December 2011

Gewerkschaften im Krieg

erschienen in der Direkten Aktion (www.direkteaktion.org) Nr. 208 – November/Dezember 2011 200 Kampfpanzer nach Saudi-Arabien, Mercedes-Panzertransporter nach Libyen und U-Boote nach Israel – deutsche Waffen sind ein weltweiter Verkaufsschlager. Die deutsche Rüstungsbranche kann sich seit 2005 rühmen, die Bundesrepublik hinter den USA und Russland auf Platz drei der waffenexportierenden Länder gebracht zu haben. Sogar ganze Waffenfabriken [...]

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Zum Prinzip der freien Assoziation

Freie Assoziation ist das bedeutendste Prinzip anarchischer Organisation. Nicht nur bei neueren Theoretiker_innen wie Colin Ward (2010) tritt sie auf. Sie lässt sich auch bei Proudhon (2005: 57), Stirner (2008), Bakunin (2005: 105), Kropotkin (1989: 104), Errico Malatesta (2005: 397) und Alexander Berkman (2005: 440) finden. Kaum ein anderes Prinzip, kaum ein anderer Punkt wird [...]

Freiertagsposting.

Da Ich zwischen den Feiertagen bestimmt nichts mehr posten werde, weil Ich die Zeit mit meinem neuen Rack (i7 950, 8gb Ram, Geforce 550 Ti), Battlefield 3 und rauen Mengen Bier verbringen werde, möchte Ich euch an dieser Stelle schonmal einen guten Rutsch und nachträglich noch Marry Cryst Meth wünschen. Persönlich hoffe Ich, dass unsere Stammleserschaft und auch die Gäste hoffentlich gut ins neue Jahr kommen und das Leben genießen können, oder zumindest halbwegs genießbar machen werden.

In dem Sinne schonmal: Ganz liebe Grüße von Cho, Restloch, RVST und Needless – bm0sh kru.

Zu einigen Grundsätzen anarchistischer Organisationstheorie

„Der Einzelne aber ist einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt sich frei und trennt sich wieder frei.“ (Stirner 2008: 260) Organisation ist ein Kampfbegriff, sowohl innerhalb der anarchistischen Diskurse selbst, als auch in den Diskursen über Anarchismus. Einerseits wird der anarchistischen Bewegung –von marxistischer wie von bürgerlicher Seite– vorgeworfen, sich gegen Organisation als solche [...]

Erster Erfolg der Solidaritätskampagne

Beugehaft gegen Christa Eckes vorerst ausgesetzt
16. Dezember 2011


Das Oberlandesgericht Stuttgart hat heute entschieden, die Beugehaft
gegen Christa Eckes aufgrund ihrer Krankheit auszusetzen, bis über ihre
Beschwerde entschieden wurde. Diese Entscheidung muss jetzt der
Bundesgerichtshof treffen.
Das OLG Stuttgart sah sich inzwischen gezwungen, eine Presseerklärungt
herauszugeben. In dieser erklärt das OLG, nicht über den
Gesundheitszustand von Christa Eckes informiert gewesen zu sein. Dabei
war das OLG bereits im September über die Erkrankung informiert....

Damit ist aber noch keine Entwarnung gegeben. Proteste sind im Moment
beim Bundesgerichtshof und beim OLG Stuttgart an der richtigen Adresse.

Protestbriefe zum Beispiel an:

OLG Stuttgart
6. Strafsenat
Olgastr. 2
70182 Stuttgart
Fax: 0711-81083848
E-Mail: poststelle@olgstuttgart.justiz.bwi.de



Bundesgerichtshof
Herrenstraße 45 a
D-76133 Karlsruhe

Postanschrift: Bundesgerichtshof
D-76125 Karlsruhe

Telefon: +49 – 721 – 159-0
Fax: +49 – 721 – 159-2512
E-Mail: poststelle@bgh.bund.de


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OLG Stuttgart verhängt sechsmonatige Beugehaft -
Beugehaftanordnung der Justiz bedroht das Leben von Christa Eckes.

Christa Eckes soll für 6 Monate in Beugehaft gehen, weil sie im Prozess
gegen Verena Becker am OLG Stuttgart die Aussage verweigert hat.

August diesen Jahres stellte sich heraus dass Christa Eckes an akuter
lymphatischer Leukämie erkrankt ist. Seit Anfang September wird sie mit
Chemo-Therapie und Bestrahlung stationär im Krankenhaus behandelt und
kämpft um ihr Leben. Eine Haft würde ihr Leben akut gefährden. Die
dringend notwendige Therapie würde damit abgebrochen.

