Jetzt gibt die bürgerliche Presse schon der Kälte die Schuld an den erfrorenen Obdachlosen!

„Kältewelle lässt Obdachlosenunterkünfte aus allen Nähten platzen!“ konnte man gestern der Dauerpropaganda-Bestrahlung der U-Bahn entnehmen. Wie muss man sich das wohl vorstellen? Hat ein Herr Kältewelle den Brief mit dem Räumungsbescheid abgeschickt und ihn dann zusammen mit der Firma Tiefdruckgebiet durchgesetzt? Hat die Kältewelle eine Wirtschaft eingerichtet und die Leute aufs Zurechtkommen in ihr festgelegt, in der viele eben das – aufgrund von Leistungsdruck, fehlenden Jobs, Armut – nicht mehr können und deswegen „Aussteiger“ werden bzw. dazu gemacht werden? Hat die Kältewelle die Leute kaputtgemacht, ihnen die Kontos geleert, so dass sie sich nun als Junkies und Bettler als absoluter Bodensatz einer der reichsten Gesellschaften des Erdballs herumtreiben und reihenweise erfrieren, wenn die kältesten Tage des Jahres kommen?
Davon, dass die bürgerliche Presse von all den realen Gründen für den persönlichen und finanziellen Ruin der Leute, die in der Art, wie hierzulande gewirtschaftet wird, nichts wissen will, zeugt eine selten dämliche Überschrift, die genau am Endpunkt der Entwicklung ansetzt und diesen als nicht zu hinterfragend natürlich darstellt. Fallende Temperaturen kann man eben nicht kritisieren.

Der zynische Witz an der Geschichte ist übrigens, dass diejenigen, die die Konkurrenz noch nicht kaputtgemacht hat und deren Finanzen ausreichen, um nicht die nackte Lebensgefahr aufgrund von tiefen Temperaturen aufkommen zu lassen, zu Hause auch nicht unbedingt eine „warme Stube“ vorfinden. Bei steigenden Heizkosten und der daraus folgenden Ungewissheit, ob man sie bezahlen kann, tauschen viele die Jacke gegen einen dicken Pullover und dicke Socken ein, frieren also auf einem anderen Niveau weiter – obwohl die technischen Voraussetzungen in der Wohnung und den Heizwerken dies überhaupt nicht erzwingen.


13 Antworten auf “Jetzt gibt die bürgerliche Presse schon der Kälte die Schuld an den erfrorenen Obdachlosen!”


  1. 1 Riddick 04. Februar 2012 um 20:07 Uhr

    Die Öffentlich kennt das Wetter auch in der Logik: Wetter schlecht = Arbeitslosigkeit steigt. Muss ein mächtiges Subjekt sein dieses Wetter.

  2. 2 VieSo 05. Februar 2012 um 19:30 Uhr

    Man kann wohl kaum die bürgerliche Presse dafür kritisieren das zu sein, was sie de jure ist: bürgerlich.

  3. 3 Wendy 06. Februar 2012 um 2:30 Uhr

    Die bürgerlichen Inhalte, nämlich die Verklärung von Folgen kapitalistischer Armut und Psycho-Krise wurde benannnt und – sehr kurz – kritisiert.
    Und ja: Man kann und sollte die bürgerliche Presse für das, was sie darstellt, nämlich die kritische Öffentlichkeit demokratischer Herrschaft, kritisieren. Warum sollte sich das deswgen erübrigen, weil die nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich im Rahmen staatlicher Setzungen entwickelt hat und abspielt? Zumal das Vorhandensein grundsätzlicher Kritik beweist, dass es mit der Gewähr von Meinungsfreiheit (in bestimmten Grenzen) und der Förderung von Kontrolle und Kritik nicht getan ist, sondern noch ein ganzes Stück Eigenleistung der Journaille dazugehört. Insofern erübrigt sich auch an dem Punkt die Kritik nicht.

  4. 4 der Klassensprecher von 1984 06. Februar 2012 um 7:35 Uhr

    Es handelt sich um ein Hochdruckgebiet; ansonsten d‘accord.

  5. 5 eric 06. Februar 2012 um 14:37 Uhr

    die bürgerliche gesellschaft, samt dafür werbender öffentlichkeit, ist dann aber immerhin so gemeinschaftlich und richtet sozialmissionen und kältebusse ein. die herumliegenden erforenen obdachlosen will nämlich auch niemand sehen. selbst im hipp-schmuddeligen berlin nicht. und daran erinnert werden, dass eben jene missionen regelmäßig um die eigene finanzierung kämpfen müssen, ist auch nicht so en vogue.

  6. 6 Samson 06. Februar 2012 um 15:54 Uhr

    …und warum halten sich dann im Sommer nicht so viele Menschen in den Obdachlosenunterkünften auf?

  7. 7 Wendy 06. Februar 2012 um 19:27 Uhr

    samson: Weil im Sommer das Überleben sprichwörtlich auf der Straße leichter fällt und sie es sich daher zwei Mal überlegen, ob sie sich Gängelung, Gewalt und Zusammenwohnen auf kleinstem Raum mit (anderen) Bettelarmen, Alkis und Junkies geben wollen. Aber ich würd‘ mich wundern, wenn dir das nicht selbst klar wäre.

  8. 8 still lovin' bambus 21. Februar 2012 um 23:57 Uhr

    @wendy

    Bei Obdachlosen ist aber auch der Standpunkt verbreitet: Nur auf der Strasse bin ich wirklich frei…

  9. 9 Wendy 22. Februar 2012 um 17:59 Uhr

    Ja, auch da wirft sich das bürgerliche Individuum noch einmal in die Pose des selbstbestimmten Lenkers seiner Lebensgeschicke und verklärt sich das elende Leben auf der Straße als selbstgewählte Befreiung von allen bürgerlichen Zwängen und allen möglichen „Besitzständen“ des modernen Lohnarbeiters, die „man ja sowieso nicht braucht“. Wie manche Obdachlose drauf sind, ist jedoch ein völlig anderes Thema als die Masche der bürgerlichen Presse, Verheerungen des Kapitalismus als Verheerungen der Natur darzustellen. Daher verstehe ich dein „aber“ überhaupt nicht.

  10. 10 still lovin\' bambus 23. Februar 2012 um 0:43 Uhr

    das ist text verloren gegangen, sry.

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