27.Juni 1993: Todestag von Wolfgang Grams, RAF

Am 27.Juni 1993 wurde Wolfgang Grams bei einer lange vorbereiteten Staatschutzaktion in Bad Kleinen durch einen aufgesetzten Kopfschuß getötet: Selbstmord in den abschließenden Untersuchungen – und damit offizielle Lesart. Gleichzeitig wurde Birgit Hogefeld, ebenfalls in der RAF organisiert, verhaftet und im November 1996 zu lebenslanger Haft verurteilt. Möglich wurde all dies durch den Verrat des vermeintlichen Genossen, aber tatsächlich langjährigen Spitzel des Verfassungschutzes, Klaus Steinmetz. Wir dokumentieren im folgenden einen Auszug aus der Chronologie der Ereignisse, einen Brief von Birgit Hogefeld und weiterführende links zu den Ereignissen in Bad Kleinen und zur politischen Entwicklung der revolutionären Linken in der Phase der „Antiimperialistischen Front“ der 80er Jahre und der Zäsur der RAF 1992. Bad Kleinen war der Anfang vom Ende der Rote Armee Fraktion und damit das vorläufige Ende revolutionärer Politik in der BRD.

Chronologie der Ereignisse

Sonntag, 27.06.93
In den Nachrichten am späten Nachmittag wird gemeldet, daß bei einer Schießerei am Schweriner See zwei RAF-Mitglieder festgenommen wurden, von denen eines lebensgefährlich verletzt sei. Außerdem sei ein Beamter der GSG 9 ums Leben gekommen. € Am Abend heißt es, die Festgenommene sei Birgit Hogefeld, der zweite – inzwischen an seinen Verletzungen gestorbene – sei Wolfgang Grams. Beide seien durch Hinweise aus »Stasi«-Akten enttarnt worden.
Montag, 28.06.93
Das ARD-Morgenmagazin berichtet, daß am Ort des Geschehens eine dritte Person, die ein V-Mann der Polizei sein soll, anwesend war. € Birgit Hogefeld teilt ihrer Mutter nach Eröffnung des Haftbefehls telefonisch mit, daß sie sich um einen Anwalt für »Klaus aus Wiesbaden« kümmern soll. € Die Verhaftung von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sollte laut Bundesanwaltschaft beim Verlassen der Gaststätte »Waldeck« auf dem Bahnhofsvorplatz durch ein MEK des BKA und im Auftrag des GBA erfolgen. Birgit Hogefeld habe dabei den Schußwechsel eröffnet. € Wolfgang Grams stirbt an seinen Schußverletzungen am Sonntag gegen 18.00 Uhr in der Uni-Klinik Lübeck. € Mehrere Wohnungen im Bundesgebiet wurden ohne richterlichen Beschluß und mit der Begründung, man sei »auf der Suche nach zwei flüchtigen Terroristen«, durchsucht.
Dienstag, 29.06.93
Radio und Fernsehen melden, daß Wolfgang Grams durch einem Kopfschuß gestorben ist. € Die BAW verhängt eine Nachrichtensperre, unklar bleibt deshalb auch, seit wann die Behörden den Aufenthaltsort von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams kannten. € ZeugInnen sagen aus, Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld seien im Bahnhof festgenommen worden. Sie hätten sich zuvor mit einem weiteren Mann getroffen, der in offiziellen Darstellungen jedoch nicht erwähnt wird. € In den Medien wird berichtet, es könnte sich möglicherweise um einen V-Mann des BKA gehandelt haben. Die Schießerei sei wahrscheinlich eine Panne gewesen. Die Festnahme hätte nicht vor der Bahnhofsgaststätte stattfinden sollen, Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld hätten das Feuer jedoch sofort eröffnet. Wolfgang Grams sei über die Treppe auf den Bahnsteig geflohen. Wolfgang Grams habe laut GBA von Stahl den ihn verfolgenden GSG 9-Beamten aus nächster Nähe mit einem »Dum-Dum-Geschoß« erschossen. Es soll ca. 20 Minuten gedauert haben, bis Grenzschutzhubschrauber zum Abtransport der Verletzten eintrafen. Die Festnahme soll bereits für die Nacht auf den 26.06.93 geplant gewesen sein.
Mittwoch, 30.06.93
Die BAW korrigiert ihre Pressemeldung vom 27.06.93 und erklärt nun, die Verhaftung von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sei in der Bahnhofsunterführung erfolgt, nachdem Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld die Gaststätte »Billard Café« zwischen den Gleisen verlassen hätten. Birgit Hogefeld sei überwältigt worden, bevor sie hätte schießen können. € Zur dritten Person wird keine offizielle Erklärung abgegeben, nach ihr wird auch nicht gefahndet. € Alle am 28.06.93 festgenommenen Personen sind wieder freigelassen worden. € Der Bundestagsinnenausschuß beschäftigt sich mit den Vorgängen, die Informationspolitik des Generalbundesanwalts wird scharf kritisiert und sein Rücktritt gefordert.
Donnerstag, 01.07.93
Die Fernsehsendung Monitor veröffentlicht die Aussage einer Zeugin (Kioskverkäuferin), die eidesstattlich erklärt, daß ein Beamter Wolfgang Grams, der reglos auf dem Gleis lag, aus nächster Nähe gezielt in den Kopf geschossen hat. Ein zweiter Beamter schoß mehrmals auf Bauch oder Beine. Diese Aussage hatte sie schon am Abend des 27.06.93 gemacht. € Aus dem Obduktionsbericht vom 28.06.93 geht hervor, daß der tödliche Schuß auf Wolfgang Grams entweder »aus unmittelbarer Nähe« oder als »aufgesetzter« Kopfschuß abgegeben worden sein muß. € Das Bundesinnenministerium behauptet, die Beamten der GSG 9 hätten keinen Schuß aus allernächster Nähe abgegeben, das habe die Befragung aller beteiligten Beamten ergeben. € Der GBA erklärt dem Bundestagsinnenausschuß, die Einsatzkräfte seien sich nicht sicher gewesen, wen sie vor sich hatten. Die Einsatzkräfte der GSG 9 hätten keine schußsicheren Westen getragen. Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams seien nicht durch »Stasi«-Akten entdeckt worden.
Freitag, 02.07.93
Birgit Hogefeld schildert in einem Brief an die Tageszeitung, daß sie festgenommen worden sei, bevor sie sich hätte zur Wehr setzen können. Sie wurde gefesselt. Ihr wurde eine Kapuze über den Kopf gestülpt und um Mund und Nase mit Klebeband verklebt. Später im Auto wurde ihr eine Pistole weggenommen. € Die Staatsanwaltschaft Schwerin bestätigt, daß im Obduktionsbericht der Uni Lübeck Hinweise auf einen Schuß aus nächster Nähe auf den Kopf von Wolfgang Grams enthalten sind. Es sei unklar, aus welcher Waffe und mit welcher Munition geschossen worden sei. € Es wird bekannt, daß noch am 28.06.93 ein Fernsehteam mühelos zwei Dutzend Patronenhülsen vom Tatort aufgesammelt hat. Die für Wolfgang Grams tödliche Kugel war bis nachmittags verschwunden, dann wurde eine Kugel von einem Zeugen gefunden, die möglicherweise die tödliche war. Das LKA Schwerin findet vier weitere Patronenhülsen zwischen den Gleisen. € Den Eltern Grams wurde verweigert, bei der Obduktion anwesend zu sein. Eine zweite von ihnen veranlaßte Obduktion bestätigt den unmittelbaren Nahschuß. Die Eltern erstatten Anzeige gegen Unbekannt wegen Mordes bzw. Totschlags. € Dem GBA wird vorgeworfen, durch seine Informationspolitik einen V-Mann »verbrannt« zu haben. Bundesinnenminister Seiters beauftragt den Präsidenten des Bundesverwaltungsamtes und früheren Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, Grünig, als »unabhängigen« Juristen mit der Untersuchung der Vorgänge. Die beteiligten Beamten wurden bisher nur von ihren Vorgesetzten befragt, nicht vernommen. € Bei der Fraktion der PDS/Linke Liste meldet sich am 02.07.93 ein anonymer Anrufer, gibt sich als »Kollege der in Bad Kleinen eingesetzten Sicherheitskräfte« aus und behauptet, Wolfgang Grams sei unbewaffnet gewesen und ein Kollege habe die Nerven verloren. Ein weiterer Zeuge sagt aus, ein Beamter sei auf den auf dem Gleis liegenden Wolfgang Grams zugegangen und habe ihm die Waffe aus der Hand genommen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin erklärt, damit werde die Wahr- scheinlichkeit größer, daß sich Wolfgang Grams den tödlichen Schuß selbst gesetzt habe. € Bei einer nochmaligen Befragung der beteiligten Einsatzkräfte ergaben sich weder Hinweise auf einen »Nahschuß« noch auf einen Selbstmord von Wolfgang Grams. € Öffentlich bekannt wird, daß im Zuge der Fahndung vom 28.06.93 ein »Verdächtigter« auf der Autobahn durch eine absichtliche Kollision gestoppt und dabei verletzt wurde. € Der GSG 9-Beamte Newrzella wird beerdigt.