Es ist ein Skandal, dass das OLG Stuttgart bereits den Haftantritt
angeordnet hat, obwohl noch nicht einmal ein rechtskräftiger
Beugehaftsbeschluss vorliegt, und obwohl noch nicht einmal die
Haftfähigkeit von CHrista Eckes überprüft hat.

Die angeordnete Beugehaft stellt sich somit als Strafe und als eine
ernsthafte zusätzliche Bedrohung für das Leben von Christa Eckes dar.

Wir fordern die sofortige Aufhebung der Beugehaft!!!


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Fotos in GEW-Broschüre

Die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ hat eine Broschüre zum „Einsatzgebiet Klassenzimmer – die Bundeswehr in der Schule“ veröffentlicht. Geschrieben hat die 44-seitige Broschüre der Journalist Jürgen Amendt, die zwölf Fotos darin stammen von mir. Die Broschüre kann man hier kaufen oder hier kostenlos herunterladen.

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Nummer 8 und 9

Etwas über ein Jahr nach Erscheinen gibt es – was mich sehr freut – zwei weitere Rezensionen meines Buchs! Auf kritisch-lesen.de schreibt Heinz-Jürgen Voß über das „An der Heimatfront“-Buch: Wer über die aktuellen massiven Probleme der Bundeswehr bzgl. der Rekrutierung von Nachwuchs und über ihre Lösungsstrategien informiert sein möchte, kommt an Schulze von Glaßers Buch nicht [...]

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Gotizismus: eine proto-nationalistische Ideologie und ihr Unleben in der Geschichtswissenschaft

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus einer von mir geschriebenen Arbeit zur Frühgeschichte der Goten. Ich habe mich dazu entschieden, ihn hier zu veröffentlichen, da ich es interessant finde, dass dieses Thema bei allen Diskussionen zum Nationalismus in allen Varianten überhaupt nicht behandelt wird. Auch bei der Debatte um eine deutsche Spezifik des Nationalismus könnte das Thema "Gotizismus" eine Rolle spielen. Ich denke, dass er trotz seiner Referenzen auf andere Teile der Arbeit durchaus verständlich ist.

Wissenschaft ist nicht neutral. Sie findet immer vor einem bestimmten gesellschaftlichen Hintergrund statt und ist in der Regel auch von Interessen geprägt, die außerhalb ihrer selbst stehen. An dem historischen Diskurs über die Goten zeigt sich dies in besonderer Deutlichkeit. Wenn die Geschichtswissenschaft nicht nur Ideologie reproduzieren will, muss sie die Diskurse, in denen sie sich bewegt, hinterfragen. Der folgende Abschnitt dient diesem Zweck.

Das Ende der Gotenreiche und die Assimilation der gotischen Kultur bedeuteten keineswegs, dass die Goten in Vergessenheit gerieten. Im Gegenteil, gerade ihr Verschwinden beförderte ihren Aufstieg zum Mythos. Noch über tausend Jahre nach Ende des Toledanischen Reichs führten die Goten ein befremdliches Nachleben in der westlichen Kulturgeschichte und Politik. Der Mythos von dem „jungen Volk“ von „Welteroberern“, das das oftmals als „dekadent“ dargestellte römische Reich herausforderte und bezwang, war für die verschiedensten Gruppen attraktiv. Und durch die zahlreichen Wanderschaften der Goten, sowie die Tatsache, dass sie keinen direkten Nachfolger hinterließen, war dieser Mythos besonders anschlussfähig. Dass die tatsächlich häufig von schierer Not getriebenen und oftmals nur durch blankes Glück überlebenden Goten dabei ausschließlich als Projektionsfläche eines gegenwärtigen Bedürfnisses dienten, ist selbstverständlich. Man kann sagen, die „Gotizisten“ unterwarfen die Goten, in Nachfolge Cassiodors, ihrer eigenen „Interpretio“ um sich ihr Prestige anzueignen.(1)

