Zärtlichkeit und Gewalt: der Männertag

Deutschland - Fußball - Männer - KotzenÄrgernis mit ein paar gelungenen Überlegungen zum Männertag (aus der Einleitung seines Vortrags “Das bürgerliche Subjekt und sein Anderes”):

Ich würde gern mit einer Überlegung zum Männertag einsteigen, den wir vor wenigen Tagen wieder erlebt haben und ich würde mich gern fragen – was passiert eigentlich am Männertag? Ich denke, dass man grundsätzlich sagen kann, dass es dabei irgendwie darum geht, dass sich an einem solchen Tag Männer gegenseitig darin bestätigen, Mann zu sein. Man schließt an so einem Tag bewusst das andere Geschlecht aus und widmet sich zusammen mit anderen Männern explizit männlichen Tätigkeiten. Ich meine, dass der Männertag für ganz viele Männer tatsächlich sehr wichtig ist – gerade weil wir zur Zeit eine Entwicklung erleben, in der das Geschlechterverhältnis überhaupt nicht mehr starr zu bleiben scheint. Es gibt in einem gewissen Sinne ein Verschwimmen der Geschlechtergrenzen – die Homo-Ehe ist anerkannt, viele vormals geschlechtsspezifische Tätigkeiten können inzwischen von beiden Geschlechtern getätigt werden, ohne dass das zu irgend einem Skandal führen würde. Ich denke, dass gerade diese Entwicklung (auf die ich später noch einmal eingehen werde) für viele Männer eine enorme Verunsicherung bedeutet und dass nun solche Anlässe wie der Männertag für viele Männer die Funktion haben, sich in dieser Zeit der Verunsicherung doch ihres Männlichseins zu vergewissern. Sieht man sich solche Sachen wie den Männertag genauer an, dann kann man feststellen, dass da sehr einfache Dinge passieren: Männer rotten sich zu Horden zusammen, gehen Wandern, grölen dabei rum und besaufen sich. Ich würde sagen, dass dieses Rauschhafte, das in den kollektiven Alkoholexszessen liegt, etwas ganz wichtiges für die männlichen Subjekte ist – nämlich aus einem ganz bestimmten Grund; weil dieser Rausch es den männlichen Subjekten erlaubt, sich auf eine körperliche Nähe zu den anderen männlichen Subjekten einzulassen. Es lässt sich immer wieder beobachten – nicht nur beim Männertag, sondern auch bei Fußballspielen, beim Junggesellenabschied, bei Kneipentouren oder bei Rockkonzerten –, dass bei solchen Anlässen ein Rahmen dafür geschaffen wird, dass sich Männer gegenseitig berühren können. Es handelt sich zum Teil um innige, kameradschaftliche Umarmungen oder dass man sich gegenseitig im Arm liegt – auf jeden Fall scheint es bei solchen Anlässen wichtig zu sein, sich gegenseitig zu spüren. Leider ist es so, dass das männliche Subjekt in solchen Momenten eine gewisse Ahnung davon hat, dass es hier um eine verdrängte homosexuelle Neigung geht und das ist eine Ahnung, die das männliche Subjekt nicht zulassen darf. Deshalb gibt es verschiedene Riten, die es verhindern, dass sich die männlichen Subjekte ihrer Homosexualität bewusst werden und diese Riten enden immer wieder in einem Ausbruch von Gewalt. Die Körperlichkeit darf also nur dann zugelassen werden, wenn es sich um eine harte Körperlichkeit handelt. Die Umarmung endet oftmals in einer Kopfnuss, Körperlichkeit auf dem Rockkonzert besteht oftmals im Pogo, der bald vielmehr einer massenhaften Prügelei gleicht. Im letzten Jahr gab es zum Männertag Schlagzeilen, als sich in mehreren Städten aus den Männertagsumzügen Straßenschlachten entwickelt hatten. Letztendlich entlädt sich die nichteingestandene Homosexualität in Übergriffen gegenüber Frauen. Die Gewalt, die sich Männer täglich antun müssen, weil sie nicht passiv, sinnlich und zärtlich sein dürfen und die ganz offenbar wird, wenn tatsächlich eine Nähe zwischen Männern entsteht, wird am Ende den Anderen angetan.

A history timeline of American Imperialism

Es ist ja seit zehn Jahren so richtig aus der Mode gekommen, in der “radikalen” deutschen Linken noch von Imperialismus zu sprechen – nur weil Antiimperialisten, zugegebenermaßen, nicht immer alle Tassen im Schrank haben.

Deshalb ein paar simple Fakten, wovon da eigentlich abstrahiert wird – und wofür diese Linke nicht mal mehr ein Lexem besitzen zu müssen glaubt:

David Harvey – The Crises of Capitalism

In this RSA Animate, radical sociologist David Harvey asks if it is time to look beyond capitalism towards a new social order that would allow us to live within a system that really could be responsible, just, and humane?

