euren offenen Brief habt ihr so überschrieben: „Das Märchen von einer sozialen Stadt für alle“. Doch auch wenn ihr einige Tatsachen beschreibt, die darauf hinweisen, dass es Leute mit kleinem Geldbeutel in Potsdam nicht gerade leicht haben, entzaubert ihr das Märchen nicht, sondern spinnt es in gutem Glauben weiter. Euer Brief richtet sich an die Leute, die solche Märchen erzählen.
„Es wird weiter fleißig privatisiert, höchst mögliche Rendite aus jedem Stückchen Stadtgrund gepresst und bestehende, kommunale Regularien in Sachen Mietspiegel und sozialer Wohnungsbau werden abgeschafft.“ schreibt ihr ganz richtig. Für euch stellt sich dies jedoch als „Dilemma“ dar, in dem die Politiker stecken. Dieser Beitrag soll beweisen, dass dieses Dilemma nicht existiert und das es ein sinnloses Unterfangen ist, bei der Politik ein anderes Interesse als das an einer florierenden Reichtumsproduktion wecken zu wollen.
Das sind die Politiker, deren ganze Tätigkeit darin besteht, marktwirtschaftliche Verhältnisse und die Verwaltungstätigkeiten des Staates, der diese Verhältnisse zu seinem Nutzen eingeführt hat und nun per überlegener Gewalt garantiert, zu organisieren und am Laufen zu halten. Dass man überhaupt erst in der Situation ist, sich mit etlichen Arbeitsstunden oder Amtsgängen und den daraus folgenden Schikanen die Geldmittel verschaffen zu müssen, um sich eine Wohnung leisten zu können, ist ihr Werk. Sie sind das Herrschaftspersonal einer Gesellschaft, in der es das normalste auf der Welt ist, dass so ein absolut grundlegendes Bedürfnis, wie jenes, ein Dach über dem Kopf zu haben, nur dann realisiert werden kann, wenn der Besitzer des Dachs daraus ordentlich Gewinn schlagen kann. Die meisten Leute sind von der Gefahr der Obdachlosigkeit ein oder zwei (ausbleibende) Gehälter entfernt. Wer nun zu hohe Mieten beklagt, der fordert deren Senkung, lässt den sozialen Gegensatz, der Lohnabhängige immer wieder vor die schwersten Hindernisse stellt, also völlig unkritisiert. Und leistet sich den Fehler, zu denken, dass ein uneingeschränkt geltendes Profitinteresse sich auch soweit zügeln ließe, dass es denjenigen, der mit ihm konfrontiert ist, nichts mehr ausmache. Anders ausgedrückt: Wer glaubt, dass Mieten, die nicht wehtun in dieser Gesellschaft zum Normalfall werden können, der glaubt auch, dass es Löhne geben könne, die auch nur annähernd zur Erfüllung der Wünsche der Lohnarbeiter taugen könnten.
In eurem Brief finden zwar die harten Folgen des sozialen Gegensatzes zwischen Bedürfnis nach Wohnung und dem Willen zum Profit schlagen, Erwähnung, jedoch nicht, wessen Grundgesetz es überhaupt ist, die dem Profitinteresse der Eigentümerseite die ganze staatliche Gewalt schützend zur Seite stellt. Dass es Leute zu Tausenden aus ihren vertrauten Kiezen und geliebten Vierteln vertreibt, weil es andere gibt, aus denen Vermieter noch mehr Geld herauspressen können, ist kein Unfall, kein aus Versehen unberücksichtigter Rattenschwanz, sondern die logische und akzeptierte Folge der beschriebenen Politik. Wenn Mieten gezahlt werden, Vermieter und ihre Unternehmen daran saugut verdienen, floriert ein kapitalistischer Wirtschaftszweig an dessen Geschäftstüchtigkeit und Steuern politisches Interesse besteht.
Meint ihr die Politiker, deren Parteien den „Austausch“ der Bevölkerung ganzer Stadtteile in Berlin ruhig verfolgt haben, lassen sich von der Schilderung der Not in Potsdam beeinflussen? Glaubt ihr echt, dass sich da grundlegend etwas erreichen lässt? Zum Beispiel mit (symbolischen) Hausbesetzungen, die „moralischen Druck“ aufbauen sollen, damit die Politik das Kapital an die Leine legt? Möglich sogar, dass das klappt, aber dann lasst euch versichert sein, dass die Notlage der Lohnarbeiter in den Berechnungen der Politiker keine große Rolle spielen wird…
Dass sich die Bundesrepublik Deutschland (aktuell) nicht massenhaft solcherart soziale Problemfälle leisten will, gilt als anzuerkennende soziale Großtat.
Doch worin besteht die überhaupt? Eine explosive Lage wird entschärft. Man vermeidet die Bildung von Ghettos und Slums, wie es sie fast überall in der kapitalistischen Welt gibt. Man beugt vor, dass Leute versuchen mit nichtlegalen Mitteln ihr Leben meistern.
