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Politische Biografie und Geschichtsfälschung:

Eine kritische Untersuchung der Trotzki-Biografie von Robert Service

Von David North
5. Juni 2010
aus dem Englischen (6. Mai 2010)

95 Studenten, Akademiker und Arbeiter versammelten sich am Mittwochabend im Sunley Theatre am St. Catherine’s College der Universität von Oxford, um einen Vortrag von David North, dem Vorsitzenden der internationalen Redaktionsleitung der World Socialist Website , über Robert Services Trotzki-Biografie zu hören.

Das Publikum war international zusammengesetzt. Es kamen Zuhörer aus Südafrika, China, Sri Lanka, Indien, der Türkei, aus Frankreich und verschiedenen anderen Ländern. Sie alle hörten eine Stunde lang aufmerksam zu und stellten dann noch eine Reihe von Fragen.

Mehrere Zuhörer waren entweder Studenten von Service oder wussten um seine führende Position im Oxforder Lehrkörper. Ein Fragesteller brachte seine Verwunderung zum Ausdruck, dass Service nicht selbst zu dem Vortrag gekommen war, um sein Werk zu verteidigen.

Frühere Rezensionen und Vorträge von North zu diesem Thema umfassen: "In defence of Trotsky’s "immense and enduring historical significance’", "Historiker im Dienste der ’großen Lüge’" und "Im Dienste der Geschichtsfälschung".

Seit der Veröffentlichung von Robert Services Trotzki-Biografie im letzten Herbst habe ich eine längere Rezension geschrieben und zwei Vorträge gehalten, zuerst in London und dann in Sydney. Dies ist mein dritter Vortrag über dieses Buch. Was, so könnte man sich berechtigterweise fragen, ist dem, was ich bereits geschrieben und gesagt habe, hinzuzufügen? Dieser Gedanke kam mir, als ich mich auf das Treffen heute Abend vorzubereiten begann. Würde ich das, was ich bereits gesagt hatte, wiederholen müssen, wenn auch vor einem neuen Publikum? Das wird, zumindest größtenteils, nicht der Fall sein. Etwas Wiederholung ist unvermeidlich, aber es gibt noch viel Neues zu sagen.

Als ich mich der Biografie des Herrn Service im Abstand von mehreren Monaten erneut zuwandte, wurden mir zwei Dinge klar. Zum einen ist das Buch noch schlimmer, als ich es in Erinnerung hatte. Zum anderen hatte ich noch nicht alle faktischen Fehler, Halbwahrheiten, Entstellungen, Fälschungen und Verleumdungen dingfest gemacht, die sich in Services Biografie finden. Was ich in meiner ursprünglichen Kritik schrieb, war keine Übertreibung: Wollte man jede Aussage, die faktisch unrichtig ist, die notwendige Untermauerung vermissen lässt und allgemein gültige wissenschaftliche Standards verletzt, zurecht rücken, so würde das ein Werk verlangen, das fast genauso umfangreich wie Services Buch ist. Es gibt kein Kapitel, in dem sich nicht Aussagen und Behauptungen finden, die von einem rein professionellen Standpunkt aus vollkommen unakzeptabel sind.

Ich habe zuvor auf einige der bösartigsten Passagen in Herrn Services Biografie aufmerksam gemacht - seine verleumderische Darstellung von Trotzkis Persönlichkeit und Privatleben. Wie Service in seiner Einleitung freimütig gesteht, ist es seine erklärte Absicht, das heldenhafte Bild Trotzkis zu diskreditieren, das durch Isaac Deutschers wegweisende biografische Trilogie ("Der bewaffnete Prophet", "Der unbewaffnete Prophet", "Der verstoßene Prophet") entstanden ist und das eine Generation radikalisierter Jugendlicher in den 1960ern erheblich beeinflusst hat. Services Absicht war es, Trotzki nicht nur als politische Figur in Verruf zu bringen, sondern auch als Menschen, ihn als undankbaren Sohn, treulosen Ehemann, kalten und gefühllosen Vater, rüden, störenden und unzuverlässigen Genossen und schließlich als Massenmörder darzustellen, einen Mann, der "den Terror genoss". (Trotsky, S.497, alle Zitate übersetzt aus der engl. Ausgabe) Kurzum, Trotzki wird als eines der Monster der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts porträtiert. Ich stellte auch Service’ obsessive Beschäftigung mit Trotzkis jüdischer Herkunft zur Debatte, die er auf eine Weise vornahm, die sicherlich nicht verfehlen wird, bei Antisemiten große Begeisterung auszulösen.

Die detaillierte Aufdeckung der Beschmutzung von Trotzkis Persönlichkeit durch Service ließ zu wenig Zeit, um seine Behandlung von Trotzkis Politik und Ideen unter die Lupe zu nehmen. Ich sollte jedoch darauf hinweisen, dass Service erklärt, er sei nicht sonderlich daran interessiert zu untersuchen, was Trotzki sagte, schrieb oder auch tat. Service schreibt, es sei ihm darum gegangen, "das verborgene Leben auszugraben". (S.4) Er erklärt, dass er an dem, was Trotzki in seinen Reden und Schriften verschwieg, genauso interessiert sei wie an dem, was er sagte oder schrieb. Service zufolge waren Trotzkis "unausgesprochene grundlegende Thesen direkter Bestandteil seiner Lebensmischung". (S.5)

Diese Herangehensweise kam Services Absichten sowohl kommerziell als auch politisch entgegen. Zunächst einmal ersparte es ihm die Mühe, Trotzkis Hauptwerke tatsächlich zu lesen, ganz zu schweigen von der systematischen Durchforstung seiner riesigen Hinterlassenschaft veröffentlichter und nicht veröffentlichter Papiere. Wie auch immer, Service wäre nicht in der Lage gewesen, ernsthaft zu recherchieren, selbst wenn er die Absicht gehabt hätte. Seine Trotzki-Biografie wurde nach einem kommerziellen Strickmuster produziert, das er mit seinen Verlegern (MacMillan in Großbritannien, Harvard University Press in den Vereinigten Staaten) ausgehandelt hatte. Die Trotzki-Biografie ist das dritte große Buch von Service, das in gerade einmal fünf Jahren auf den Markt geworfen wurde. Das erste Buch, eine Stalin-Biografie, wurde 2005 veröffentlicht. Es bestand aus 604 Textseiten, sauber aufgegliedert in fünf Teile. Jeder Teil hatte 11 Kapitel, die zwischen 10 und 13 Seiten lang waren. Services zweites Buch, "Genossen", wurde zwei Jahre später 2007 veröffentlicht. Als richtungweisende Geschichte des Weltkommunismus vermarktet, besteht dieser Band aus 482 Textseiten, in sechs Teile aufgeteilt. Jeder Teil enthält sechs Kapitel. Jedes Kapitel besteht aus 10 bis 12 Seiten.

"Genossen" ist eine lächerliche Verballhornung politischer und intellektueller Geschichte. Services Einleitung zu dem Band ist ein wilder Ritt durch die Ursprünge des Marxismus und liest sich wie ein erster Entwurf zu einer Monty-Python-Parodie. Service informiert seine Leser unter anderem, dass Marx behauptete, "Hegel auf den Kopf gestellt zu haben", und dass er "Ricardos Eintreten für das private Unternehmertum niemals billigte". Nachdem er Philosophie und politische Ökonomie derart zeitsparend abgehandelt hat, erklärt er: "Entscheidend für den Marxismus ist der Traum, dass der Apokalypse das Paradies folgt. Diese Denkweise existiert im Judentum, im Christentum und im Islam." (S.14) Der Band schillert nur so vor Dutzenden solcher Geistesblitze.

