mit Atenea Jimenez, einer Aktivistin aus der venezolanischen Räte-Bewegung
Die Veranstaltung findet am Montag, den 22.4.2013 in Karlsruhe im Restaurant Walhalla, Augartenstr. 27, großer Saal, 19.30 Uhr statt
Die Aktivistin ist Teil des RNC “Red Nacional de Comuneros y Comuneras”, ein landesweites Netzwerk mit dem Ziel in Venezuela überregionale Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen.
Die Veranstaltung wird in Karlsruhe von der Interventionistischen Linken - iL Karlsruhe mit Unterstützung von AKI Karlsruhe, Liberacion eV, Libertäre Gruppe Karlsruhe und selbstverwalteten Betrieben durchgeführt.
Venezuela von unten - Selbstverwaltung als Alternative zum neoliberalen Herrschaftsmodell mit Atenea Jimenez, einer Aktivistin aus der venezolanischen Räte-Bewegung
In Venezuela findet seit der Regierungsübernahme durch Hugo Chávez 1998 eine tiefgreifende soziale Transformation statt, die als Bolivarianischer Prozess bezeichnet wird. Es handelt sich um einen breiten Prozess der Selbstorganisierung, aus dem heraus sich eine progressive Verfassung, ein Arbeitsrecht, neue Bildungsmöglichkeiten und eine Vielzahl weiterer Reformen für die verarmte Bevölkerungsmehrheit des potentiell reichen Staates entwickelten. Die sich offen gegen den Neoliberalismus wendende Politik der Regierung erfährt allerdings von den Großunternehmern Venezuelas wie von den USA eine vehemente Ablehnung, die sich in zwei Putschversuchen und Boykotten ausdrückt. Trotzdem genießen Chávez und seine Regierung das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung. Die Gesellschaft ist stark politisiert; viele Menschen, die vorher nie darüber nachgedacht haben, was sie verändern wollten, sind jetzt Teil des im Land stattfindenden tiefgreifenden Wandels.
Venezuelas bolivarianische Revolution ist mittlerweile in aller Munde – ob als Folie der Angst vor lange totgesagten Geistern, oder als Hoffnungsträger eines linken Aufbruchs in Lateinamerika. Außerhalb Lateinamerikas wurde die Debatte um der bolivarianischen Prozess in Venezuela oft auch in der Linken vor allem auf eine Auseinandersetzung um Hugo Chávez reduziert. Die vielfältigen kollektiven Prozesse an der politischen Basis erhielten hingegen nur selten Beachtung. Spätestens seit dem Militärputsch gegen Chavez im April 2002, als in Venezuela 3 Millionen Menschen gegen die Militärs auf die Straße gingen und die Freilassung von Hugo Chavez erzwangen, ist die Existenz einer breiten Basisbewegung deutlich sichtbar geworden. Obwohl von Seiten der bolivarianischen Regierung viele Gesetze zu Gunsten der Bevölkerung geändert wurden, gab es erst Fortschritte als nach dem Putsch 2002 flächendeckend Parallelstrukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau, oder zum Aufbau von Selbstverwaltung und Selbstorganisation in besetzen Betrieben und Fincas an der Basis unter Beteiligung der jeweils Betroffenen aufgebaut bzw. ermöglicht wurden, die sogenannten misiones. Voraussetzung war immer die Selbstorganisation der Bevölkerung. Eine Gesundheitsstation mit einem Arzt/Ärztin bekamen z.B. nur die Barrios, die ein eigenes Gesundheitskomitee bildeten, welches das Funktionieren der Gesundheitsstation sicherstellte usw. ArbeiterInnen von brachliegenden landwirtschaftlichen Flächen oder Betrieben wurden bei der Selbstverwaltung und der dazu notwendigen Ausbildung gefördert, wenn sie sich organisieren…
Die Erfahrungen der Comuna-Bewegung liefern eine eigenständige Interpretation der politischen Entwicklungen in Venezuela, abseits der Hoffnungen und Ängste, die von außen auf den Bolivarianismus projiziert werden. Auf einer langen Tradition der Basisorganisierung aufbauend, die schon viele Jahre vor Chávez erstem Regierungsantritt begann, sieht sich die Comuna-Bewegung selbst explizit als Teil des bolivarianischen Prozesses. Dies bedeutet für die Bewegungen einen ständigen Balanceakt zwischen Kooperation und Autonomie gegenüber der Regierung. Hierbei stellt sich die alte Frage vom Verhältnis von Staat und Bewegungen auf eine neue Weise.
Obwohl die Regierung in vielen Wahlen seit 1998 immer wieder bestätigt wurde, hat sie nicht einfach nur den alten Staatsapparat übernommen, sondern versucht Parallelstrukturen in allen Bereichen aufzubauen, als Garant für den bolivarianischen Prozess der permanenten sozialen Veränderung. Die nach 2002 in vielen gesellschaftlichen Bereichen gebildeten „misiones“ und Organe des „poder popular“, die von der bolivarianischen Bewegung getragen werden, stellen trotz aller Widersprüchlichkeiten einen Ansatz von Organen der Doppelherrschaft dar, der laufend gegen die reaktionären Kräfte durchgesetzt und verteidigt werden muss, und oft auch im Gegensatz zum Staatsapparat und den zuständigen Ministerien steht.
Löst dieser Ansatz das bisher scheinbar unauflösbare Dilemma zwischen dem notwendigen Erlangen der (Staats)-macht und der damit einhergehenden Korrumpierung des ursprünglichen politischen Projekts auf?
Vergesellschaftung, Selbstermächtigung, Selbstorganisation und Selbstverwaltung in allen Bereichen und der Aufbau des ökonomischen Bündnisses ALBA als (wenn auch noch völlig unzureichende) Alternative zum kapitalistischen Weltmarkt waren und sind notwendig zur ökonomischen und politischen Absicherung des bolivarianischen Projekts. Können die Erfahrungen der bolivarianischen Bewegung (wie auch der zapatistischen und der Selbstverwaltungsstrukturen in Nord und Westkurdistan) für uns nutzbar gemacht werden, um Alternativen gegen das kapitalistische, neoliberale Ausbeutungs- und Zerstörungsprojekt sichtbar zu machen und umzusetzen?
Wir wollen mit der venezolanischen Comuna-Aktivistin Atenea Jimenez diskutieren, welche Erfahrungen wir aus dem politischen Prozess in Venezuela ziehen können:
- Wie ist die Comuna-Bewegung in Venezuela entstanden und was sind deren Ziele und Strategien?
- Wie bewerten sie den politischen Transformationsprozess der sich momentan in Venezuela abspielt und welche Rolle sehen sie für sich selbst darin?
- Welche Kontakte und Zusammenarbeit gibt es mit anderen Comuna-Bewegungen (auch im Rahmen von ALBA) in Lateinamerika oder anderswo?
- Und natürlich wollen wir die Gelegenheit nutzen, um zu diskutieren, welche Bedeutung dem Tod von Hugo Chávez für die Zukunft Venezuelas beizumessen ist. Welche Zukunft hat die bolivarianische Revolution ohne ihn und wie sind die Ergebnisse der Neuwahlen vom 14. April 2013 zu bewerten?
Wir laden euch ganz herzlich ein diese und weitere Fragen mit uns auf der Veranstaltungen zu diskutieren.
Die Veranstaltung wird in Karlsruhe von der Interventionistischen Linken - iL Karlsruhe mit Unterstützung von AKI Karlsruhe, Liberacion eV, Libertäre Gruppe Karlsruhe, und selbstverwalteten Betrieben durchgeführt.