Und auch die Art, wie die Lage entschärft wird, ist verdammt aufschlussreich. Da wird nicht verfügt, dass Mieten gesenkt oder gar ganz abgeschafft werden. Stattdessen wird ganz Armen nach Nachweis der Bedürfigkeit etwas Geld zur Miete hinzugesponsort oder gleich den Vermietern in die Hand gedrückt (sozialer Wohnungsbau). Das Profitinteresse des Kapitals hat immer und uneingeschränkt Gültigkeit.
Vor diesem Hintergrund erscheint euer Beharren darauf, dass Hausbesetzungen eine Art der „Bürgerbeteiligung“ wären, die doch bitte auch von oben anerkannt werden sollten, als ziemlich absurd. Was die wollen, stellen sie Tag für Tag klar. Und mit dem Zusatz „nicht ganz legal“ ist von ihrer Seite auch alles dazu gesagt ist, ob so eine Art der Bürgerbeteiligung in irgendeiner Art und Weise zum politischen System passt, an dem ihr euch beteiligen wollt.
Der Ruf nach einer „sozialen Stadt“
Was fordert man eigentlich, wenn man verlangt, dass die Mär von der „sozialen Stadt (mit Platz für alle)“ wahrgemacht wird? Es sollte einen stutzig machen, dass in diesen Ruf auch gestandenes Herrschaftspersonal einstimmen kann. Was meinen die, was meint der allgemeine Diskurs, wenn er von „einer sozialen Stadt“ spricht?
Das genaue Gegenteil davon, dass man Wohnraum für die Bedürfnisse der Bevölkerung geplant, her- und bereitgestellt wird. Die „soziale Stadt“ ist eine Stadt, in der Armut ihren Platz hat – wie und wo, das ist der Inhalt einer Debatte, an der man nicht konstruktiv teilnehmen sollte. Ihr moniert den Wegfall von Sozialwohnungen, also den Umstand, dass es unleugbar für die ärmsten Schichten des Proletariats noch schwerer wird, sich Wohnungen, die nicht komplett ab vom Schuss oder gar in einer anderen Stadt sind, zu beschaffen. Da fällt also das Mindeste vom Mindesten, kleine, schlecht gebaute und im Vergleich zu dem, was ohne weiteres gesellschaftlich machbar wäre (und ist, wenn der Geldbeutel es zulässt), miserabel eingerichtete Wohnungen in Vierteln, die nicht allzu toll sind, weg. Das kann man zur Kenntnis und als Beweis dafür nehmen, wie die Politik ein Herz für die gesellschaftliche Unterschicht entdeckt. Sie also als solche in ekligen Zuständen erhalten will. Als Leute, denen zwar nicht mehr Geld in der Tasche oder ein menschenwürdiges Leben, aber eben ein Platz irgendwo in der Stadt zusteht. Klar, man braucht sie ja auch und gerade die Leute, die aus Geldmangel mit den öffentlichen oder dem Rad zur Arbeit fahren, müssen auch halbwegs nah an dieser wohnen…
Wer fordert, dass die Regierenden sich ihrer angeblichen Verantwortung bewusst werden und sich verstärkt um die Leute kümmern, die in den Verhältnissen, die sie fördern, erst arm gewurden und bleiben müssen, der nimmt davon Abstand, Verhältnisse einrichten zu wollen, in denen Armut gar keinen Platz hat, weil man sie mit allen Mitteln, die einer entwickelten Gesellschaft zur Verfügung stehen, bekämpft.
Und außerdem: Wenn denn etwas „unverschämt“ ist, dann ja wohl der Fakt, dass es von den Berechnungen der Herrschaftselite dieses Staates abhängt, wo es sich jemand leisten kann, sein Leben zu verbringen – oder, wie man es von Hamburg über Potsdam bis Berlin zu spüren kriegt, eben auch nicht. Ich hoffe, es fällt euch in Zukunft Besseres ein, als genau an diese Arschlöcher als Bittsteller mit zahmen Forderungen heranzutreten.
Vielleicht habt ihr von den beschriebenen Schweinereien schon eine Ahnung und haltet mit ihr aus irgendwelchen Gründen hinter dem Berg. Die Leute, die mit eurem Brief außer den Politikern angesprochen werden, besitzen jene Art von „Problembewusstsein“ definitiv nicht. Für die gehört es sich eben, dass man sich sein ganzes Leben kaputt arbeitet, um Wohnung, Essen, Kleidung und einmal im Jahr Mallorca zu haben, dann gesundheitlich ruiniert in die Altersarmut zu gehen und 20, 30 Jahre vor den Mitgliedern der Oberschicht ins Gras zu beißen. Ich würde auch gern weniger Miete zahlen, allerdings ist das Grundübel nun mal die Miete selbst. Und das sollte man dann schon mal erwähnen, wenn man über das Thema spricht, damit sich vielleicht irgendwann mal etwas ändert.