Mit seinem nächsten Projekt " Trotsky ", veröffentlicht 2009, gelang Service und seinen Verlegern die perfekte Balance zwischen kommerziellem Zeitplan und inhaltlichem Herstellungsprozess. " Trotsky " hat 501 Textseiten und besteht aus 4 Teilen zu je 13 Kapiteln. Insgesamt 52 Kapitel, von denen jedes 9 bis 10 Seiten lang ist. Man kann wohl davon ausgehen, dass pro Woche ein Kapitel von Service erwartet wurde und dass das Schreiben nach einem Jahr abgeschlossen sein sollte. Bedenkt man die zusätzlichen Monate, die fürs Redigieren, Korrekturlesen, Setzen und Drucken gebraucht werden, so ließ der Zwei-Jahres-Rhythmus Service nicht allzu viel Zeit zum Lesen, Durcharbeiten und Einschätzen von Dokumenten oder gar zum Nachdenken. Dies würde zumindest teilweise die erstaunliche Anzahl an faktischen Fehlern in dieser Biografie erklären.

Aber auch wenn Service einen entspannteren Zeitplan ausgehandelt hätte, wäre im Großen und Ganzen vermutlich dasselbe herausgekommen. Service hatte nichts anderes vor, als einen Anti-Trotzki- und Anti-Trotzkismus-Verriss zu produzieren, der eine aufrichtige gedankliche Beschäftigung mit Trotzkis Schriften und Ideen von vornherein ausschloss. Trotzkis Schriften zu ignorieren, macht es einfacher, seine Ideen zu verfälschen. Für Service waren die Wahrheit oder Unwahrheit irgendeiner Behauptung oder die Frage, ob ein Urteil sich auf glaubhafte Beweise stützte, nichts, womit er sich lange aufhalten musste. So lange er über Trotzki schrieb, war ihm keine Absurdität zu grotesk.

Dass Trotzki einer der großen revolutionären Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts war, wird von keinem ernsthaften Historiker - nicht einmal denen, die für seine Politik nichts übrig haben - angezweifelt. Er war unstreitig ein Schriftsteller von herausragender Kraft. Er war eine ungewöhnlich seltene politische Persönlichkeit - jemand, der die Aufmerksamkeit der Welt durch die Kraft seines Schreibens auf sich zog. Abgeschottet von den konventionellen Hebeln der Macht, in der Isolation des Exils lebend, auf einer Insel vor der Küste Istanbuls in der Türkei, später in Provinzdörfern in Frankreich und Norwegen und schließlich in einem Vorort von Mexiko City - Trotzkis Worte beeinflussten die Weltmeinung.

Seine Feinde fürchteten ihn auch weiterhin. Das bloße Erwähnen seines Namens versetzte Hitler in Rage. Selbst der mächtige Stalin, im Kreml versteckt, mit einem gewaltigen Terrorapparat unter seinem Kommando, hatte Angst vor Trotzki. Der verstorbene sowjetische Historiker General Dimitri Wolkogonow schrieb: "Fast alles von und über Trotzki wurde für ihn (Stalin) übersetzt... Er hatte ein spezielles Regal in seinem Arbeitszimmer, in dem er fast alle von Trotzkis Schriften sammelte, viele davon mit Randnotizen und Kommentaren versehen. Jedes Interview, das Trotzki der westlichen Presse gab, wurde sofort übersetzt und an Stalin weitergereicht." [1] In einer bemerkenswerten Passage schrieb Wolkogonow, der Zugang zu Stalins privaten Unterlagen hatte, dass Trotzkis Geist "regelmäßig wiederkehrte, um den Usurpator heimzusuchen... (Stalin) erzitterte schon beim Gedanken an ihn... Er dachte an Trotzki, wenn er mit Molotow, Kaganowitsch, Chruschtschow und Schdanow zusammensitzen und ihnen zuhören musste. Trotzki war intellektuell von anderem Kaliber, mit seinem Verständnis für Organisation und seinen Talenten als Redner und Schriftsteller. Er war diesem Haufen von Bürokraten in jeder Hinsicht weit überlegen, aber er war auch Stalin überlegen und Stalin wusste das... Wenn er Trotzkis Werke wie ’Die stalinistische Schule der Fälschung’, ’Ein Offener Brief an die Mitglieder der bolschewistischen Partei’ oder ’Der Stalinistische Thermidor’ las, dann verlor der Führer fast die Kontrolle über sich selbst." [2]

Siebzig Jahre nach seinem Tod werden Trotzkis Werke in aller Welt in vielen Sprachen gedruckt. Von den Hauptrepräsentanten des klassischen Marxismus - möglicherweise mit Ausnahme von Marx und Engels - bleibt Trotzki der am meisten gelesene. Die Worte "Verratene Revolution" "Ungleiche und kombinierte Entwicklung", "Permanente Revolution" und "Vierte Internationale" - mit dem Namen Trotzkis verbunden - sind Schlüsselmotive der politischen Erfahrung der jüngeren Geschichte. So lange die russische Revolution ein Thema des Interesses, der Kontroverse und der Inspiration bleibt - also für viele weitere Generationen - wird Trotzkis "Geschichte der Russischen Revolution" den Verstand, die Vorstellungskraft und die Gefühle der Leser fesseln. Trotzki war unzweifelhaft ein großer politischer Denker. Der bekannte zeitgenössische Historiker Baruch Knei-Paz (der kein Trotzkist ist) schrieb 1978 treffend in einer Studie über Trotzkis Denkweise:

"Viel ist über Trotzkis Leben und seine revolutionäre Karriere geschrieben worden - sowohl an der Macht als auch nach ihrem Verlust - aber relativ wenig über seine gesellschaftlichen und politischen Gedanken. Das ist vielleicht normal, denn sein Leben enthielt viele einzigartige Momente und er gilt auch heute noch, vielleicht nicht zu Unrecht, als der Inbegriff des Revolutionärs in einem Zeitalter, dem es an Revolutionären nicht gemangelt hat. Dennoch sind seine Errungenschaften im Reich der Theorie und der Ideen in vielerlei Hinsicht nicht weniger gewaltig: Er gehörte zu den ersten, die im zwanzigsten Jahrhundert das Aufkommen sozialer Veränderungen in zurückgebliebenen Gesellschaften analysierten, und auch zu den ersten, die versuchten, die politischen Konsequenzen zu erklären, die sich aus solchen Veränderungen ergeben würden. Er hat sein gesamtes Leben hindurch viel geschrieben, und der politische Denker in ihm war nicht weniger Teil seiner Persönlichkeit als der besser bekannte Mann der Tat." [3]

Hören wir uns jetzt einmal Service an: "Er (Trotzki) schrieb, was immer ihm gerade in den Sinn kam." (S. 78) Trotzki "beanspruchte für sich keine intellektuelle Originalität: Man hätte ihn ausgelacht, hätte er das versucht". (S. 109) "Er vermied es, sich mit Recherchen zu Fragen zu belasten, die die intellektuelle Elite der Partei gerade beschäftigten..." (S. 109) "Intellektuell sprang er von Thema zu Thema..." (S. 110) "Er liebte es einfach, am Schreibtisch zu sitzen und mit dem Stift in der Hand sein neuestes Werk hinzukritzeln..." (S. 319) "Seine Gedanken waren ein wirres und verwirrendes Sammelsurium..." (S. 353) "Er verbrachte viel Zeit mit Diskussionen, weniger mit Nachdenken..." "Dies beinhaltete einen ultimativen Mangel an intellektueller Ernsthaftigkeit". (S. 356) "Seine Artikel waren voll von schematischen Projektionen, waghalsigen Gedankengängen und unüberlegten Parolen." (S. 397)