Samstag, 03.07.93
GBA von Stahl auf einer Pressekonferenz: Wolfgang Grams hat sich offenbar nicht selbst erschossen und möglicherweise auch nicht den tödlich verwundeten GSG 9-Beamten. Untersucht wird, ob der erschossene GSG 9-Beamte von der Kugel eines Kollegen getroffen wurde. € Der Spiegel gibt bekannt, daß sich ein weiterer Zeuge dort gemeldet hat, der die Aussage der Kioskverkäuferin bestätigt. Einer der eingesetzten Beamten habe Wolfgang Grams aus nächster Nähe erschossen. € Ein Polizeipsychologe kritisiert, daß der Einsatz nicht dokumentiert worden ist.
Sonntag, 04.07.93
Bundesinnenminister Seiters tritt überraschend zurück. € Es wird mitgeteilt, daß das LKA Schwerin Teile eines Projektils an der Stelle gefunden hat, an der Wolfgang Grams lag.
Montag, 05.07.93
Öffentlich bekannt wird: Rund 48 Stunden haben 54 Beamte auf ihren Einsatz in Bad Kleinen gewartet. € Bis Freitag, den 02.07.93, waren die Waffen der Beamten nicht eingesammelt worden. € Laut einer Erklärung des BKA waren zur Versorgung der Verletzten vier Rettungshubschrauber eingesetzt. Ein Sanitäter der GSG 9 und Notärzte führten die Erstversorgung durch. € Die beteiligten GSG 9-Beamten sollen erstmals von der Staatsanwaltschaft Schwerin vernommen werden. Die StA Schwerin fordert von BMI und BKA die Herausgabe der bisherigen Aussageprotokolle und die Namen der Beteiligten, die sie bis zum 04.07.93 noch nicht erhalten hatten. Die Schweriner Staatsanwaltschaft schließt aus, daß Wolfgang Grams Selbstmord begangen hat. € Ein Schweizer Institut soll Kopfhaut und Schädeldecke von Wolfgang Grams kriminaltechnisch untersuchen. € BKA-Präsident Zachert nennt drei Versionen zum Tod von Wolfgang Grams. Er könne sich selbst umgebracht oder der tödliche Schuß könne sich aus der Waffe von Grams gelöst haben, als er auf die Gleise fiel. Auszuschließen sei aber auch nicht, daß Wolfgang Grams von einer anderen Person erschossen worden ist. Das BKA widerspricht Berichten, nach denen Newrzella möglicherweise von seinen Kollegen getroffen worden ist. Newrzella sei von Wolfgang Grams erschossen worden. € Abgeordnete haben den Eindruck, daß von den Behörden vertuscht wird. Sie schließen eine Auflösung der GSG 9 nicht aus. € Am 29.06.93 wurden folgende Untersuchungsaufträge erteilt: 1. an die Universität Münster. Dort soll eine serologische Untersuchung der Waffen und Geschoßteile vorgenommen werden. 2. an den Wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei Zürich (WD). Er soll prüfen, aus welcher Entfernung die tödliche Kugel auf Wolfgang Grams abgegeben wurde und mit welcher Waffe und welcher Munition. € Die Bundesarbeitsgemeinschaft kritische Polizisten erstattet Strafanzeige gegen Innenminister Seiters, GBA von Stahl, die Staatsanwaltschaft Schwerin und unbekannte Polizeibeamte wegen Strafvereitelung. € Bei der dritten Person soll es sich um einen V-Mann des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes handeln. € In einem BKA-Bericht heißt es, Wolfgang Grams sei nicht in Bad Kleinen erwartet worden, seine Identität sei unklar gewesen. € Am 28.06.93 sind die sichergestellten Waffen im BKA routinemäßig beschossen worden.
Dienstag, 06.07.93
Manfred Kanther wird neuer Bundesinnenminister. GBA von Stahl wird in den Ruhestand entlassen. € Noch immer gibt es keine offizielle Äußerung zum V-Mann. € Die beteiligten GSG 9-Beamten werden erstmals in Schwerin vernommen. € Das BKA stellt das Gutachten aus Münster der Öffentlichkeit vor, nach dem Wolfgang Grams durch einen »absoluten Nahschuß« starb. Die »Stanzmarke« weise Übereinstimmungen mit seiner eigenen Waffe auf. Er könne sich selbst versehentlich getötet haben. € Der GBA will sich auch eine Woche nach Bad Kleinen nicht festlegen, ob Wolfgang Grams auf den GSG 9-Beamten Newrzella geschossen hat und ob er überhaupt eine Waffe bei sich hatte. € Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses fordert eine Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden und eine Harmonisierung der Polizeigesetze von Bund und Ländern, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden wieder herzustellen. Die Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne fordert eine parlamentarische Untersuchungskommission. Der Rücktritt des BKA-Vizepräsidenten wird gefordert wegen seiner teils unglaubwürdigen Angaben vor dem Bundestagsinnenausschuß.
Mittwoch, 07.07.93
Bekannt wird: Die Einsatzkräfte haben gewußt, daß es sich bei ihren »Zielpersonen« um Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld handelte und daß der V-Mann geschützt werden müsse. € Der Vergleich der Waffen mit den gefundenen Projektilen ist laut StA Schwerin noch nicht abgeschlossen. € Das Gutachten der Universität Lübeck kommt zu dem Ergebnis, daß der tödliche Schuß weder aus Wolfgang Grams¹ Waffe noch aus einer Polizeiwaffe stammen könne. Der Bauchschuß verlief horizontal durch seinen Körper. Nach Vermutungen von Gerichtsmedizinern kann nur auf den liegenden Wolfgang Grams geschossen worden sein. Auch die Bauchwunde wirkt »wie ausgestanzt«. € Die BAG Kritische Polizisten erklärt, daß Polizisten im Dienst auch andere als ihre dienstlich gelieferten Waffen tragen. Die Gewerkschaft der Polizei erklärt, daß GSG 9-Beamte neben ihren Dienstwaffen auch weitere Waffen mitführen könnten. € BKA-Chef Zachert beschwert sich über die »unerträglichen Vorverurteilungen« der Medien. € Öffentlich wird die Frage gestellt, ob der V-Mann geschossen hat. Seine Vernehmung wird gefordert.
Donnerstag, 08.07.93
Laut Süddeutsche Zeitung war die Festnahme von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams für den 25.06.1993 geplant, habe aber wegen logistischer »Schwierigkeiten« verschoben werden müssen.
Freitag, 09.07.93
Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gibt bekannt, daß sie vom Generalbundesanwalt am 14.05.93 und am 17.06.93 über die bevorstehende Aktion unterrichtet wurde. € Bei einer Nachrichtenagentur geht eine Erklärung der RAF ein, die dazu auffordert, nach der Ermordung von Wolfgang Grams nicht zur Tagesordnung überzugehen. € Der StA Schwerin soll ein Videoband vorliegen, das ein »in dienstlicher Eigenschaft anwesender Zeuge« in Bad Kleinen gedreht haben soll. Außerdem soll ein zweites Video des BKA existieren. Beide Bänder zeigen nicht den Schußwechsel.
Samstag, 10.07.93