Doch die Goten wurden nicht nur idealisiert, sondern auch als Sinnbild für das Rohe, Unkultivierte und Ungebildete verwendet. So vor allem von den italienischen Humanisten, die den Baustil transalpiner Kirchen und Kathedralen als „gotisch“ abtaten. Die pejorative Bedeutung ging mit der Zeit verloren, doch der entsprechende Baustil wird bis heute als Gotik bezeichnet. Das negative Gotenbild der italienischen Humanisten reizte allerdings deren Gegenüber aus dem deutschsprachigen Raum dazu, sich selbst mit den Goten zu befassen. Diese kehrten die negative Bewertung schließlich ins Positive und machten die Goten zu triumphierenden Erneuerern der zerfallenden römischen Welt. Sich selbst erklärten sie, indem sie die Goten auf der Basis von linguistischen Argumenten zu „Deutschen“ machten, zu deren Nachfahren. Gerade vor dem Hintergrund des Konfliktes um die Reformation konnte diese Projektion wirkmächtig werden.(2) Doch keineswegs blieb es mit dem Gotizismus bei einem Gelehrtendiskurs: So begann die schwedische Monarchie im 15. Jahrhundert damit, sich als Nachfolger der Goten zu betrachten. Dabei nahm sie den von Jordanes überlieferten Mythos der skandinavischen Herkunft der Goten auf. Dieser Mythos war geeignet, der noch jungen schwedischen Monarchie eine bis in biblische Zeiten zurückreichende Geschichte und somit eine ideologische Legitimation zu verleihen. Auch im Nationalismus der schwedischen Romantik spielte der Gotizismus, selber eine Art embryonaler Nationalismus, wieder eine Rolle. Neben einigen spanischen Adeligen, die vielleicht noch mit am meisten Recht auf tatsächliche gotische Vorfahren verweisen konnten, beanspruchten auch die Habsburger die Nachfolge der gotischen Könige. Die Herrschaft der Habsburger in Spanien ließ sich somit quasi als gotische Wiedervereinigung betrachten.(3)

Auch in Polen, Frankreich und im anglo-amerikanischen Raum entwickelten sich Varianten des Gotizismus.(4) Zuletzt entfaltete bei den Nationalsozialisten der Gotizismus sein rassistisches Potential. Wie schon bei den klassischen Gotizisten versicherte man sich, indem man die Geschichte der Goten, ja der Germanen generell, als die eigene beanspruchte, seiner Überlegenheit und verlängerte die eigene Geschichte in eine ferne Vergangenheit. Doch wurde der Gotizismus hier erstmals in eine ausgebildete völkische Ideologie integriert und mit einem umfassenden Anspruch auf „Rückeroberung“ verbunden. Dem nationalsozialistischen Gotizismus verdankt Gdynia seine vorübergehende Bezeichnung als Gotenhafen: Archäologen, von denen viele im Dienst des Faschismus der Wehrmacht nachfolgten, meinten, das Weichselgebiet als einen alten Siedlungsraum der Goten ausgemacht zu haben. Auch die einstmals von Goten besiedelte Krim sollte „wieder“ deutsch besiedelt werden und es gab Pläne, Sewastopol nach einem Ostgotenkönig in Theoderichshafen umzubenennen.(5)

Man kann an all dem deutlich sehen, wie ein bestimmter historischer Diskurs, der sich durch die Geschichte der Neuzeit zieht, die Funktion von Ideologe erfüllt: Er legitimiert Herrschaft sowie Eroberung und stiftet Gruppenidentitäten anhand von Grenzlinien erfundener Verwandtschaft. Gleichzeitig verstellt dieser Diskurs den Blick auf den historischen Gegenstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die deutschsprachige Geschichtswissenschaft freilich auf Distanz gegangen: Die Gleichsetzung von Germanen und Deutschen wurde verworfen und archäologische Materialkulturen nicht mehr einfach mit Ethnien gleich gesetzt.(6) Auch die Vorstellung, dass es sich bei den „Stämmen“ und „Völkern“, von denen die alte Geschichte so viele zu kennen meinte, um homogene Abstammungsgemeinschaften handle, wurde aufgegeben. Stattdessen dominiert eine unter dem Begriff der „Ethnogenese“ bezeichnete Theorie, die biologische oder statische Definitionen von Menschengruppen ablehnt. Sie stellt einen kontinuierlichen Prozess der kollektiven Identitätsbildung in den Vordergrund, bei dem sogenannte „Traditionskerne“, in der Regel ein aristokratisch-dynastisches Element, eine wichtige Rolle einnehmen.(7) Wenn also mit dem Gotizismus, der die Betrachtung der Geschichte der Goten so geprägt hat, in der Nachkriegszeit erfolgreich gebrochen wurde, wozu dann dieser Exkurs? Folgt man Michael Kulikowski, dann habe die Geschichtsschreibung zwar ihre national-chauvinistische Zielsetzung überwunden, Elemente des skizzierten Diskurses wirkten in der Gotenforschung dennoch nach. Dies zeige sich besonders angesichts der Unfähigkeit, den Herkunftsmythos des Jordanes richtig einzuordnen und ihn zu überwinden. Stattdessen werde diesem hartnäckig ein Wahrheitskern unterstellt, obwohl dazu kein stichhaltiger Beweis erbracht werden könne.(8) Somit lässt sich wohl festhalten, dass die Auseinandersetzung mit dem Gotizismus weiterhin eine Voraussetzung für die Beschäftigung mit der gotischen Geschichte ist.(9)

