt.

Stattdessen regte sich überall im Land der Widerstand. Binnen kürzester Zeit saß der Stromkonzern auf einem dicken Stapel unbezahlter Rechnungen und hatte bald kaum noch Geld in der laufenden Unternehmenskasse. Die Regierung lenkte ein. Im Frühjahr habe sie rund 260 Millionen Euro ihres Immobiliensteueraufkommens direkt an PPC abgezweigt, sagt George Angelopoulos, der Finanzvorstand des Stromkonzerns. Im Juni muss PPC das Geld zurückzahlen.

Zahlreiche Politiker und Juristen wehrten sich gegen die Steuer, zumindest in ihrer aktuellen Form. In diesem Jahr hat die Regierung noch gar keine Steuerforderungen verschickt. Und vor den Neuwahlen im Juni wird sie das wohl auch nicht mehr tun.

In dieser Woche erst erklärte es der höchste Gerichtshof in Griechenland für verfassungswidrig, Bürgern den Strom abzustellen, die die Steuer nicht bezahlen. Mit dem Urteil versiegt die derzeit wichtigste Steuerquelle der Regierung. Aber würde diese jetzt die Immobiliensteuer ganz kippen, würde sie die strikten Haushaltsziele der Eurozone wohl erst recht verfehlen.

Der Steuerstreit dürfte vor allem dem Sammelsurium kleinerer Parteien Auftrieb bei den Wählern bringen. Schließlich hatte die sozialistische Pasok-Regierung die Abgabe einst beschlossen. Und die konservative Partei Nea Dimokratia, obwohl Steuern eher abgeneigt, hatte die Sparmaßnahmen befürwortet, die das Ausland an die Rettung Griechenlands knüpft. Schon bei der jüngsten Wahl erwiesen sich die beiden etablierten Parteien als die großen Verlierer.

Die linksradikale Syriza-Partei, die derzeit bei den Umfragen vorne liegt, hat sich den Widerstand auf die Fahnen geschrieben und ist gegen die vom Ausland verordneten Einschnitte. Die Parteizentrale habe auch die umstrittene Immobiliensteuer nicht bezahlt, verrät ein führender Syriza-Politiker. Parteichef Alexis Tsipras, der politische Aufsteiger, habe die Steuer für sein Haus ebenfalls nicht entrichtet.

Und in Korydallos bitten immer noch Anwohner im Bürgermeisteramt um Hilfe. Einer davon ist Velissarios Moros. Der 38-Jährige soll 450 Euro Steuern zahlen, aber weiß nicht wie. Im Sommer habe er ab und zu auf der Touristeninsel Mykonos als Pizzabäcker gearbeitet, erzählt er. Danach habe er sich in Korydallos mit Gelegenheitsjobs verdingt. Seit Oktober schlägt er sich ohne Arbeit durch. Und jetzt, wo es wieder wärmer wird, findet er selbst auf den Inseln keinen Job mehr. Die Ersparnisse reichten noch für einen Monat, sagt Moros. „Was danach kommt, weiß ich nicht."

Am Rande von Korydallos, wo die Betonbauten einem von Steinbrüchen gesäumten Hügelland weichen, geht auch Agapi Mandaka das Geld aus. Jahrelang hätten sie gespart, sie und ihr Mann, ein Elektriker. Sie wollten sich einen Apartmentblock mit drei Wohnungen bauen – für sich und die erwachsenen Kinder. Vor sieben Jahren aber starb ihr Mann, und jetzt lebt Frau Mandaka von 900 Euro Rente. Das Haus wurde nie fertiggestellt. Im Treppenhaus liegt der Beton bloß. Für den Aufzug reichte das Geld nicht mehr.

Der Rohbau zehrt zwei Drittel ihrer Rente auf, und Frau Mandaka lässt heute manchmal anschreiben, wenn sie einkaufen geht. Dem Lebensmittelhändler schuldet sie 102 Euro, dem Wasserwerk 303 Euro. Und obendrein kommt die neue Steuer: 1.045,80 Euro soll sie zahlen. Sie kann es nicht.

Ihre Tochter Sofia hat auch keine Arbeit und lebt mit der Mutter zusammen. Sie ist wütend auf die Regierung, die den Bürgern das hart verdiente Geld wegnehme. „Dieses Haus ist durch den persönlichen Einsatz meiner Familie gebaut worden", sagt sie bitter.

Von der Politik halten die Mandakas nicht mehr viel. Jahrelang habe sie treu die sozialistische Pasok-Partei gewählt, erzählt Agapi Mandaka. Jetzt aber werde sie die Kommunisten unterstützen – weniger aus Ideologie als vielmehr, weil sie die herrschende politische Klasse abstrafen will. „Pasok hat mich niedergedrückt", sagt sie.

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