Der frühere Justizminister Kinkel erklärte am 10.07.93, er stehe weiter zu seiner Politik der »ausgestreckten Hand« gegenüber der RAF. € In Wiesbaden findet eine Trauer-Demonstration zum Tod von Wolfgang Grams mit ca. 4.000 TeilnehmerInnen und in Bad Kleinen eine Kundgebung statt.
Sonntag, 11.07.93
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Scharping bestätigt, daß es sich bei der dritten Person um einen V-Mann des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz handelt. € Bürgerrechtsvereinigungen fordern die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. € Der Spiegel berichtet, auf dem Videoband, das der Staatsanwaltschaft Schwerin vorliegt, sei manipuliert worden. Die ZDF-Sendung Bonn direkt behauptet, eines der aufgenommenen Videos zeige den Schußwechsel auf dem Bahnhof Bad Kleinen.
Montag, 12.07.93
Auch in einer weiteren Sitzung von Innen- und Rechtsausschuß werden die Ausschußmitglieder nach eigenen Angaben nur unzureichend über den Einsatz informiert.
Dienstag, 13.07.93
Die Bundesregierung spricht den Einsatzkräften, dem BKA und der BAW ihr volles Vertrauen aus.
Donnerstag, 15.07.93
In der Fernsehsendung Panorama wird behauptet, die Festnahme des V-Mannes sei eine Panne gewesen. Er hätte eigentlich die Möglichkeit zur Flucht haben sollen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin fordere von der Redaktion von Panorama die Herausgabe von Name und Anschrift des V-Mannes, da Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft keine Angaben machten.
Freitag, 16.07.93
Birgit Hogefeld wird von Frankfurt nach Bielefeld verlegt, wo sie verschärften Isolationshaftbedingungen ausgesetzt ist.
Samstag, 17.07.93
»Freunde und Freundinnen aus Wiesbaden« veröffentlichen einen »offenen Brief an Klaus S.« und fordern ihn zur Offenlegung seiner Rolle in Bad Kleinen auf.
Montag, 19.07.93
Der Gerichtsmediziner Sellier übt Kritik an den Ermittlungen. Die Bestimmung der Tötungswaffe hätte durchaus sofort nach dem Einsatz erfolgen können. € Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber erklärt am Wochenende vorher, daß er von der Aktion der RAF in Weiterstadt am 27.03.93 keine Kenntnis durch den V-Mann hatte. € Nach Presseberichten sollen bereits Treffen zwischen dem V-Mann und Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im Februar und April stattgefunden haben. In der Tageszeitung wird ein Brief von Klaus S. veröffentlicht, in dem er behauptet, kein V-Mann zu sein.
Dienstag, 20.07.93
Öffentlich bekannt wird das Zwischengutachten des WD der Züricher Stadtpolizei mit dem vorläufigen Ergebnis, daß Wolfgang Grams¹ Waffe mit der »Stanzmarke« nach Form und Ausmaß übereinstimmt. Der Lübecker Gutachter besteht nicht mehr darauf, daß die Druckstelle an Wolfgang Grams¹ Kopf nicht zu seiner Waffe passe. € Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber erklärt, daß im Rhein-Main-Gebiet seit 10 Jahren ein V-Mann für den VS Rheinland-Pfalz arbeitet. € Die Eltern Grams und Newrzella kritisieren die Ermittlungsbehörden. Die Eltern von Newrzella haben bis jetzt keine offizielle Nachricht über die Todesumstände und -ursache ihres Sohnes bekommen.
Donnerstag, 22.07.93
Die Tageszeitung veröffentlicht einen Brief von Birgit Hogefeld, in dem sie klarstellt, daß Klaus Steinmetz der V-Mann ist. € Bundeskanzler Kohl spricht in Hangelar der GSG 9 sein »ganz besonderes Vertrauen« aus. Unter Bezug auf Wolfgang Grams erklärt er, es werde versucht, aus einem Mörder eine Art Märtyrer zu machen. Die Presse wird bei diesem Besuch massiv behindert.
Freitag, 23.07.93
Die StA Schwerin vermutet Absprachen unter den vernommenen Beamten. Der Aufenthalt des V-Mannes ist nach offizieller Darstellung noch immer unbekannt. € Die Eltern Grams erstatteten Strafantrag gegen Kohl wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und des Verdachts der üblen Nachrede, weil er Wolfgang Grams öffentlich zum Mörder erklärt hat. € Die Wochenzeitschrift Freitag veröffentlicht einen anonymen Brief von zwei angeblichen leitenden Beamten des Bundesinnenministeriums, die behaupten, es handele sich bei den Ereignissen in Bad Kleinen um ein Komplott von Regierungsstellen, um das Thema »Terrorismus von links« zum Wahlkampfthema zu machen.Weiter wird behauptet, Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams seien über ein Jahr einer lückenlosen Kontrolle unterlegen.
Dienstag, 27.07.93
Das jetzt bekannt gewordene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Züricher Stadtpolizei besagt, daß der GSG 9-Beamte Newrzella von Wolfgang Grams erschossen wurde.
Donnerstag, 29.07.93
Bekannt wird die Aussage einer weiteren Zeugin, die angibt, daß nach einer Pause im Anschluß an die Schießerei noch ein einzelner Schuß gefallen sei, und damit die Aussage der Kioskbesitzerin bestätigt. € Nach einer Meinungsumfrage glauben 76% der BürgerInnen nicht an eine völlige Aufklärung von Bad Kleinen.
Freitag, 30.07.93
Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber berichtet vor dem Innenausschuß des Landtages über die Aussagen von Steinmetz. Danach habe der V-Mann im Nachhinein zugegeben, von der Aktion der RAF gegen den Gefängnisneubau Weiterstadt am 27.03.93 gewußt zu haben.
Montag, 02.08.93
Der Spiegel berichtet, die Bundesanwaltschaft ermittele gegen Steinmetz wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung«. Die »Pannen« in Bad Kleinen seien auf eine Verwechslung von Wolfgang Grams mit dem V-Mann und einen verstümmelten Funkspruch zurückzuführen. Statt »Zugriff erfolgt wie besprochen« sei »Zugriff erfolgt« übermittelt worden. € Die Verteidigung von Birgit Hogefeld teilt in einer Presseerklärung mit, daß diese bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Schwerin ausgesagt hat, sie habe mindestens einen Beamten mit einer Maschinenpistole gesehen und während des Schußwechsels eine MP-Salve gehört. Dies hatten mehrere andere ZeugInnen auch ausgesagt.
Freitag, 06.08.93
Wolfgang Grams wird in Wiesbaden beerdigt. € Es wird bekannt, daß das BKA im Zusammenhang mit der Ereignissen in Bad Kleinen nach zwei weiteren Personen, die der RAF zugeordnet werden, fahndet. Samstag, 07.08.93 Die beiden weiteren Personen, nach denen jetzt gefahndet wird, sollen laut Süddeutsche Zeitung am 27.06.93 auf dem Bahnhofsvorplatz Bad Kleinen gewesen sein, von wo sie entkommen konnten. € Die Veröffentlichung eines Zwischenberichts der Bundesregierung wird verschoben. Laut Vorabmeldung des Spiegel behauptet der Zwischenbericht, daß der für Wolfgang Grams tödliche Kopfschuß »auf eine Selbsttötung oder einen Unfall zurückzuführen« sei, obwohl die Ermittlungen und Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien.
Freitag, 13.08.93
Es wird bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Schwerin ein Ermittlungsverfahren gegen zwei GSG 9-Beamte (Nummer 6 und Nr. 8; ihre Namen sind nicht bekannt) eingeleitet hat wegen des Verdachts, Wolfgang Grams vorsätzlich getötet zu haben. € Der rheinland-pfälzische Innenminister Zuber hat vor dem Innenausschuß der Verwechslungstheorie (Verwechslung von Wolfgang Grams mit dem V-Mann) widersprochen. Von Birgit Hogefeld und dem V-Mann seien »in den Tagen vor Bad Kleinen hervorragende Videos und Fotos« gemacht worden.