Wenn man solche Passagen liest, ist man angesichts ihrer schieren Dummheit und Grobheit erstaunt. Glaubt ihr Autor, dass man solchen Unsinn ernst nimmt? Glaubt er selber daran? Service liefert keine Beispiele für Trotzkis "wirres und verwirrendes Ideensammelsurium". Service versucht nicht einmal, ein einziges Werk Trotzkis zu analysieren oder auch nur angemessen zusammenzufassen. Charakterisierungen wie die oben angeführten werden ohne Untersuchung oder Zitate der tatsächlichen Texte aufgetischt. Selbst die bedeutendsten Konzepte und Ideen, die man mit Trotzki verbindet - wie die Theorie der Permanenten Revolution und seine Analyse der sozioökonomischen Grundlagen der Sowjetunion als degeneriertem Arbeiterstaat - werden nicht erklärt. Wenn kurz auf spezifische Werke Trotzkis verwiesen wird, geschieht dies auf eine Weise, die den Autor und seine Ideen ins Lächerliche zieht.

Service ist nicht der erste, der diese Methode gegen Trotzki anwendet. Seine Methode ähnelt in der Tat verblüffend der der internationalen Anti-Trotzki-Kampagne, die in den späten 1960ern und den frühen 1970ern von der sowjetischen Bürokratie und verbündeten stalinistischen Parteien, wie der Kommunistischen Partei Großbritanniens, durchgeführt wurde. Als junger Doktorand, der sich mit sowjetischer Geschichte befasste, dürfte Service die Kampagne damals nicht entgangen sein. Die Schriften der Stalinistin Betty Reid, der Anti-Trotzki-Expertin der britischen KP, wurden an britischen Universitäten weit verbreitet. In jenen Jahren machte sich die sowjetische Bürokratie immer mehr Sorgen um die Zunahme trotzkistischen Einflusses unter radikalisierten Jugendlichen. Aber da Stalins Verbrechen bereits durch Chruschtschows Enthüllungen diskreditiert waren, konnten die ideologischen Agenten des Kremls Trotzki nicht länger einfach nur als "faschistischen Umstürzler" denunzieren, wie sie es in den Dreißiger und Vierziger Jahren getan hatten. Man musste zu anderen Formen hinterlistiger Verfälschung greifen. Die absichtliche Falschauslegung von Trotzkis Schriften - insbesondere der Versuch, sie absurd oder als die Hirngespinste eines Verrückten erscheinen zu lassen - spielten bei dem erneuten Angriff auf den Trotzkismus eine zentrale Rolle. Natürlich verlangte der Versuch, Trotzkis Ideen zu diskreditieren, dass man Zitate aus seinen Werken auf ein Minimum reduzierte. In einem wichtigen Artikel unter der Überschrift "Das Wiedererwachen des Anti-Trotzkismus", von 1977, beschreibt Robert H. McNeal, ein bedeutender amerikanischer Gelehrter, die stalinistische Methode:

"Es gibt eine Menge Dinge, die in der wiederbelebten Version des sowjetischen Anti-Trotzkismus nicht gesagt werden dürfen. Seine Schriften können weder ganz, noch teilweise in Literaturnachweisen aufgeführt werden. Man findet relativ häufig Hinweise (niemals zusätzliche Verlagsangaben) auf die Titel ’Permanente Revolution’ und ’Mein Leben’, aber sonst sehr wenig. Dies ist eine bewusste Vorsichtsmaßnahme. Den Feind lieber nicht mit Hinweisen auf subversive Buchlisten versorgen, vor allem nicht in Ländern, in denen die Büchereien trotzkistische Werke führen. Diese Unbestimmtheit bei den Quellenangaben erleichtert ihre Interpretation... Es wird vage behauptet, dass Trotzki die Sowjetunion verleumdete, dass er ihren sozialistischen Charakter bestritt, eine Annahme, die als so absurd angesehen wird, dass sie keine Widerlegung erfordert, aber der Inhalt von Trotzkis Kritik am Stalinismus wird nie erklärt. [4]

Service schreibt, dass man Trotzkis "schriftlichem Nachlass" nicht erlauben sollte, zur ganzen Geschichte zu werden, und dass "die Perspektive seiner Karriere sich am effektivsten durch den vermeintlich trivialen Nachlass und nicht die großen öffentlichen Verlautbarungen rekonstruieren lässt". (S. 5) Er fährt fort mit der Behauptung, dass Trotzkis veröffentlichte Autobiografie ein unaufrichtiger Versuch sei, die Wahrheit seines Lebens zu verschleiern, und dass "die Auslassungen und Hinzufügungen uns erzählen, was er anderen unterschlagen wollte". (S. 5) Diese Aussagen stehen beispielhaft für eine Methode der Verfälschung, die eine Variante der von McNeal ziemlich präzise umrissenen stalinistischen Methode darstellt.

Die von Service angewandte Methode ist mit der politischen Sicht verbunden, die seinem Schreiben zugrunde liegt. Services Abscheu gegenüber Trotzki ist das Spiegelbild seiner Bewunderung für Stalin. Wenden wir uns nach Services höhnischer und abwertender Charakterisierung Trotzkis der Einschätzung Stalins durch den Herrn Professor zu. In der 2005 veröffentlichten Biografie beschreibt Service Stalin als einen "hervorragenden Redakteur von in russischer Sprache verfassten Manuskripten". Service zitiert kein einziges Manuskript, das solch außerordentliche Qualitäten belegt. Er erwähnt auch nicht, dass Stalin als Diktator seine Redaktionsarbeit mit Vorliebe mittels einer Gewehrkugel verrichtete. (Stalin, S.115) Stattdessen geht die Lobhudelei weiter: "In der Tat", schreibt Service, "war Stalin ein flüssiger und wohlüberlegter Schreiber, auch wenn er kein Mann des Stils war. (S. 221) Keine Meinung. Eine Tatsache! Dies steht in scharfem Widerspruch zu Trotzki, von dem Service erzählt, "er habe geschrieben, was immer ihm gerade in den Sinn kam." Ja, Stalin war ganz bestimmt nicht perfekt. "Er war ein psychisch besessener Massenmörder", beklagt sich Service, aber "er dachte und schrieb als Marxist". (S. 379) Seine "Grundlagen des Leninismus" waren ein "gekonnt verdichtetes Werk". (S. 221) "Stalin", so schreibt Service, "war ein nachdenklicher Mann und sein Leben lang bemüht, das Universum, so wie es sich ihm darbot, zu verstehen. Er hatte viel studiert und wenig vergessen... Er war kein origineller Denker und auch kein herausragender Schriftsteller. Dennoch war er bis an sein Lebensende ein Intellektueller." Alles zusammengenommen, schreibt Service am Ende der Biografie: "Auf jeden Fall war er herausragend. Er war ein wirklicher Führer. Er wurde sowohl vom Machtstreben, als auch von Ideen getrieben. Er war auf seine eigene Art ein Intellektueller und das Niveau seiner literarischen und redaktionellen Fähigkeiten war beeindruckend. Seine seelischen Eigenschaften werden immer Anlass zur Kontroverse bleiben." (S. 603)

Services Ziel bei seiner Trotzki-Biografie war es, das positive Bild, das die früheren Biografien von Isaac Deutscher und dem französischen Historiker Pierre Broué gezeichnet hatten, zu zerstören. Services Stalin-Biografie bezweckt genau das Gegenteil. Während das Schreiben der Trotzki-Biografie für Service ein Werk des Hasses war, war die Stalin-Biografie ein Werk der Liebe. "Die Zeit war überreif, das bestehende Stalin-Bild in Frage zu stellen", schrieb er. "Dies Buch will zeigen, dass Stalin eine weitaus dynamischere und vielschichtigere Figur war, als allgemein angenommen wird." (Stalin, S. x) Service räumt ein, dass Stalin "ein Bürokrat und ein Mörder" war. Aber "er war auch ein Führer und Herausgeber, ein (in gewisser Weise) Theoretiker, hatte etwas von einem Poeten (als er jung war), war ein Anhänger der Künste, ein Familienmensch und sogar ein Charmeur". (S. x) Vieles davon könnte, nebenbei gesagt, auch für Goebbels und Göring gelten, von Hitler ganz zu schweigen.