Hasbara: Inside the Mind of Mark Regev

Watch the subtitles! ;)

“Von dieser rassistischen Komplizenschaft muss ich mich distanzieren”

Judith Butlers Rede zur Ablehnung des Zivilcourage-Preises auf dem bürgerlichen CSD – mitsamt Gesichtsentgleisung der Veranstalter_innen, die auf die Kritik völlig unsouverän mit Beschimpfung jenes Teils des Publikums reagierten, der es gewagt hatte, dieser bösen Frau öffentlichen Beifall zu spenden:

via SUSPECT/No Homonationalism

Judith Butler verweigert Preisannahme

CSD-Veranstalter bloßgestellt:

Judith Butler [...] hat am Samstagabend einen Zivilcourage-Preis auf der CSD-Bühne am Brandenburger Tor abgelehnt. [...] Die Veranstaltung sei ihr zu kommerziell ausgerichtet und richte sich nicht genügend gegen Probleme wie Rassismus und doppelte Diskriminierung [...]. Ausdrücklich Lob bekamen von Butler Gruppen, die eine Art alternativen Christopher Street Day jedes Jahr in Kreuzberg organisieren. In dieser Berliner Subkultur werde sich noch mit den großen Fragen von Krieg und Frieden und sexueller Identität in einer modernen Gesellschaft auseinandergesetzt. Der alternative, sogenannte Transgeniale CSD findet in diesem Jahr nicht parallel zum großen CSD statt, sondern am 26. Juni.

Wer nicht weiß, wer Judith Butler ist: Eine ARTE-Dokumentation porträtiert die jüdisch-amerikanische Philosophin, Queer-Theoretikerin und, auch wenn das im Film viel zu kurz kommt: Antimilitaristin auf 52 Minuten:

Doppelte Vergesellschaftung von Frauen

Stéphanie Mercier et al., “Girls suck at video games” / “Les filles sont nulles aux jeux vidéo”:

via maledei

Schöner Schwuler Westen, oder: Emanzipation mit einem Preisschild

Auf 2500 Zeichen beschränkter “Tweet” für den diesjährigen Antifee-Reader (Göttingen 2010).

Nordwesteuropäische Gesellschaften halten sich einiges darauf zugute, Homophobie vielleicht nicht überwunden, aber doch in ihren giftigsten Formen zurückgedrängt zu haben. Und tatsächlich findet der Ruf nach Unduldsamkeit, Strafverschärfung und Kastration allmählich immer weniger Widerhall. Allein zwischen 1974 und 1991 sank der Anteil derer, die ihm folgen, in der Bundesrepublik von satten 51% auf 39%. Doch trotz dieses Siegeszugs der „Toleranz“ blieb im selben Zeitraum eine zentrale Dimension von Homophobie nahezu unverändert bestehen: der Wunsch von über 60% der Befragten, soziale Kontakte mit homosexuellen Männern zu meiden, und die Auskunft von mehr als 40%, sich in ihrer Gegenwart „körperlich unwohl“ zu fühlen.1

Zweifellos hat die sexuelle Revolution die Einstellungen zu „Homosexuellen“ nachhaltig liberalisiert. Sie stehen heute vermutlich nicht mehr, wie noch 1969, in der sozialen Rangfolge „niedriger als Prostituierte“.2 Entsprechend spielen auch Selbstakzeptanz-Konflikte für die weiterhin massiv erhöhte Rate an Suizidversuchen unter homosexuellen Jugendlichen nur noch eine untergeordnete Rolle. 80% nennen als ihr Hauptmotiv stattdessen „Einsamkeit“.3 Und das hat Gründe.

„In der Schule ist Freundschaft eine Passion“, schrieb Benjamin Disraeli einst über die tobenden romantischen Leidenschaften zwischen englischen Schuljungen.4 Was ein Roman des 19. Jahrhunderts aber noch als prägende emotionale Erfahrung einer ganzen Altersstufe behandelte, ist laut einer Wiederholungsbefragung Hamburger Sexualwissenschaftler ausgerechnet in den letzten Jahrzehnten zu einer verschwindenden historischen Realität geworden. So sank die Zahl männlicher Jugendlicher, die angaben, sexuelle Erlebnisse mit dem eigenen Geschlecht gesammelt zu haben, ausgerechnet zwischen 1970 und 1990, den Hochjahren der bundesdeutschen „Homosexuellen-Emanzipation“, von 18% auf gerade einmal 2%.5

Von daher sollte man die selbst attestierte Vorbildfunktion Westeuropas für eine nicht-homophobe Zukunft einmal gründlich in Zweifel ziehen. Seine „Toleranz“ kommt mit einem Preisschild: Nach wie vor bindet diese Gesellschaft die Möglichkeit der Erfahrung gleichgeschlechtlicher Liebe an die Pflicht zur Übernahme einer „abweichenden“ sozialen Rolle.6 Die Folge ist nicht nur eine beispiellose historische Verknappung aller damit verbundenen Verhaltensweisen, sondern fast notwendig auch die Unterhaltung einer zumindest „defensiven“7 Homophobie.

Der Verfasser ist Soziologe und Autor des Buchs „Die Vertreibung aus dem Serail: Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt“ (Hamburg: Männerschwarm, 2008).