Montag, 16.08.93
Im vorab bekannt gewordenen Zwischenbericht der Bundesregierung werden zahlreiche »Pannen« aufgelistet. Der Bericht enthält zahlreiche Widersprüche, obwohl es sich um die letzte von mehreren Versionen handelt. € Die Tageszeitung zitiert aus einem Brief von Steinmetz, in dem er behauptet, im Chaos nach seiner Festnahme entkommen zu sein. Mehrmals hatte er Kontakt zu Leuten aus Wiesbaden und zu seiner Familie. Ein Treffen einer Person aus Wiesbaden mit ihm hatte stattgefunden. € In einem offenen Brief an die Bundesanwaltschaft verlangen die Eltern Grams Aufklärung darüber, warum in Bad Kleinen – obwohl gesetzlich vorgeschrieben – keine Notärzte vor Ort waren und warum Wolfgang Grams in der Uni Lübeck Gesicht und Hände abgewaschen wurden. Außerdem verlangen sie die Aushändigung des Haftbefehls und des Obduktionsberichts Newrzella.
(…)
Mittwoch 20.10.93
Das mecklenburgische Justizministerium teilt mit, das weitere Teilgutachten aus Zürich liege nun vor und besage, daß außer dem »aufgesetzten Kopfschuß« keiner der anderen Schüsse auf Wolfgang Grams aus einer Entfernung von weniger als 1,5 Metern abgegeben wurde, was die Selbstmordthese stütze.
Freitag, 29.10.93
Der Anwalt der Eltern Grams kritisiert das Verhalten des Justizministeriums von Mecklenburg-Vorpommern, das jeweils nur diejenigen Gutachten-Teile veröffentliche, die die unter Verdacht stehenden GSG 9-Beamten entlasten. Widersprüche in den Gutachten, zum Beispiel die Untersuchung einer »offensichtlich frisch gewaschenen« Hose, würden der Öffentlichkeit vorenthalten, genauso wie ein nachträglich entdecktes Projektil, das weder aus einer Polizeiwaffe noch aus Wolfgang Grams¹ Waffe stamme.
Donnerstag, 18.11.93
Das Abschlußgutachten der Stadtpolizei Zürich liegt jetzt dem Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern vor. Es bestätige die Ergebnisse des vorherigen Teilgutachtens, wonach sich Wolfgang Grams selbst erschossen hat. Genauere Einzelheiten sollen noch mitgeteilt werden.
Samstag, 20.11.93
Teile des Züricher Gutachtens werden der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin heißt es u. a., die Waffe von Wolfgang Grams erzeuge eine Stanzmarke, die »maßtechnisch und morphologisch nicht von der Stanzmarke an der rechten Schläfe von Grams unterschieden werden kann«. Die Schweriner Staatsanwaltschaft hält »eine direkte Fremdbeibringung der Nah-Schußverletzung durch diesen Beamten (exekutionsähnliche Handlung) für praktisch ausgeschlossen. Es gibt somit aus unserer Sicht keine neuen Erkenntnisse, die zwingend gegen eine Selbstbeibringung des Nahschusses durch Grams sprechen würden«. Der WD der Züricher Stadtpolizei teilt außerdem mit, daß die Jacke eines Beamten nach der Untersuchung abhanden gekommen ist. Sie sei vermutlich gestohlen worden.
Montag, 29.11.93
Der Chef der Kriminaltechnik im LKA Sachsen-Anhalt, Lichtenberg, erklärt im Spiegel, von der Stanzmarke könne man gar nicht auf die Waffe schließen, die Schmauchspuren seien entscheidend. Mit einer entsprechenden Untersuchung hätte man die Schußwaffe sehr schnell bestimmen können. Außerdem seien die bisher in der BRD beauftragten Gutachter keine Schußspurenexperten. Laut Spiegel ist der Münsteraner Gutachter Brinkmann ein guter Bekannter des Schweriner Oberstaatsanwalts Schwarz.
Mittwoch, 02.02.94
Der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wird auf Antrag der Bundesanwaltschaft um die Punkte »Verdacht der Teilnahme an der Sprengung des Gefängnisneubaus in Weiterstadt im März 1993«, »Mord« und »sechsfacher Mordversuch« an Beamten der GSG 9 in Bad Kleinen erweitert, obwohl sie zum Zeitpunkt des Schußwechsels gefesselt und mit einer Kapuze über dem Kopf in der Bahnhofsunterführung lag. Die Verteidigung von Birgit Hogefeld gibt bekannt, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz ihr signalisieren ließ, diese Mordanklage sei zu »kippen«, Birgit Hogefeld müsse dazu nur eine gewisse Kooperation, d. h. Gesprächsbereitschaft, zeigen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestreitet dies.
Montag, 14.02.94
Es wird bekannt, daß das Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann Steinmetz wegen des Verdachts der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« und »Nichtanzeigens von Straftaten« von der Bundesanwaltschaft eingestellt worden ist. Der Spiegel veröffentlicht ein Interview mit dem V-Mann, in dem dieser erklärt, er habe von der geplanten Aktion in Weiterstadt vorher nichts gewußt. Seine frühere Behauptung, er habe vorher einen entsprechenden Kassiber erhalten, sei erfunden gewesen. Außerdem schließe er einen Selbstmord von Wolfgang Grams aus.
Samstag, 26.02.94
Die Tageszeitung veröffentlicht Teile einer internen Analyse des BKA, wonach der V-Mann Steinmetz »tragendes Mitglied der RAF« gewesen sein soll.
Montag, 28.02.94
Die Existenz eines derartigen internen Berichtes vom August 1993 wird vom BKA bestätigt.
Donnerstag, 03.03.94
Die Tageszeitung berichtet, ihr liege ein Entwurf des Abschlußberichtes der Bundesregierung zu Bad Kleinen vor. Darin wird den beteiligten Beamten »Ernsthaftigkeit ihres Bemühens um Aufklärung« attestiert und erklärt, Wolfgang Grams habe sich selbst »möglicherweise noch während der Schüsse der Beamten in Suizidabsicht einen Kopfdurchschuß« versetzt. Die Zeugenaussagen seien »ohne Beweiswert«. In diesem Bericht werden nun 10 »Schwachstellen« aufgelistet, u. a. sei der Verbleib von Birgit Hogefeld nach der Schießerei nicht klar gewesen. »Die anschließende Suche, an der sich der Beamte GSG 9 Nr. 6, der Grams sicherte, nicht beteiligte, trug zu Hektik und Nervosität unter den Einsatzkräften bei.« Das Vertrauen in die GSG 9 sei »wieder hergestellt«.
Donnerstag, 07.04.94
Das BKA dementiert Meldungen von Focus, wonach in Bad Kleinen zwei weitere RAF-Mitglieder entkommen seien.
Dienstag, 19.04.94
Nach Pressemeldungen sollen in dem erst am 02.02.94 beschlagnahmten Wagen des V-Mannes Spuren desselben Sprengstoffes entdeckt worden sein, wie er bei der Aktion gegen die JVA Weiterstadt verwendet worden sein soll. Ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wird eingeleitet.
Freitag, 22.04.94
Die Bundesanwaltschaft teilt mit, daß der Nachfolger von GBA von Stahl, Kai Nehm, bereits am 24.03.94 Anklage gegen Birgit Hogefeld u. a. wegen Mordes und sechsfachen Mordversuches im Zusammenhang mit Bad Kleinen erhoben hat.
Montag, 06.06.94
Die Anwälte der Eltern Grams geben auf einer Pressekonferenz neue Fakten bekannt, die die Behauptung, wonach Wolfgang Grams Selbstmord begangen habe, widerlegen. Der Rechtsmediziner Prof. Bonte stellt sein Gutachten vor, das zum Ergebnis hat, daß die Waffe Wolfgang Grams entwunden worden sein muß und aufgrund des vorgefundenen Spurenbildes nicht – wie von der Staatsanwaltschaft Schwerin behauptet – auf dem Boden gelegen haben kann. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse haben die Anwälte der Eltern Grams Strafanzeige gegen alle am direkten Zugriff beteiligten GSG 9-Beamten erstattet wegen eines »vorsätzlichen Tötungsdeliktes«.