Vielleicht glaubte Service, dass er seinen Lesern ein nuanciertes Porträt, eine Mischung widersprüchlicher Eigenschaften, bot. Aber was er in Wahrheit präsentierte, war eine Variation der schlimmsten Kinoklischees - der Massenmörder, der seine Kinder zu Bett bringt und ihnen einen Gute-Nacht-Kuss gibt. Aber was hat er uns hinterlassen? Genau genommen ein Porträt, das dem ähnelt, das Michael Gorbatschow, der letzte sowjetische Führer, in seiner berüchtigten Rede zur Geschichte im November 1987 zeichnete:

"Stalins Rolle in unserer Geschichte wird zurzeit viel diskutiert. Er war eine äußerst widersprüchliche Persönlichkeit. Um der historischen Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir sowohl Stalins unbestreitbaren Beitrag zum Kampf um den Sozialismus und für die Verteidigung seiner Errungenschaften sehen, als auch die schweren politischen Irrtümer, den Machtmissbrauch durch ihn und die, die ihn umgaben, für die unser Volk einen hohen Preis bezahlt hat und die schwere Folgen für das Leben unserer Gesellschaft gehabt haben." [5]

Sowohl Service, als auch Gorbatschow geben zu, dass Stalin Verbrechen begangen hat. Aber die Betonung liegt auf seinen positiven Errungenschaften. Im ersten Absatz der Stalin-Biografie erklärt Service: "Obwohl Lenin die UdSSR gegründet hatte, war es Stalin, der die Struktur entscheidend stärkte und stabilisierte. Ohne Stalin wäre die UdSSR möglicherweise Jahrzehnte vor ihrer Auflösung 1991 zusammengebrochen." (Stalin, S. 3) Diese Worte könnten von einem Mitglied des sowjetischen Politbüros stammen! Es fällt schwer, sich eine nachdrücklichere Entschuldigung und Rechtfertigung der Politik Stalins vorzustellen. Stalin hat die Struktur der UdSSR entscheidend gestärkt und stabilisiert! Ohne ihn wäre sie zusammengebrochen, und das Jahrzehnte vor ihrer Auflösung 1991!

Mit diesen Worten werden Stalins Taten und Verbrechen allesamt begründet und gerechtfertigt: das Niederschlagen der Linken Opposition in den 1920er Jahren, die Gräuel der Zwangskollektivierung, die Moskauer Prozesse und der Terror der späten 1930er Jahre, die Desorientierung und der Verrat, der die Siege des Faschismus in Europa erleichterte, die Enthauptung der Führung der Roten Armee 1937-1938 und der Stalin-Hitler-Pakt, der zum unnötigen Tod von Millionen sowjetischer Menschen nach der deutschen Invasion im Juni 1941 führte, das Missmanagement der sowjetischen Wirtschaft und die Verdummung ihres Geisteslebens, der Mord an ihren besten Schriftstellern, Philosophen, Wissenschaftlern, das Wiederaufleben des Antisemitismus, die Beschmutzung des Marxismus und der sozialistischen Ideale innerhalb der Sowjetunion wie auch international. All dies wird von Service als Notwendigkeit für die Stabilisierung und Erhaltung der UdSSR legitimiert! Service übersieht die Tatsache, dass die Strukturen, die Stalin hinterließ, von einer Krise in die andere schlitterten, und dass die Generation von Bürokraten, die unter seiner Schirmherrschaft an die Macht kam, während der Stagnation und des Zusammenbruches der Sowjetunion das Sagen hatte.

Service versteigt sich zu der Behauptung, dass der Terror eine legitime Antwort Stalins auf die Bedrohungen darstellte, mit denen die Sowjetunion konfrontiert war:

"Seine Hauptsorge galt der Sicherheit, und er machte keinen Unterschied zwischen seiner persönlichen Sicherheit und der seiner Politik, der Führung und des Staates. Molotow und Kaganowitsch behaupteten in ihrer Senilität, dass Stalin berechtigte Angst vor einer ’fünften Kolonne’ gehabt habe, die den Invasoren im Falle eines Krieges zu Hilfe kommen würde. Stalin gab einige Hinweise in diese Richtung. Die Leichtigkeit, mit der General Franco im Spanischen Bürgerkrieg Anhänger hatte sammeln können, schockierte ihn. Es war seine erklärte Absicht, dies in der UdSSR niemals geschehen zu lassen. Solches Denken trägt einiges dazu bei zu erklären, warum er als Verfechter der Wirksamkeit staatlichen Terrors 1937 - 1938 auf intensive Gewalt zurückgriff." (Stalin, S.347-48)

Service lässt die lügnerischen Rechtfertigungen von Stalins Ko-Schlächtern Molotow und Kaganowitsch, die ihre Unterschriften in den 1930er Jahren unter Tausende von Hinrichtungsbefehle setzten, als glaubwürdig gelten. Es gibt keine wie auch immer gearteten Beweise, dass Stalins Entscheidung, die bolschewistische alte Garde und einen großen Teil der revolutionären Intelligenz auszulöschen, irgendetwas mit "begründeter Angst" vor einem rechtsgerichteten Staatsstreich gegen die Sowjetunion zu tun hatte. Er vermittelt den Eindruck, dass die Ereignisse in Spanien - wo seit langem mit der Rechten identifizierte weithin bekannte Armeeoffiziere gegen die republikanische Regierung putschten - Stalin antrieben, den Terror zu entfesseln. Damit legitimiert Service die monströsen Vorwürfe des Staatsanwaltes Wyschinski gegen die in den Moskauer Prozessen angeklagten Alten Bolschewiki. Es muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass die Pläne zur Vernichtung der Alten Bolschewiken zu der Zeit, als der Spanische Bürgerkrieg im Juli 1936 ausbrach, bereits weit vorangeschritten waren. Kirow war im Dezember 1934 ermordet worden. Sinowjew, Kamenjew und zahllose andere saßen seit 1935 im Gefängnis. Die Vorbereitungen auf die Moskauer Prozesse waren seit Monaten im Gang. Sinowjew, Kamenjew und andere inhaftierte spätere Angeklagte wurden unter extremen Druck gesetzt und gefoltert. Wenn es irgendein ausländisches Ereignis gab, das Stalin "inspirierte", seine alten Genossen auszulöschen, dann war es nicht der rechtsgerichtete Putsch in Spanien. Wenn, dann war es die "Nacht der langen Messer" in Deutschland im Juni 1934 - das heißt, die Ermordung von Hilters alten Parteigenossen in der Führung der SA-Sturmstaffeln.