1 Auch für die folgenden Absätze relevant: H. Wolfram, Die Goten, 1990, S. 13-16.

2 Dies geschah im Anschluss an die Tacitus-Rezeption etwa in der Schrift „Exegesis Germaniae“ des Franciscus Irenicus. Motivation auch hier, eine eigene, altehrwürdige Geschichte zu gewinnen. Hierzu: D. Mertens, Die Instrumentalisierung der „Germania“ des Tacitus durch die deutschen Humanisten, in: H. Beck [u.a.] (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“, Berlin 2004, S. 37-102, hier S. 78 ff.

3 K. Neville, Gothicism and Early Modern Historical Ethnography, JHI 70 (2009), S. 213-234.

4 Der anglo-amerikanische Gotizismus sei durch ein Zitat kurz gekennzeichnet: „The Goths, the common ancestors of the inhabitants of North Western Europe, are the noblest branch of the Caucasian race. We are their children. It was the spirit of the Goth, that guided the May-Flower across the trackless ocean; the blood of the Goth, that flowed at Bunker's Hill. Nor were the Goths the savage and destructive devastators, that popular error has made them. They indeed overthrew the dominion of Rome but they renovated her people“. Aus: G. P. Marsh, The Goths in New-England, Middlebury 1813, S. 14

5 M. Kulikowski, 2009, S. 53-55.

6 P. Heather, The Goths, Oxford 1996, S.13 ff.

7 H. Wolfram, Die Goten. 1990, S. 17.

8 Zudem sei die Ethnogenese-Theorie weder so neu, noch so alternativlos, wie sie gerne dargestellt werde. So habe die Überbetonung einer herrschenden Elite als identitätsstiftendes Element durchaus Entsprechungen in der als bewältigt geglaubten älteren Forschung. Auch sei man für die Erklärung von ethnogenetischen Prozessen durchaus nicht auf „Traditionskerne“ angewiesen. Hierzu: M. Kulikowski, 2009, S. 54, 74 f.

9 M. Kulikowski, 2009, S. 54, 58-59.

Zu einigen Grundsätzen anarchistischer Organisationstheorie

-Der Einzelne aber ist einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt sich frei und trennt sich wieder frei (Stirner 2008: 260)

Organisation ist ein Kampfbegriff, sowohl innerhalb der anarchistischen Diskurse selbst, als auch innerhalb der außenstehenden Diskurse über Anarchismus. Einerseits wird der anarchistischen Bewegung – zum Beispiel von marxistischer Seite – vorgeworfen, sich gegen Organisation als solches zu stellen, andererseits gibt es durchaus anarchistische Strömungen, die sich in eigener Beschreibung gegen Organisationen stellen [1].

In der Tat, existieren auch soziologische Beschreibungen, die das Prinzip von Organisation mit Herrschaft in Verbindung bringen, so zum Beispiel Max Weber [2]. Dennoch lässt sich gerade Weber als Grundlage für ein Verständnis von Organisation heranziehen, welches nicht essentiell herrschaftlich auftritt: Organisation wird verstanden als Ordnung von Menschen und Dingen [3] nach dem Prinzip von Zweck und Mittel (Weber 2008: 839).  Eine Organisation tritt nach Weber also auf den Plan um bestimmte Zwecke zu erfüllen und bildet sich aus jenen Mitteln, die hierfür zur Anwendung kommen, ob es sich nun um Personen oder Aktenordner handelt.
Diese spezifische "organisierte" Art von Ordnung lässt sich nun durchaus mit einem anarchistischen Anspruch herstellen [4]. In unserem Alltag jedoch begegnen uns zahlreiche Organisationen, seien es nun Behörden oder Firmen, als durch und durch herrschaftliche Ordnungen. Wie lassen sich diese Formen von anarchischen unterscheiden?