Brief aus dem Knast von Birgit Hogefeld, in Erinnerung an Wolfgang Grams:

Jetzt sitze ich an meinem Zellentisch und schaue auf sein Bild – es hängt vor mir an der Wand.
Was für ein Mensch ist Wolfgang gewesen? Vermutlich kannte ihn niemand so gut wie ich und gerade das macht es so schwer, über ihn zu schreiben. Denn egal wo ich anfange und wo aufhöre, am Ende wird es mir vorkommen wie vereinzelte Steinchen eines Mosaiks – das kann wohl auch gar nicht anders sein, denn ein auch nur annähernd vollständiges Bild nachzuzeichnen, erscheint mir unmöglich.
Wolfgang hat – wie viele andere Jugendliche auch – mit Freundinnen und Freunden ganze Nächte lang über seine Träume, Hoffnungen andere Lebensvorstellungen und eine menschliche Welt philosophiert – mit viel Musik hören und machen, mit kiffen und andere Drogen ausprobieren.
Er war sich schon früh im klaren darüber, daß er nicht in diesem auf Leistung ausgerichteten Gesellschaftsmodell, in dem Vorstellungen und Utopien von Menschen nicht zählen, leben will. Dazu haben auch seine Erfahrungen in der Schule, die er fast durchgängig als nackte Unterdrückung erlebt hat, beigetragen.
Gegen Ende seiner Schulzeit schloß er sich der » Sozialistischen Initiative Wiesbaden« an. Das war ein Zusammenschluß ganz unterschiedlicher Menschen aus dem linken und fortschrittlichen Spektrum. In ihr galt der Grundsatz, niemanden auszugrenzen. Von dieser Gruppierung gingen die verschiedensten Initiativen aus. Viele waren im Sozialbereich, also als SozialarbeiterInnen in Jugendzentren oder Obdachlosensiedlungen tätig; es gab aber auch Initiativen zur Irland-Solidarität oder eine Palästina-Gruppe und auch der Hungerstreik der politischen Gefangenen 1974, in dem Holger Meins umgebracht worden ist, wurde von dieser Gruppierung unterstützt. Auch die »Rote Hilfe« ist aus ihr hervorgegangen.
Damals lebte Wolfgang mit Leuten aus diesem politischen Zusammenhang auch zusammen.

Als während des Hungerstreiks 1974 die Zentrale von amnesty international in Hamburg besetzt wurde, um die Forderungen der Gefangenen zu unterstützen, war auch Wolfgang mit mehreren Leuten aus der Roten Hilfe Wiesbaden dabei. Ich glaube, es war das erste von unzähligen Malen, daß er festgenommen worden ist.
Nach dem Abitur hat er als Zivildienstleistender in einem Krankenhaus gearbeitet und später ein Mathematikstudium angefangen, aber sehr schnell wieder abgebrochen. Danach hat er Gelegenheitsjobs gemacht, meistens ist er zwei Nächte in der Woche Taxi gefahren. Er war ein Mensch, der nicht viel Geld zum Leben gebraucht hat.

Angesichts der Brutalität, Unmenschlichkeit und Menschenverachtung dieses Systems sah Wolfgang schon sehr viele Jahre, bevor er selber die Entscheidung getroffen hat, hier bewaffnet zu kämpfen, im Kampf der RAF die adäquate Antwort auf diese Verhältnisse. Er hat Kontakt zu den GenossInnen, die damals in der RAF organisiert waren aufgenommen, denn er wollte die gemeinsame Diskussion und er wollte sie in praktischen Dingen unterstützen.
Im Herbst 1978 wurde Willy Stoll in einem Restaurant in Düsseldorf von Mitgliedern einer Spezialeinheit erschossen – es war die Zeit der »Kill-Fahndung«, d.h. solche Einheiten hatten den Auftrag RAF-Mitglieder nicht lebend gefangen zu nehmen, sondern sie zu erschießen. In dieser Zeit fanden außer Willy auch Elisabeth von Dyck und Michael Knoll den Tod. Rolf Heißler und Günter Sonnenberg wurden bei ihrer Festnahme durch Schüsse in den Kopf lebensgefährlich verletzt.
In einem bei Willy Stoll gefundenen Notizbuch wurden Hinweise auf den Kontakt zwischen Wolfgang und der RAF gefunden und Wolfgang wurde verhaftet und kam nach Frankfurt-Preungesheim in Totalisolation. Ich habe einen seiner ersten Briefe aus dieser Zeit, darin schreibt er:
»(…) alles voller grauer Beton und Gitter, mir fiel sofort das eine Plakat ein »Kulturdenkmäler des Faschismus« oder Imperialismus. So was perverses von »Schutzvorkehrungen« habe ich mir früher nie so richtig vorstellen können: die Vernichtungsmaschine, der Menschenkäfig.«
Und weiter schreibt er, daß es für ihn (und auch für andere) darum geht »zu verstehen, daß das, was wir über dieses System kapiert, gelernt haben uns nie so total direkt getroffen hat (…), daß es kein Sandkastenspiel ist, (…)«

Diese Erfahrungen – die Erschießung von Willy, seine Verhaftung, die Totalisolation und später ein Hungerstreik, um eine Verbesserung der Haftbedingungen zu erkämpfen, haben Wolfgang in seiner Einstellung gegenüber diesem Staat und dem imperialistischen System bestärkt, sie vertieft und sie haben seinen weiteren Lebensweg mit geprägt.
Meine Genossinnen und Genossen aus der RAF haben in einem Brief kurz nach Wolfgangs Tod geschrieben:
»Seine Skepsis gegenüber vorschnellen Entscheidungen, seine Geduld, etwas auch mehr als einmal zu hinterfragen, was von allen anderen Genauigkeit in der Auseinandersetzung gefordert hat und was nicht immer bequem war – damit hat er z. B. dafür gesorgt, alle Aspekte der Situation oder der eigenen Vorstellung anzusehen und nicht nur die Aspekte wahrzunehmen, die einen selbst bestätigen. Auch das wird uns fehlen.«

Als ich diese Zeilen zum ersten Mal gelesen habe, mußte ich innerlich lachen, denn mir sind sofort unzählige Situationen eingefallen, in denen dieses Verhalten auch zu Reibungen geführt hat. Es stimmt, er hat durch seine Fragen viele gute und produktive Diskussionen ausgelöst, aber er tat sich auch schwer, zu politischen Entscheidungen zu finden.
Wolfgang war ein sehr ruhiger, eher in sich gekehrter Mensch. Schon an seiner Art sich zu bewegen, war ihm anzumerken, daß Hektik und jede Form von Streß seinem Naturell zuwider lief. Ich schreibe das hier auch deshalb, weil Menschen, die ihn nicht kannten und denen nur die letzten Minuten seines Lebens bekannt sind, vermutlich ein völlig anders Bild von ihm haben. Ich kannte Wolfgang 18 oder 19 Jahre lang. Er war ein Mensch, dem man grenzenlos vertrauen konnte, von dem seine GenossInnen wußten, daß er jederzeit bereit war, sein eigenes Leben zu geben, um andere zu schützen. Und er war ein Mensch, der sich immer um Übereinstimmung zwischen dem, was er sagte, und seinem Handeln bemüht hat.