Es ist wahr, dass Stalin den Terror entfesselte, um gegen die Bedrohungen für sein Regime vorzugehen. Aber diese Bedrohung kam nicht von der faschistischen Rechten, sondern von der sozialistischen Linken. Stalins Angst, dass die soziale Unzufriedenheit in der Sowjetunion zu einem Wiederaufflammen bolschewistischer Tendenzen führen könnte, vor allem der von Trotzki geführten, ist gut dokumentiert - insbesondere durch den brillanten marxistischen Historiker Wadim Rogowin. Es überrascht nicht, dass Rogowins sieben Bände umfassende Geschichte des Kampfes der sozialistischen Linken und der trotzkistischen Opposition gegen den Stalinismus von Service in den Quellenverzeichnissen seiner Stalin- und Trotzki-Biografien nicht aufgeführt wird.

Services Verteidigung Stalins setzt sich in seiner Trotzki-Biografie fort. Er vermerkt missbilligend, dass "Trotzki Argumente geliefert hatte, die den Ruf Stalins und seiner Handlanger diskreditierten, und dass es für Autoren nur allzu einfach war, sie gedankenlos als die eigenen zu übernehmen." (Trotsky, S. 3) Service fährt fort: "Trotzki irrte sich in vielen Hauptaspekten seiner Einschätzung. Stalin war kein Mann der Mittelmäßigkeit, sondern verfügte über eine beeindruckende Bandbreite an Fähigkeiten und ein Talent für Führerschaft. Trotzkis Strategie für kommunistischen Fortschritt hatte ohnehin wenig zu bieten, was die Vermeidung eines Unterdrückungsapparates anging." (S. 3)

Was die unangenehmen Seiten von Stalins Herrschaft angeht, so lag die Ursache dieser Probleme bei Trotzki, dessen "Ideen und Handlungsweisen diverse Voraussetzungen für die Errichtung des stalinistischen politischen, ökonomischen, sozialen und sogar kulturellen Gebäudes schufen." (S. 3) Weiter hinten in der Biografie verfälscht Service ganz unverhohlen Trotzkis berühmtes literaturkritisches Werk "Literatur und Revolution", indem er dem Autor Ansichten unterstellt, die dem Inhalt des Buches vollständig widersprechen: "Schließlich und endlich... war es Trotzki, der die philosophischen Grundlagen für den kulturellen Stalinismus gelegt hat." (S. 318)

Services Verteidigung Stalins gegen Trotzkis Schriften ist außerordentlich scharfzüngig: "Was den Vorwurf betrifft, Stalin sei ein Erzbürokrat, so war dieser lachhaft, denn er kam von einem Ankläger, der sich in seinen Glanzjahren in unkontrollierter Machtvollkommenheit gesuhlt hatte." (S. 3) Die Tirade geht weiter:

"Selbst Trotzkis Behauptung, Stalin sei nicht an der Machtübernahme von Kommunisten im Ausland interessiert gewesen, hält einer kritischen Prüfung nicht stand. Selbst wenn der Kommunismus in Deutschland, Frankreich oder Spanien in den Jahren zwischen den Weltkriegen gesiegt hätte, wären seine Fahnenträger wohl kaum in der Lage gewesen, die Macht zu behalten. Und wenn Trotzki an Stalins Stelle der höchste Führer gewesen wäre, hätte sich das Risiko eines Blutbads in Europa drastisch erhöht." (S. 3)

Wessen ’kritische Prüfung’? Service selber untersucht keinen einzigen der revolutionären Konflikte - in Großbritannien, China, Deutschland, Frankreich und Spanien, um nur einige zu nennen, im Detail. Sie alle waren Gegenstand von Trotzkis Streitschriften während der zwanziger und dreißiger Jahre. Kein seriöser und aufrichtiger Historiker könnte je überhaupt nur eine solche Aussage treffen! Die zerstörerische Rolle des Stalinismus in dem ’unehrenhaften Jahrzehnt’, [6] das dem Zweiten Weltkrieg vorausging, die vernichtende Wirkung seiner doppelbödigen, zynischen und mörderischen Aktivitäten in der europäischen und der internationalen Arbeiterbewegung haben sich dem Bewusstsein einer ganzen Generation eingebrannt, die die schrecklichen Ereignisse der 1930er Jahre durchlebt hat. George Orwells berühmtes Mein Katalonien ist nur ein Bericht von vielen über diesen stalinistischen Albtraum.

Es gibt zahllose Bücher, in denen die stalinistische Zersetzung der spanischen Revolution, die Unterdrückung der Linken und der Mord an POUM-Führer Andres Nin, historisch dokumentiert sind. Die Verwandlung der Kommunistischen Internationale in ein korruptes Instrument der sowjetischen Außenpolitik, geführt von Funktionären, die vom Kreml ausgesucht und kontrolliert wurden, ist eine zur Genüge belegte geschichtliche Tatsache. Der siebente Kongress der Komintern von1935 verpflichtete die nationalen kommunistischen Parteien auf "Volksfront"-Allianzen mit liberalen und "demokratischen" bürgerlichen Parteien, die ihrem Wesen nach Klassenkollaboration darstellten. Service versäumt es, diesen Kongress zu erwähnen, von dem Trotzki voraussagte, dass er die formelle Auflösung der Komintern einleiten werde. Später bemerkte der Historiker E.H. Carr in einem berühmten Buch, in dem er Stalins Außenpolitik einer eingehenden Analyse unterzog:

"... Es war von Bedeutung, dass kein weiterer Kongress und keine größere Zusammenkunft des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale je wieder einberufen wurde. Die Komintern fuhr fort, untergeordnete Funktionen auszuüben, während die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf anderes gerichtet war. Trotzkis Urteil, dass der siebente Kongress als ’der Liquidationskongress’ in die Geschichte eingehen werde, war nicht ganz ungerechtfertigt. Der siebente Kongress ebnete den Weg zur Auflösung im Jahre 1943." [7]

Neben seinen unumwundenen Verfälschungen gibt Service ex Kathedra Behauptungen von sich, deren unsinniger Charakter jedem Leser klar werden muss, der nachdenkt, über was er liest. Woher weiß Service, dass, "die Fahnenträger des Kommunismus die Macht vermutlich nicht hätten halten können, wenn in den Jahren zwischen den Kriegen in Deutschland, Frankreich oder Spanien die Revolution gesiegt hätte"? Worauf gründet sich diese Einschätzung? Wenn die Arbeiterklasse tatsächlich in zwei der wirtschaftlich und kulturell am weitesten fortgeschrittenen Länder in Westeuropa an die Macht gekommen wäre und dazu die Macht auf der strategischen Iberischen Halbinsel behalten hätte, wie hätten diese revolutionären Regimes gestürzt werden sollen? Durch die Anstrengungen eines kapitalistischen Großbritanniens, geführt von Winston Churchill? Glaubt Service, dass die englische Arbeiterklasse - deren Opposition gegen die anti-bolschewistischen Bemühungen der imperialistischen Lloyd-George-Regierung 1918-20 erheblich zum Überleben Sowjetrusslands beitrug - eine Militärkampagne zur Wiederherstellung des Kapitalismus in Frankreich, Deutschland und Spanien unterstützt hätte?