  1. M. Bochow, „Einstellungen und Werthaltungen zu homosexuellen Männern in Ost- und Westdeutschland“, in: Gefahr von Rechts, hrsg. v. SVD-NRW (Köln 1993), 50 und 55f. []
  2. C. Schulz, Paragraph 175. (abgewickelt) (Hamburg 1994), 41f. []
  3. L. Lähnemann u.a., Sie liebt sie. Er liebt ihn. (Berlin 1999), 71. []
  4. B. Disraeli, Coningsby (Whitefish 2004), 54. []
  5. G. Schmidt, Hg., Jugendsexualität (Stuttgart 1993), 35. []
  6. M. McIntosh, „The Homosexual Role“, Social Problems 16/2 (1968), 182-192. []
  7. G. M. Herek, „Beyond homophobia“, Journal of Homosexuality 10/1-2 (1984), 10f. []

Homophober Moslem, toleranter Westen?

Interview anlässlich eines kürzlich in Halle gehaltenen Vortrags über “Homosexualität” und den Wandel von Gender-Konstruktionen im Iran, wobei die Fragen im Radio noch einen etwas allgemeineren Fokus hatten:

Islamische Staaten geraten durch die Verfolgung „Homosexueller“ immer wieder in den Blickpunkt der Medien. Und wenn sich hierzulande deklassierte Halbstarke aggressiv gegenüber Schwulen zeigen, fragt man reflexhaft nach ihrem „kulturellen Hintergrund“. Dabei ist die klassische türkische und arabische Liebeslyrik voll von gleichgeschlechtlichen Motiven. Die sucht man hingegen in der Literatur des „aufgeklärten“ Abendlands zumeist vergeblich. Georg Klauda stellt in seinem Buch “Die Vertreibung aus dem Serail” die Frage nach dem historischen Anteil des Westens an der Formierung antihomosexueller Diskurse in der islamischen Welt.

Download Homophober Moslem, toleranter Westen?

Die Eingangsfrage – ungefähr: ob man tatsächlich sagen könne, dass Homophobie aus Europa in die islamische Welt exportiert wurde – ist leider abgeschnitten worden. Ich nehme mal an wegen des Hinweises auf den Vortrag in Halle, was für den bundesweiten Programmaustausch der Freien Radios ziemlich ungeeignet war. Und natürlich werden in Iran nicht die meisten geschlechtsangleichenden Operationen nach Iran, sondern nach Thailand durchgeführt. ;)

Ansonsten verweise ich noch mal auf den nächste Woche stattfindenden Vortrag in Köln zum Thema “Orientalismus der (Homo-)Sexualität“.

Judith Butler: Queere Bündnisse und Antikriegspolitik

Keine Ahnung, ob es dafür überhaupt noch Karten gibt:

Judith Butler, die diesjährige Zivilcourage-Preisträgerin des Berliner Christopher Street Day 2010, widmet sich in ihrem Vortrag der Frage, welches Profil eine queere Politik haben muss, die sich als Teil einer Politik gegen den Krieg versteht. Von dieser Frage ausgehend, behandelt die amerikanische Philosophin Aspekte einer queeren Friedenspolitik, die queer nicht als Identitätskonzept, sondern als Bündnisform zu thematisieren sucht. Welche politische Rolle spielt queere Politik in einer Welt, in der Krieg alltäglich erscheint und viele Völker einem ständigen Bedrohungszustand hoffnungslos ausgeliefert sind? Wie muss sich queere Politik angesichts der globalen Herausforderungen der zunehmenden Militarisierung und fortgesetzten Kolonialisierung neu definieren, und ist eine queere Politik denkbar, die nicht zugleich auch eine anti-rassistische Bewegung ist? Wie können wir Bündnissen gegen nationalistische Abschottungspolitik beitreten, wenn diejenigen, für die und mit denen wir kämpfen, unsere Standpunkte nicht immer teilen?

Fr, 18. Juni 2010, 21:00 Uhr, Volksbühne Berlin, Großes Haus.


kurz und klein

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Pro-Deutschland-Klima auf einer linken Buchmesse.

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“An Arabic children’s choir has been racking up views all over the world with the new YouTube hit ‘when we die as martyrs, we will go to heaven.’” (Ha’aretz)

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“Es ist wie ein Termin bei einem Ernährungsberater. Die Palästinenser werden sehr viel dünner, aber werden nicht sterben.” (Dov Weissglas über Aushungerung und kollektive Bestrafung als Zweck der Gaza-Blockade)

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Gideon Levy, Israels wichtigster (und von der politischen Rechten am meisten verabscheuter) Kommentator, bringt die Gaza-Flotten-Affäre auf den Punkt – und höhnt über Benjamin Netanjahu: “All the prime minister’s predictions have come true. He always said the whole world was against us – now he is right.”

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Die zynische Agitation gegen die Gaza-Flotte geht mittlerweile sogar der konservativen Jerusalem Post auf den Zeiger (via).

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Buchtipp

Die Vertreibung aus dem Serail

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