Kürzlich las ich in einem Buch folgende Charakteristik: »Ein Wesen, in dem die Liebe verkörpert war, nicht nur zur Menschheit, sondern zum einzelnen Menschen« – ich mußte dabei sofort an Wolfgang denken, denn es beschreibt den Wesenszug, den ich an ihm am meisten mochte. Wenn ein Mensch, der einem sehr nahe steht stirbt, ergibt sich wie von selbst, daß man darüber nachdenkt, welche Eigenschaften dieses Menschen in einem selber weiterleben sollen; bei mir ist es vor allem eben diese Eigenschaft, daß Wolfgang nie den anderen Menschen aus dem Auge verloren hat – selbst im Streit nicht. Das war auch in unseren politischen Zusammenhängen nicht immer selbstverständlich.

Auf seinem Grabstein werden die Zeilen des türkischen Dichters Nâzžm Hikmet stehen:

Leben. Wie ein Baum, einzeln und frei
und brüderlich wie ein Wald,
diese Sehnsucht ist unser!


weiterführende Links:

- Text von „Kein Friede“ aus dem Jahre 1994 zu den Ereignissen in Bad Kleinen, zu Steinmetz und der Politik der RAF
- Video, das zum 10-jährigen Todestag von Wolfgang erstellt wurde
- Buch als webfassung „Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams“ der Redaktionsgruppe Jitarra

FIGHT BACK: Pressemitteilung der Soligruppe + Demo am 26.Juni


Am 26. Juni wird in Darmstadt eine Demonstration als Auftakt der Kampagne „Repression gegen Linke und Antifaschistische Strukturen stoppen!“ stattfinden. Die Auftaktkundgebung ist um 14:00 Uhr am Hauptbahnhof. Anlass zu der Kampagne geben vor allem mehrere Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen AntifaschistInnen, die im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung bei einem Fußballspiel des DJK/SSG Darmstadt gegen Eintracht Wald-Michelbach am 21.11.2009 stehen.

Wir möchten im Zuge der Kampagne den politischen Hintergrund dieses Vorfalls in den Vordergrund rücken. Dieser wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen oder sogar geleugnet. Im Darmstädter Echo vom 24. November 2009 hatten sich unbekannte AntifaschistInnen bereits zu der Aktion bekannt und deutlich gemacht, dass die Aktion einen antifaschistischen Hintergrund hatte. Auch auf einem Foto, welches sich in dem Fan-Forum ultras.ws findet, ist das Grüppchen deutlich mit einer schwarz-weiß-roten Reichsfahne zu sehen, wie sie heutzutage nur noch von Nazis genutzt wird


(Quelle: http://www.ultras.ws/djk-ssg-darmstadt---eintracht-wald-michelbach-211109-t6923-s16.html).

In einem Schreiben der Polizei an mehrere der Angeklagten, in dem ihnen die Begründung für die Ablehnung ihres Widerspruchs gegen die Speicherung der Daten der erkennungsdienstlichen Behandlung mitgeteilt wurde, wird dennoch geleugnet, dass es bei dieser Gruppe auch nur teilweise um Nazis gehandelt haben könnte. Begründet wird dies damit, dass die Vereinsfarben von Wald-Michelbach eben schwarz-weiß-rot seien. Das ist aber einfach nicht wahr, diese sind nur schwarz-rot (Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Eintracht_Wald-Michelbach).

Die Person ganz links auf dem Bild trägt zudem eine schwarze Fahne mit dem weißen Aufdruck „Odenwald“ in alt-deutscher Schrift. Dies mag unproblematisch wirken, es handelt sich jedoch um eine Fahne der so genannten „Freien Kräfte/Freien Kameradschaften“ und ein eindeutig rechtsradikales Symbol, welches auf jedem Naziaufmarsch zu sehen ist. Es ist also mehr als offenkundig, dass es sich hier um eine politische Auseinandersetzung gehandelt hat. Die Hausdurchsuchungen und Strafverfahren sind also eindeutige Angriffe gegen linke und antifaschistische Strukturen. Wir solidarisieren uns mit den von Repression getroffenen AntifaschistInnen und fordern die Einstellung der Strafverfahren!

red.concerts presents: FIGHT BACK Solikonzert!!!

GEGEN REPRESSION – GEGEN NAZISTRUKTUREN

Solikonzert am 2.Juli in der Oetinger Villa mit

47Million Dollars (DAHC)

CLASS WAR KIDZ (Anarchist Punk‘n'Roll aus Kanada)

vorher Veranstaltung „NS-Hardcore ausschalten

Beginn
Veranstaltung: 19:30
Konzert: 21:00

mehr infos zu den Ermittlungen gegen darmstädter AntifaschistInnen

HAUSBESETZUNG BEENDET: Erklärung der BesetzerInnen von N5

„Die Besetzung in der Neckarstraße 5 wurde heute beendet. Morgen ist
deswegen eine Demo um 19:00 Uhr am Marktplatz.
Hier der Bericht der BesetzerInnen aus der Neckarstraße:

In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni haben wir die Neckarstraße 5
besetzt. Diese Aktion haben wir durchgeführt. um die herrschenden
Eigentumsverhältnisse praktisch zu kritisieren. indem wir uns leer
stehenden Raum aneignen.
Die Aktion begann mit einer Party, an der sich im Laufe des Abends um
die 150 Leute beteiligten. Geplant waren für die nächsten Tage ein
sowohl kulturelles Rahmenprogramm, als auch gemeinsames Essen, Vorträge,
Diskussionen, Filme und Partys. Aus folgenden Gründen sahen wir uns
gezwungen, das Haus am folgenden Tag wieder zu verlassen.
Ab halb acht war immer mehr Polizei vor Ort und verhinderte das Betreten
des Gebäudes durch Personenkontrollen und Platzverweise, so dass keine
externe Unterstützung der Besetzung mehr möglich war. Es konnten keine
Menschen mehr ins Haus gelangen und allmählich stellte sich ein Mangel
an Nahrung und Wasser ein. Außerdem stellte sich im Laufe der
Verhandlungen mit der Polizei heraus, dass sich die Besitzverhältnisse
des Hauses kurzfristig geändert hatten. Der neue Besitzer war nicht
verhandlungsbereit und behauptete konkrete Nutzungspläne in naher
Zukunft zu haben. In dieser Situation sahen wir keine Möglichkeiten die
Besetzung längerfristig aufrecht zu erhalten. In den Verhandlungen mit
der Polizei wurde uns schließlich in Anwesenheit der Presse garantiert,
dass es keine Anzeigen wegen Hausfriedensbruch geben werde und dass wir
alle mitgebrachten Sachen wieder mitnehmen konnten. Zudem garantierte
der Einsatzleiter der Polizei, dass es morgen zu Verhandlungen mit dem
Oberbürgermeister kommen soll, um ein adäquates Ersatzobjekt zu finden.
Allerdings mussten alle Personen in Haus ihre Personalien abgeben.

Dieses Angebot der Polizei verstehen wir durchaus als eine Taktik, um
uns schnell und unkompliziert aus dem Haus zu entfernen. Wir sahen
jedoch in der Situation keine sinnvolle Alternative. Um unser Missfallen
über diese Entwicklung auszudrücken, und um unsere Forderung nochmal zu
unterstreichen, rufen wir deshalb am morgigen Freitag zum Demonstrieren
auf. Los geht’s um 19:00 Uhr auf dem Marktplatz.