Eine weitere wichtige Frage wird von Service nie gestellt: Was wäre die Wirkung eines solchen revolutionären Vorstoßes durch die Arbeiterklasse in den großen europäischen Zentren des Kapitalismus auf die Entwicklung in der Sowjetunion gewesen? Trotzki hat immer betont, dass die Niederlage der revolutionären Bewegung in Westeuropa der entscheidende Faktor in der Entwicklung der stalinistischen Diktatur war. Die Zurückweisung des revolutionären Internationalismus des frühen bolschewistischen Regimes und seine Ersetzung durch die Stalin-Bucharin-Theorie vom Sozialismus in einem Land war eine politische Anpassung an die Rückschläge in Westeuropa, insbesondere in Deutschland. Umgekehrt ging Trotzki davon aus, dass ein Neuaufleben des revolutionären Kampfes in den kapitalistischen Zentren die politische Situation in der UdSSR verändern würde. 1936 schrieb er:

"Schon der erste Sieg der Revolution in Europa wird wie ein elektrischer Schlag durch die Sowjetmassen fahren, sie aufrichten, ihren Unabhängigkeitsgeist heben, die Traditionen von 1905 und 1917 wecken ... und für die Vierte Internationale von nicht geringerer Bedeutung sein als die Oktoberrevolution für die Dritte."[8]

Service erklärt nie direkt Trotzkis Konzept von der Beziehung zwischen dem Schicksal der Sowjetunion und der Entwicklung der internationalen Revolution. Aber seine Biografie ist nicht das Werk eines politisch neutralen Gelehrten. Das allein würde das Werk nicht notwendigerweise so schändlich erscheinen lassen. Schändlich aber macht die Biografie, dass die politischen Ansichten und Absichten historische Verfälschung verlangen. Services Hass auf Trotzkis Perspektive der Weltrevolution und seine Unterstützung für Stalins nationalistisches Programm sind für alle ersichtlich, die den pro-stalinistischen Subtext erkennen, der die Trotzki-Biografie durchdringt. Service schreibt:

"Trotzki war stolz darauf, sowjetische und internationale Angelegenheiten von einem realistischen Standpunkt aus zu betrachten. Er täuschte sich. Er hatte sich in Vorurteile verrannt, die ihn davon abhielten, die Dynamik zeitgenössischer Geopolitik zu verstehen." (S.3)

Für Service sind die Revolution und der marxistische Internationalismus "Vorurteile". Die "Dynamik zeitgenössischer Geopolitik", wie Service sie (Stalin nicht unähnlich) begreift, geht vom Primat des Nationalstaates und seiner Interessen und der Unzerstörbarkeit des Kapitalismus aus.

Kehren wir zur bizarrsten aller Annahmen zurück, zu Services Behauptung, dass "wenn Trotzki jemals anstelle Stalins der Hauptführer geworden wäre, die Risiken eines Blutbades in Europa drastisch angestiegen wären". Man ist gezwungen, sich die Frage zu stellen: Was in aller Welt hätte Trotzki anstellen können, das den Verlust menschlichen Lebens in Europa schlimmer hätte machen können, als er ohnehin war? Außer den Gräueltaten, die Stalin innerhalb der UdSSR beging, setzte seine Politik - beginnend mit der Niederlage der deutschen Arbeiterklasse 1933 - eine Kette von Ereignissen in Gang, die in dem sehr realen Blutbad des Zweiten Weltkrieges ihren Höhepunkt fanden. Der Krieg kostete ungefähr 50 Millionen Menschen in Europa das Leben, darunter 27 Millionen Russen, sechs Millionen Deutsche, sechs Millionen Juden und drei Millionen Polen. Service scheint zu argumentieren, wie verquer auch immer, dass noch viel mehr Millionen gestorben wären, wenn Trotzkis Perspektive der sozialistischen Revolution sich durchgesetzt hätte. Der tatsächliche Verlust an Menschenleben als Folge des Scheiterns der Revolution, des Siegs des Faschismus in Deutschland und des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges, soll geringer gewesen sein, als wenn die sozialistische Revolution gesiegt hätte. Service fordert seine Leser zu der Schlussfolgerung auf, dass bei der Wahl zwischen einem Sieg der sozialistischen Revolution und einem Sieg des Faschismus letzterer das kleinere Übel darstellt.

Dieser Position liegt die Behauptung zugrunde, dass Trotzki ein gewalttätiger Mensch war, gleichgültig gegenüber menschlichem Leid, und bereit, zahllose Leben für die Sache der Revolution zu opfern. Wie Service am Ende seiner Biografie feststellt, kämpfte Trotzki "für eine Sache, die weitaus destruktiver war, als er sich das je vorgestellt hatte". (S. 501)

Service stellt Trotzki als kaltblütigen Fanatiker dar, der menschlichem Leben gegenüber auf brutale Weise gleichgültig war, und liefert gleich ein Beispiel für die Ruchlosigkeit seines Studienobjektes. "Trotzki", so schreibt er, "zeigte seinen vollständigen moralischen Gleichmut, als er seinem amerikanischen Bewunderer Max Eastman in den frühen 1920ern erzählte, dass er und die Bolschewisten gewillt waren, ’ein paar tausend Russen zu Asche zu verbrennen, um eine wirklich revolutionäre amerikanische Bewegung zu schaffen’. Russlands Arbeiter und Bauern hätten sicherlich gern von dem Massenopfer gewusst, über das er da nachdachte." (S. 313) Diese Passage zielt berechnend darauf ab, dem Leser einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Was für ein Monster, muss er sich fragen, würde so eine Tat in Erwägung ziehen?

Aber hat Trotzki das wirklich gesagt? Und wenn ja, in welchem Zusammenhang? Warum wurde Max Eastman, obwohl er von diesem schrecklichen Plan hörte, in den zwanziger Jahren einer von Trotzkis ergebensten internationalen Anhängern? Der Absatz, den ich gerade zitiert habe, erscheint auf Seite 313 von Services Trotsky, im 33. Kapitel, das die Überschrift "An der Kulturfront’ trägt. Service führt als Quelle Max Eastmans "Liebe und Revolution: Meine Reise durch eine Epoche" an. Und tatsächlich finden wir auf Seite 333 von Eastmans Buch den Bericht über seine Diskussion mit Trotzki.

Eastmans Geschichte wird wunderbar erzählt. Sie dreht sich um sein erstes Treffen mit Trotzki 1922 in Moskau, während des Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale. Eastman schildert, wie er einem Gespräch mit Trotzki über ein Thema, das ihm seit einiger Zeit am Herzen lag, entgegenfieberte. Die amerikanische sozialistische Bewegung wurde von russischen Immigranten beherrscht. Sie monopolisierten die Führung der jungen kommunistischen Partei. Während einer Sitzung des Kongresses ergab sich für Eastman die Möglichkeit, Trotzki anzusprechen. Eastman war überrascht, dass Trotzkis Erscheinung sich so grundlegend von den allseits bekannten mephisto-artigen Karikaturen in den Zeitungen unterschied. "Trotzki", so erinnert sich Eastman, "glich eher einem frisch herausgeputzten Jungen aus einer Sonntagsschule als Mephisto". [9] Eastman bat um einen Termin, den Trotzki umgehend gewährte. Sie trafen sich am nächsten Tag in Trotzkis Büro im militärischen Revolutionsrat.