Im Zuge der Trennung zwischen anarchischen und herrschaftlichen Organisationen wurden Kriterien aufgestellt, welche erfüllt sein soll damit eine Organisation eine anarchische sein soll. Eine der ältesten Spezifikationen dieser Art finden wir bei Max Stirner und seiner Trennung von Verein und Gesellschaft. Neuer und prägnanter, dafür an der Oberfläche verweilend, ist die Bestimmung notwendiger Grundlagen von Colin Ward. Dieser kennt genau vier Notwendigkeiten, die eine anarchische Organisation aufweisen muss [5]. Sie soll eine

  1.  freie
  2. funktionale
  3. temporäre
  4. kleine

Assoziation sein (Ward 2010). Frei bedeutet hier, dass es keinen Zwang oder gesellschaftlichen Druck zur Mitgliedschaft gibt und keine Assoziation von außen verhindert wird (zum Beispiel durch ein Gewerkschaftsverbot). Funktional zielt auf eben jene Charakteristik ab, die schon Max Weber in den Vordergrund stellte: die Relation von Zweck und Mitteln. Die Assoziation soll lediglich jenen Zwecken dienen, für die sie von ihren Mitgliederinnen vorgesehen ist. Die letzten beiden Punkte, Temporalität und kleine Größe, der anarchischen Organisation, dienen dazu oligarchische oder anderweitige hierarchische Formationen im Keim zu ersticken.

An Wards Kriterien wird bereits deutlich, worauf die anarchistische Kritik abzielt. Durch diese Einschränkungen soll verhindert werden, dass sich das Prinzip einer Organisation verselbstständigt. Diese Verselbstständigung ist, was der Anarchismus befürchtet, und der Grund warum der Anarchismus jeden Staat ablehnt. Der Staat entwickelt seine eigenen Zwecke, die nicht mehr jenen der Einzelnen entspricht:
"Da der Staat sein eigenes oberstes Ziel darstellt, ist alles, was der Entwicklung seiner Macht günstig ist, gut; alles, was dieser Entwicklung entgegensteht, selbst wenn es die humanste Angelegenheit der Welt wäre, ist schlecht. Diese Art Moral nennt man Patriotismus." (Bakunin 2007: 89)
Ganz ähnliche Überlegungen trieben Stirner an seinen Verein von der Gesellschaft in Abgrenzung zu beschreiben:
"Ist die Gesellschaft mehr als Du, so geht sie Dir über Dich; der Verein ist nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft verschärfst und vergrösserst; der Verein ist für Dich und durch Dich da, die Gesellschaft nimmt umgekehrt Dich für sich in Anspruch und ist auch ohne Dich; kurz die Gesellschaft ist heilig, der Verein dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du." (Stirner 2008: 351)
Wir sehen hier auch wiederum, dass von einer anarchischen Organisation gefordert wird ausschließlich die Zwecke ihrer Mitglieder
innen zu verwirklichen. Dafür gibt es einen guten Grund: Es sind allein die Interessen von Einzelnen, welche in letzter Instanz von Interesse sind. Wird das scheinbare Interesse einer Organisation erfüllt ist noch kein lebendiges Interesse erfüllt. Erst die Einzelnen sind es, die den Interessen von Organisationen lebendig erscheinen lassen. Diesen Scheininteressen zu folgen, bedeutet, sich dem Sachzwang zu unterwerfen, und dieser Sachzwang kann, wie Bakunin schon anmerkte, äußerst grausam sein. Herrschaft ist hier nicht, die aktive Unterwerfung von einem oder mehreren Individuen, durch ein oder mehrere andere, sondern der stille Gehorsam gegenüber dem was die verdinglichte Organisation abverlangt. Wir enden in einer freiwilligen Knechtschaft [6].