Nach der Räumung ist vor der Besetzung!“

HAUSBESETZUNG IN DARMSTADT

Heute Nacht wurde das zuvor leer stehende Haus in der Neckarstraße 5 in Darmstadt besetzt. Ziel der Aktion ist es vorrangig Wohnraum zu erschließen, aber auch Raum für alternative Kultur und politische Arbeit zu schaffen. Besonders wichtig ist dabei, ein politisches Statement abzugeben, also Wohn- und Städtepolitik inhaltlich zu thematisieren.

Was geschieht nun?

Für die ersten Tage gibt es schon jetzt ein Programm online. Es soll sowohl inhaltliche Veranstaltungen, als auch mehrere Partys, ein tägliches Cafe, Vokü und vieles mehr geben.

Sollte es innerhalb der ersten Tage zu einer Räumung kommen, wird schon jetzt zu einer Demonstration am Freitag, dem 4. Juni um 19:00 Uhr aufgerufen.

Weitere Infos findet ihr auf diesem blog

WOHNRAUM FÜR ALLE!!!
SELBSTVERWALTETE ZENTREN ERKÄMPFEN!!

www.neckar5.blogsport.de

Polizeibericht: 03.06.2010 | 10:10 Uhr
POL-DA: Personengruppe besetzt Haus in der Darmstädter Innenstadt
Darmstadt (ots) – Seit dem späten Samstagabend wird in der Darmstädter Neckarstraße ein seit längerem leerstehendes Bürogebäude durch eine Personengruppe besetzt. Die Polizei steht mit den Besetzern in Kontakt. Ein Sprecher der Gruppe gibt an, auf die Wohnraumnot in Darmstadt aufmerksam machen zu wollen. Die Personengruppe will mit dem Hauseigentümer und dem Oberbürgermeister Gespräche führen. Die Besitzverhältnisse für die Liegenschaft werden derzeit ermittelt.

ots Originaltext: Polizeipräsidium Südhessen

DOKUMENTATION: Erklärung von einigen, die in der RAF organisiert waren

Neue Prozesse, Zeugenladungen und Beugehaftandrohungen: Etwas zur aktuellen Situation ?
von einigen, die zu unterschiedlichen Zeiten in der RAF waren

Seit nunmehr drei Jahren spekulieren Staatsschützer und Medien darüber, wer im Einzelnen vor mehr als dreißig Jahren die Schüsse auf Siegfried Buback und Hanns Martin Schleyer abgegeben hat. Ermittlungsbehörden bemühen sich, weitere RAF-Aktionen nach Indizien zur Täterschaft abzuklopfen. Kaum haben die letzten Gefangenen aus der RAF den Knast hinter
sich gelassen, sehen sich die einen mit neuen Verfahren konfrontiert, während die anderen mit Zeugenladungen und Beugehaftandrohungen belegt werden. Nach der ersten Welle im Sommer 2007, im Ermittlungsverfahren gegen Stefan Wisniewski, läuft seit Ende 2009 der zweite Versuch, Aussagen von uns zu bekommen, formell im Verfahren gegen Verena Becker. Verena Becker war 1977 in der RAF, 1983 haben wir uns von ihr getrennt. Demnächst wird ihr ein neuer Prozeß gemacht, offensichtlich nur als Auftakt zu weiteren Prozessen. Gegen Stefan Wisniewski und Rolf Heißler wird weiterhin ermittelt.

Vordergründig geht es darum, individuelle »Schuldzuweisungen« zu bekommen, also Beteiligte unter Druck zu setzen und zum Reden darüber zu bringen, wer genau was gemacht hat. Über 30 Jahre war es allen ziemlich egal, wer wofür verurteilt wurde. Hauptsache, sie verschwanden hinter Schloß und Riegel. Seit dem Medienspektakel zum »Deutschen Herbst« in 2007 ist das »Ringen um Klärung« plötzlich zur Gretchenfrage geworden. Es reicht nicht, daß wir uns kollektiv für die Aktionen der RAF verantwortlich erklärt haben. Wir sollen »endlich« einmal auspacken, um, wie es heißt, »aus der Logik der
Konspiration auszusteigen«.

Worum es hier wirklich geht, ist, die Auseinandersetzung mit der Geschichte bewaffneter Politik auf die Ebene von Mord und Gewalt runterzuziehen. Eine Ebene, auf der Zusammenhänge auseinandergerissen und nur noch kriminalistisch abgewickelt werden, damit erst gar kein Raum entsteht, in dem andere als die vorgegebenen Überlegungen angestellt werden.

Für manche sollen wir uns einer »Diskussion« »stellen«, deren Bedingungen schon von vornherein festgelegt sind und den Zweck haben, die Aktionen der RAF durch Personalisierung zu entpolitisieren. Oder wie die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar dazu meinte: »Von möglichen politischen Motiven in diesem Krieg aber wird bald nichts mehr zu erkennen sein. (…) Die Individualisierung und Privatisierung des deutschen Terrorismus ist dessen letztes Stadium. Was gegenwärtig mit ihm geschieht, ist ein Fall angewandter Geschichtspolitik: von rückwirkender Verwandlung des Politischen ins Persönliche.« (24.April 2007)

Von uns wird eine »geschichtliche Bewältigung« verlangt, die keine ist. Ein »Schlußstrich«, an den sich sonst niemand hält und dessen Voraussetzungen nicht einmal zur Debatte stehen. Es ist nochmal ein großangelegter Versuch, reale Erfahrungen zu
verschütten, Lernprozesse zu verhindern, die unterschiedlichen Kämpfe voneinander zu isolieren.

Das wäre er dann, der Punkt. Eine Story, von der nichts bleibt als Selbstbezichtigung und Denunziation.

Auslöser dieser ganzen Sache war die Vorbereitung einer Kampagne, die dazu angesetzt war, Öffentlichkeit für das geplante Spektakel im Herbst 2007 und die darauf folgenden Filmproduktionen herzustellen. Zwischen Ende 2005 und Ende 2006 haben Spiegel-Mitarbeiter nichts unversucht gelassen, uns für eine von Stefan Aust redigierte Fernsehserie zu gewinnen. Es mußte etwas Neues her, um die Kampagne zu füttern. Anekdoten, Tratsch, Interna, die den kaputten »Zeitzeugen« vielleicht noch etwas Glaubwürdigkeit verschaffen könnten.

Bekanntlich ist daraus nur eine Wiederaufbereitung alter »Enthüllungen« geworden, aber in der Zwischenzeit wurde Austs Protegé Peter-Jürgen Boock vorgeschoben, um sich der »Opfer der RAF« anzunehmen. Nachdem aus den »Experten« und »Kronzeugen« nichts Neues mehr rauszuquetschen war, wurde von einigen Politikern die Forderung aufgestellt, Gefangene
aus der RAF nur noch freizulassen, wenn sie »Roß und Reiter« nennen. Diese Gelegenheit wurde von Boock genutzt, um ab Ende März 2007 den Sohn des Generalbundesanwalts für seine soundsovielte Täterversion zu instrumentalisieren. Diesmal mit den Namen genau derjenigen, die für die jeweilige Aktion noch nicht verurteilt worden waren.

Für die Medien war es das gefundene Fressen, um das Eene-mene-muh-Spiel anzufangen. Mit einem alten Polizeitrick, der den Spieß einfach umdreht: Bei genügend Unschuldsbeteuerungen würden am Ende die wahren Täter schon übrigbleiben. Einen Tag nach der Talkshow mit Boock Ende April 2007 meldete sich Karl-Heinz Dellwo in einer Panorama-Sendung: »Ich kenne definitiv Fälle, wo Leute vollständig unschuldig waren und über lange Zeit für andere im Gefängnis gesessen haben.« Auf die Frage, ob wir Namen nennen sollten, antwortete er, »das müssen die Leute für sich selber entscheiden«. Zwei Wochen später ging Knut Folkerts in die Falle und erklärte in einem Interview mit dem Spiegel seine Unschuld in Sachen Buback. Der Bundesanwaltschaft genügte der Medienrummel, um die entsprechenden Ermittlungsverfahren zu formalisieren.