Trotzki, wie Eastman ihn humorvoll beschrieb, "war mit Sicherheit der gepflegteste Mensch, der je einen Aufstand angeführt hat". Aber was Eastman besonders überraschte, war Trotzkis "innere Ruhe". Zeitungsberichte, die ihn als nervös und leicht erregbar beschrieben, "schienen", so schrieb Eastman, "fast wie eine Verleumdung gegenüber dieser liebenswürdigen Person, die mit solcher Höflichkeit dem schlechten Französisch lauschte, in dem ich meine Ideen darzulegen versuchte". Eastman erklärte Trotzki, dass die dominierende Rolle, die die russischen Sozialisten spielten, "es unmöglich mache, eine amerikanische revolutionäre Bewegung in Gang zu bringen". Schlimmer noch, die meisten von ihnen seien vor dem Oktober 1917 Menschewisten gewesen und "glaubten, die Oktoberrevolution sei ihr Verdienst". In scherzhaftem Ton verglich Eastman die posierenden Ex-Menschewiken mit einem jungen Hahn, der "in lautem Falsett kräht, weil irgendeine Henne, alt genug, seine Großmutter zu sein, ein Ei gelegt hat". Trotzki, so erinnerte sich Eastman, amüsierte sich über dieses Bild. Dann machte er auf Französisch die Bemerkung, die Eastman später wortgetreu erinnerte: " Mais nous sommes préts à brûler quelques milliers de Russes afin de créer un vrai movement révolutionnaire Américain." Eastman setzt die englische Übersetzung in Klammern: "Aber wir sind bereit, ein paar tausend Russen zu verbrennen, um eine wirklich revolutionäre amerikanische Bewegung zu schaffen". [10]

Es ist eindeutig, dass Service die von Trotzki gemachte Bemerkung in boshafter Absicht falsch darstellt. Er scherzte mit Eastman, dem klar war, dass Trotzki nicht zur Verbrennung russischer Arbeiter und Bauern aufrief, sondern zur Verringerung des Einflusses aufgeblasener, ex-menschewistischer Immigranten in der amerikanischen sozialistischen Bewegung. Darüber hinaus fügt Service in der Absicht, seiner Lüge Nachdruck zu verleihen, Worte hinzu, die sich in Eastmans Text nicht finden. Die Worte "zu Asche" erscheinen nicht im Original. Auf diese Weise hat Service eine lustige Anekdote, an die Eastman sich viele Jahrzehnte später erinnerte, und die Trotzki als geduldigen, humorvollen und kultivierten Mann in positivem Licht erscheinen lässt, in ein Beispiel der schaurigen Unmenschlichkeit eines revolutionären Fanatikers verwandelt.

Ist dies ein trivialer oder gar harmloser Fehler? Wohl kaum. Diese Art der Fälschung hat Folgen. Sobald die Fälschung sich einmal der Entdeckung entzieht, wird sie zum Bestandteil der akzeptierten historischen Berichterstattung und wird in Aufsätzen und Büchern ein ums andere Mal wiederholt. Mit der Zeit wird es immer schwieriger, die Lüge aufzudecken, ganz zu schweigen vom Lügner, der sie in Umlauf gebracht hat.

Services Biografie ist ein schändliches und schamloses Kompendium von Verzerrungen und Verfälschungen. Es genügt ihm nicht, die Ideen, für die Trotzki lebte und für die er starb, falsch darzustellen. Er versucht, den Menschen herabzuwürdigen und ihn so darzustellen, als verdiene er die Verachtung des Lesers. Er wiederholt dieselben Beleidigungen immer wieder. Auf Seite 336 beschreibt Service Trotzki als "äußerst selbstgerecht". Auf Seite 381 schreibt er von Trotzkis "unvergleichlicher Selbstgerechtigkeit". Selbst Trotzkis Schriften werden verspottet. "Die Mischung aus Demagogie und Schlüpfrigkeit", schreibt Service, "wurde in der ’Geschichte der russischen Revolution’ beibehalten". (S. 466) Er drückt sein Erstaunen aus, dass die Menschen Trotzkis Schilderung seines Kampfes gegen Stalin "automatisch geglaubt" haben. "In Wahrheit war die Kluft zwischen dem Politbüro und der Opposition nie so groß, wie er vorgab." (S. 356) Service serviert diese völlig unbegründete Aussage nicht als seine eigene Interpretation. Er erklärt sie zur Tatsache und entzieht sie damit jeglicher Diskussion! Deshalb findet Service es "überraschend", dass sehr viele Menschen, "die nichts für den Kommunismus übrig haben", nichtsdestoweniger "die Idee akzeptierten, dass die UdSSR unter Trotzkis Herrschaft keine totalitäre Tyrannei gewesen war." (S. 356)

In den widerwärtigsten Passagen seines Buches verweist Service mit Verachtung auf die liberalen und sozialistischen Intellektuellen, die sich während der Moskauer Prozesse zu Trotzkis Verteidigung zusammentaten und seinen Ruf nach einer Untersuchungskommission unterstützten. Ihre Position, stellt Service fest, "spiegelte ihre Naivität wider. Sie waren blind für Trotzkis Verachtung ihrer Werte. Sie übersahen den Schaden, den er ihrer Art von Gesellschaft antun wollte, wenn man ihm jemals die Chance dazu gab. Wie Zuschauer in einem Zoo, verspürten sie Mitleid mit einem verwundeten Tier". (S. 466)

Ich habe bereits gezeigt, dass Service seinen Beruf inkompetent und unaufrichtig ausübt. Diese Zeilen entlarven ihn als einen Mann ohne jeden Respekt für demokratische Prinzipien. Trotzkis Recht, seinen Anklägern zu antworten und sich zu verteidigen, war nicht abhängig von seiner Befürwortung der politischen Institutionen der USA. Service wäre gut betraten, die Worte zu lesen, in denen John Dewey, der große liberale amerikanische Philosoph, die Daseinsberechtigung der Anhörungskommission erläuterte, deren Vorsitz er übernahm. Leo Trotzki, so erklärte Dewey, war durch das höchste Tribunal der Sowjetunion schrecklicher Verbrechen für schuldig erklärt worden. Trotzki hatte verlangt, dass die sowjetische Regierung um seine Auslieferung ersuchen sollte, die ihm ermöglicht hätte, entweder vor einem norwegischen oder einem mexikanischen Gericht zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Diese Forderung war von der Sowjetunion ignoriert worden. Was ergab sich aus dieser Situation? Dewey stellte fest:

"Die schiere Tatsache, dass wir hier sind, zeigt, dass das Gewissen der Welt sich in dieser historischen Frage noch nicht zufrieden gibt. Dieses Weltgewissen verlangt, dass Herr Trotzki nicht endgültig verurteilt wird, bevor ihm nicht die Gelegenheit gegeben wurde, alle Beweise in seinem Besitz vorzulegen, um auf das Urteil zu antworten, das in einem Verfahren gegen ihn gefällt wurde, bei dem weder er noch ein Vertreter von ihm zugegen war. Das Recht einer Anhörung vor einer Verurteilung ist ein solch elementares Recht in jedem zivilisierten Land, dass es uns absurd erschiene, es zu bekräftigen, wären da nicht die Bemühungen, zu verhindern, dass Herr Trotzki gehört wird, und die Bemühungen, die jetzt unternommen werden, um die Arbeit dieser Untersuchungskommission zu diskreditieren." [11]

In einer weiteren öffentlichen Erklärung antwortete Dewey offensichtlich aufgebracht auf die Forderungen, dass Trotzki wegen seiner politischen Ansichten nicht verdiene, verteidigt zu werden.