Das Prinzip, dass Organisationen nur der Verwirklichung der Zwecke ihrer Mitgliederinnen dienen soll, ist in den momentanen Verhältnissen kaum verankert, ja geradezu unbekannt [7]. Angesichts dessen sind sie auch in neuren sozialwissenschaftlichen Untersuchungen eine Seltenheit. In der systemischen Organisationstheorie wird Zweckrationalität zugunsten der Idee von verselbstständigten Organisationen [8] gar komplett verworfen:
"Die Zweckrationalität von Organisationen ist ein Mythos, […]" (Simon 2009: 29)
Allerdings ist gerade diese Organisationstheorie stark an Firmen und Behörden orientiert, jenen Organisationen, die von anarchistischen Strömungen strikt abgelehnt werden. Dennoch sollte von Anarchist
innen damit das Problem der verselbstständigten Organisationen, nicht mit dem Verweis wir organisierten uns anders auf die leichte Schulter genommen werden. Allzuschnell wird aus einer anarchischen eine verselbständigte Organisation:
"Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, dass aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein" (Stirner 2008: 342)
So gibt es neben den vier von Ward aufgestellten Bedingungen für eine anarchische Organisation, zumindest noch eine weitere: Die Wachsamkeit der Mitgliederinnen und ihre aktive Arbeit an einem anarchischen Zustand. Das rastlose Denken ist nicht weniger als eine Notwendigkeit anarchischer Organisation. Anarchismus heißt Bewegung.

[1] Insbesondere der insurrektionalistische Diskurs hat sich hier hervorgetan, für eine Darstellung der momentanen Situation siehe Gelderloos 2010.

[2]"Bei allen Herrschaftsformen ist die Tatsache der Existenz des Verwaltungsstabes und seines kontinuierlich auf Durchführung und Erzwingung der Ordnungen gerichteten Handelns für die Erhaltung der Fügsamkeit vital. Die Existenz dieses Handelns ist das, was man mit dem Wort »Organisation« meint." (Weber 2008: 196)

[3] Nicht menschliche Tiere werden bei Weber außen vorgelassen, bzw. unter Dinge subsummiert.

[4] Die Beispiele hierfür strecken sich nicht nur über den klassisch organisierten Anarchismus, wie zum Beispiel die Syndikate, sondern auch über die individualanarchistischen Vereine, sowie das Prinzip des Black Bloc.

[5] Das Muss ist hier sehr weit gefasst, denn nicht alle anarchistischen Organisationen halten sich an alle dieser recht vagen Grundpunkte. Dennoch möchte ich diesen Organisationen nicht komplett ihren anarchistischen Charakter absprechen. Schließlich existiert keine Person oder Menschengruppe die vollkommen frei von Herrschaft ist.

[6] Der Begriff der freiwilligen Knechtschaft stammt von Étienne de La Boétie, der jedoch Herrschaft noch stärker personal denkt (Boétie o. J.).

[7] In einem gewissen Sinne ist diese Art von Zweckrationalität durchaus bekannt, als Ideologie, als falsche Vorstellung über die Natur der staatlichen Organisationen.

[8] Im Anschluss an Niklas Luhmann lassen sich solche Organisationen auch als autopoietisches Systeme verstehen.

Literaturverzeichnis:

Bakunin, Michail (2007): Marxismus – Freiheit – Staat. In: Borries, Achim von und Weber-Brandies, Ingeborg (Hg.): Anarchismus – Theorie Kritik Utopie. Nettersheim: Graswurzelrevolution Verlag: 87-93.

Gelderloos, Peter (2009): Insurrection vs. Organization. Elektronisches Dokument. URL: http://theanarchistlibrary.org/HTML/PeterGelderloosInsurrectionvs.O… aufgerufen am 7. 12. 2011.

La Boétie, Étienne de (o. J.): Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen. Elektronisches Dokument. URL: http://www.anarchismus.at/anarchistische-klassiker/weitere-anarchistisch…. aufgerufen am 13. 12. 2011.

Simon, Fritz B. (2009): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg: Carl Auer Verlag.

Stirner, Max (2008): Der Einzige und sein Eigentum. Stuttgart: Reclam Verlag.

Ward, Colin (2010): Anarchism as a Theory of Organization. Elektronisches Dokument. URL: http://theanarchistlibrary.org/HTML/Colin_WardAnarchism_as_a_Theory_of… aufgerufen am 7. 12. 2011.

Weber, Max (2008): Wirtschaft und Gesellschaft. Frankfurt am Main: Zweitausendeins Verlag.

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1up, One United Power Film geleaked

Wie bestimmt schon einige von euch mitbekommen haben, ist die neue 1up DvD auf Youtube geleaked worden und in einzelnen Teilen zum ansehen verfügbar. Ich hab mir gerade den Berlin Teil teilweise angesehn, und zwar nur desswegen weil Ich mich auf die DVD Qualität freue. Schaut sie euch evtl. online an, aber in diesem Falle sei es euch wirklich ans Herz gelegt die DVD zu bestellen. Vor allem auch wegen dem unglaublich geilen Booklet. Straßen müssen Farbe sein…

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