Die RAF hat sich 1998 aufgelöst, begründet aus ihrer Einschätzung der veränderten politischen Gesamtsituation. Die Tatsache, daß es ihre eigene Entscheidung war und sie nicht vom Staat besiegt wurde, ist offenbar noch immer ein Stachel. Daher das ewige Gerede vom »Mythos«, den es zu knacken gilt. Daher die politische und moralische Kapitulation, die da eingefordert wird. Daher die Versuche, die Kriminalisierung unserer Geschichte zum Punkt zu bringen, bis hin zu dem verlogenen Vorschlag einer »Wahrheitskommission«. Während die Fahndung nach den Illegalen, die Hetze in den Medien und die Verfahren gegen ehemalige Gefangene andauern, wird von uns der öffentliche Kotau verlangt. Wo es nach all den Jahren nicht durch »Abschwören« gelaufen ist, sollen wir uns jetzt gegenseitig verpfeifen. Rette sich, wer kann.

Wenn von uns niemand Aussagen gemacht hat, dann nicht, weil es darüber eine besondere »Absprache« in der RAF gegeben hätte, sondern weil das für jeden Menschen mit politischem Bewußtsein selbstverständlich ist. Eine Sache der Würde, der Identität ? der Seite, auf die wir uns gestellt haben.

Keine Aussagen zu machen, ist keine Erfindung der RAF. Es hat die Erfahrung der Befreiungsbewegungen und Guerillagruppen gegeben, daß es lebenswichtig ist, in der Gefangenschaft nichts zu sagen, um die, die weiterkämpfen, zu schützen. Es hat die
Beispiele des Widerstands gegen den Faschismus gegeben. Wer immer hier ernsthaft politisch etwas wollte, hat sich damit auseinandergesetzt und daraus gelernt. In der Studentenbewegung war Aussageverweigerung eine breit begriffene Notwendigkeit, als die Kriminalisierung losging. Seitdem sind Militante in vielen Bereichen damit konfontriert
worden. Genauso ist es für uns in der RAF eine notwendige Bedingung gewesen, daß niemand Aussagen macht. Einen anderen Schutz gibt es nicht ? für die Einzelnen im Knast, für die Gruppe draußen und für den illegalen Raum insgesamt, die Bewegung in ihm, die Strukturen und die Beziehungen.

Aber auch so.

Wir machen keine Aussagen, weil wir keine Staatszeugen sind, damals nicht, heute nicht.

Trotz Rasterfahndung haben es die hochgerüsteten Staatsschutzapparate in all den Jahren nicht geschafft, ein auch nur annäherndes Bild unserer Bewegungen zu bekommen. Auch die, die unter dem Druck der Isolation, der Hetze und der Erpressung zusammengebrochen und als »Kronzeugen« benutzt worden sind, haben nicht dazu beitragen können, das Bild zu
vervollständigen. Die Bruchstücke, die sich der Staatsschutz zur allgemeinen Aufstandsbekämpfung zurechtgebastelt hat, nützen ihm wenig. Von der Vorgehensweise, der Organisation, der Spur, der Dialektik einer Metropolenguerilla hat er keine Ahnung. Es gibt keinen Grund, ihm dabei auf die Sprünge zu helfen. Die Aktionen der RAF sind kollektiv diskutiert und beschlossen worden, wenn wir uns einig waren. Alle, die zu einer bestimmten Zeit der Gruppe angehört und diese Entscheidungen mitgetragen haben, haben natürlich auch die Verantwortung dafür. Wir haben das oft erklärt, und unser Verhältnis dazu ändert sich nicht dadurch, daß die RAF Geschichte ist.

Die kollektive Struktur der RAF ist von Anfang an angegriffen worden. Es durfte sie nicht geben, es mußte das Alte sein, autoritäre Beziehungen, »Offiziere und Soldaten«, Rädelsführer und Mitläufer. So war die polizeiliche Zielsetzung, so war die Propaganda, so ist sie bis heute. Die Justiz allerdings, die sich selbst »an vorderster Front« gegen den »Staatsfeind Nr. 1« sah, war in den Prozessen in Beweisnot, weil sie ohne unsere Mitwirkung nichts in der Hand hatte. Ihre Lösung war der »kollektive« Paragraph 129/129a, mit dem alle für alles verantwortlich gemacht werden konnten. Darauf basierten zum Teil die Urteile, und kriminalistische Einzelheiten wurden nur benutzt, um die politischen Zusammenhänge wegzudrücken.

Dagegen waren die Zeugenaussagen, die wir während der Knastjahre einige Male in den Prozessen gemacht haben, kollektiv bestimmt, als Möglichkeit, öffentlich etwas gegen die fetteste Scheißhauspropaganda zu sagen. Für uns hat es kaum eine Bedeutung gehabt, wie die Zuordnungen und Konstruktionen der Staatsschutzsenate im Einzelnen aussahen. Wir
waren im Knast, weil wir hier den bewaffneten Kampf angefangen haben, und in den Prozessen ging es uns höchstens darum, Inhalt und Ziele unserer Politik zu vermitteln. Einer Politik des Angriffs in der Metropole, die ihre Praxis im Zusammenhang weltweiter Kämpfe um Befreiung vom Kapitalismus begriffen und bestimmt hat.

Wenn es noch etwas zu sagen gibt, dann dazu.

Mai 2010

FREIHEIT IST NUR MÖGLICH IM KAMPF UM BEFREIUNG!!!

ANKÜNDIGUNG

Veranstaltungsreihe
„Antiimperialistischer Widerstand & Internationale Solidarität“

Film: „Standard Operating Procedure – Standard Vorgehensweise“

Dokumentation über die Folterungen im irakischen Militärgefängnis Abu Ghraib, anschließend Diskussion

Veranstaltung: „Venezuela von unten“

Film über die Arbeit von Basisgruppen in Venezuela, anschließend Vortrag zur aktuellen Situation und den Wahlen von Ingo Niebel (Journalist, Historiker, Autor des Buches „Venezuela – Not for sale!“)

ACHTET AUF TERMINE!!!

HAUSDURCHSUCHUNGEN: Presseerklärung der Roten Hilfe

Heute morgen (30.3.2010) wurden in Darmstadt zeitgleich um 6:00 Uhr mindestens vier Wohnungen von der Polizei unter Federführung des Darmstädter Staatsschutzes, Dezernat ZK 10, durchsucht.

Den Betroffenen wird gemeinschaftlicher Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall, gefährliche Körperverletzung und Hausfriedensbruch zur Last gelegt.
Die Ermittlungen richten sich laut der Durchsuchungsbeschlüsse „gegen 20 Personen der Antifa Darmstadt“, die am 21.11.2009 bei einem Fußballspiel ca. 30 rechtsradikale Anhänger des Vereins Eintracht Wald-Michelbach angegriffen haben sollen.

Drei der Beschuldigten wurden vorläufig festgenommen und zu Befragung und ED-Behandlung in das Polizeipräsidium Südhessen in der Klappbacher Strasse in Darmstadt gebracht. Der vierte wurde bei der Durchsuchung nicht in seiner Wohnung angetroffen. Es wurden ausschließlich Kleidungsstücke beschlagnahmt, welche die Beschuldigten angeblich zur Tatzeit getragen haben sollen.

Keiner der Beschuldigten hat sich zu den Tatvorwürfen geäußert, es wurde lediglich Einspruch gegen die ED-Behandlung und die Speicherung dieser Daten eingelegt. Danach wurden alle wieder auf freien Fuß gesetzt.

Nach Akteneinsicht wird über das weitere Vorgehen entschieden und entsprechende Schritte eingeleitet.

KEINE AUSSAGEN BEI POLIZEI UND STAATSANWALTSCHAFTT!!!

KEINE ZUSAMMENARBEIT MIT STAATLICHEN REPRESSIONSBEHÖRDEN!!!

GETROFFEN HAT ES EINIGE, GEMEINT SIND WIR ALLE!!!



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