"In den Fällen von Tom Mooney in San Francisco und Sacco und Vanzetti in Boston haben wir uns daran gewöhnt, von den Reaktionären zu hören, dass diese Männer ohnehin gefährliche Ärgernisse seien, so dass es besser wäre, sie wegzuschließen, ob sie nun der Dinge, deretwegen man sie angeklagt hatte, schuldig waren oder nicht. Ich hätte niemals gedacht, dass ich den Tag erleben würde, an dem bekennende Liberale zu solchen Argumenten greifen würden."[12]

Services Feindseligkeit gegenüber der Kommission ist offensichtlich. Er schreibt kein Wort über die internationale stalinistische Kampagne, um die Kommission zu sabotieren und zu diskreditieren, die bis zur Androhung von Gewalt gegen öffentliche Unterstützer der Anhörung ging. Deweys Familie fürchtete um das Leben des 78-jährigen Philosophen. Service schreibt, als ob etwas daran auszusetzen sei, dass Dewey Trotzkis "erste Wahl als Vorsitzender" (S. 466) war und dass sie sich darauf verständigten, auf eine Untersuchung der breitesten Fragen der politischen und moralischen Bilanz Trotzkis zu verzichten. (S. 467) Er lobt den Rücktritt des Journalisten Ferdinand Lundberg von der Kommission vor ihrer ersten Sitzung. "Lundberg war berechtigterweise zu der Erkenntnis gelangt, dass Trotzki ein Hauptarchitekt der Unterdrückung der Bürgerrechte in der UdSSR war, über die er sich jetzt als Opfer beschwerte." (S.467)

Service zitiert nicht eine einzige Zeile des Transkripts der Anhörungen der Kommission, die im April 1937 in Mexiko stattfand. Er ignoriert Trotzkis berühmte Rede, mit der die Anhörung endete und die bei den Mitgliedern der Kommission einen überwältigenden Eindruck hinterließ. Service schreibt, dass die Kommission "eine Woche lang dauerte, bis Dewey das Gefühl hatte, abschließend zum vereinbarten Urteil kommen zu können. Niemand hatte ernste Zweifel daran, wie es wohl aussehen würde. Trotzki wurde entlastet." (S. 467) Dies ist eine Trivialisierung und eine Verleumdung der Arbeit der Kommission. Kein "vereinbartes Urteil" wurde in Mexiko gefällt. Dewey und die anderen Kommissionsmitglieder waren als Mitglieder der "vorläufigen Kommission" nach Mexiko gereist, um eine vorläufige Untersuchung durchzuführen, die die Befragung Trotzkis und die Zusammenstellung relevanter Dokumente, die sich in seinem Besitz befanden, beinhaltete. Nachdem sie Mexiko verlassen hatten, bereiteten sie einen vorläufigen Bericht vor, welcher zu dem Ergebnis kam, dass Trotzki "genug Material zusammengetragen hat, um weitere Untersuchungen angemessen erscheinen zu lassen". [13] Die vorläufige Kommission sprach die Empfehlung aus, dass die Untersuchungskommission ihre Arbeit fortsetzen sollte. Erst im Dezember 1937, acht Monate nach Trotzkis Befragung in Mexiko, gab die Dewey-Kommission ihr Urteil bekannt, erklärte Trotzki für unschuldig und die Moskauer Prozesse zu einem abgekarteten Spiel.

Als er den Bericht der vorläufigen Kommission vorlegte, sagte Dewey: "Die Nachforschungen haben erst begonnen. Diverse Vorgehensweisen sind eingeschlagen worden und müssen fortgesetzt werden, bis alle verfügbaren Tatsachen auf dem Tisch liegen. Ein endgültiges Urteil kann erst dann gefällt werden, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen sind." [14]

Zur Erläuterung der Prinzipien, die der Arbeit der Kommission zu Grunde lagen, bemerkte Dewey, dass "Ergebenheit gegenüber der Wahrheit über der Ergebenheit gegenüber Individuen und Interessensgruppen steht". Er bestand darauf, dass die Untersuchungskommission nur einem einzigen Ziel verpflichtet war: Der Aufdeckung der Wahrheit, soweit dies menschenmöglich war. Es wurden klare Trennungslinien gezogen zwischen der Ergebenheit gegenüber der Gerechtigkeit und der Zugehörigkeit zu Interessensgruppen, zwischen Fairplay und einer Liebe zur Dunkelheit, die reaktionär ist, egal welches Banner sie vor sich her trägt.

Dewey fasste zusammen, um was es im Kampf zur Verteidigung der historischen Wahrheit gegenüber Lügen geht. Unsere Partei verwendet viel Zeit und Mühe auf die Entlarvung und Zurückweisung der Versuche, Trotzkis Leben und die Geschichte der Epoche, in der er gelebt hat, zu verfälschen. Wer auch nur die geringsten Zweifel hat, warum wir das tun, dem empfehle ich dringend, Deweys Worte, die auch in unserer Zeit eine so große Bedeutung haben, zu lesen und sie sich durch den Kopf gehen zu lassen und sie - so hoffe ich - zu seinem eigenen Credo zu machen.

Trotzkis Ermordung durch den stalinistischen Agenten Ramon Mercader am 20. August 1940 in Coyoacan, Mexiko, jährt sich dieses Jahr zum siebzigsten Mal. Dass Trotzki noch immer Gegenstand heftiger Kontroversen ist, ist nicht ungewöhnlich. Das ist das Schicksal aller wirklich wichtigen historischen Figuren. Ungewöhnlich allerdings ist die Tatsache, dass er so viele Jahre nach seiner Ermordung Gegenstand solcher unerbittlichen Fehlinterpretationen, Verfälschungen und hemmungslosen Verleumdungen bleibt. Die Geschichte wird vermerken, dass die sowjetische Bürokratie Trotzki nie formell rehabilitiert hat (im Gegensatz zu Services Behauptung, der sogar in diesem Fall daneben liegt). Selbst während er eine pro-kapitalistische Politik verfolgte, die in weniger als vier Jahren zur Auflösung der Sowjetunion führen sollte, erklärte Michael Gorbatschow öffentlich:

"Der Trotzkismus war eine politische Strömung, deren Ideologen sich hinter pseudorevolutionärer linker Rhetorik versteckten, und die faktisch eine defätistische Haltung einnahm. Dem Wesen nach war sie eine kompromisslose Kampfansage an den Leninismus. Praktisch ging es um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft des Sozialismus, das Schicksal der Revolution. Unter den gegebenen Umständen war es lebenswichtig, den Trotzkismus vor dem ganzen Volk zu widerlegen und sein antisozialistisches Wesen bloßzustellen."

Service steht nur am Ende einer langen Reihe anti-trotzkistischer Verleumder, die seit mehr als 85 Jahren im Dienst der politischen Reaktion am Werk sind. Die konservative Reaktion auf das revolutionäre internationalistische Programm der Oktoberrevolution begann 1923 unter dem Banner des Kampfes gegen den Trotzkismus. In der Mitte der Dreißiger Jahre hatte dieser Kampf die Form systematischer physischer Ausrottung aller überlebenden Vertreter der marxistischen politischen und intellektuellen Tradition in der Sowjetunion angenommen. Und jenseits der Grenzen der UdSSR wurden die Trotzkisten in den imperialistischen Ländern verfolgt - sowohl den faschistischen, als auch den demokratischen. Hitler, wie ich bereits erwähnte, bekam Schaum vor den Mund, wenn Trotzkis Name erwähnt wurde. In den Vereinigten Staaten organisierte die Roosevelt-Administration die Anklage und Inhaftierung der Führer der trotzkistischen Bewegung. Und wenn es auf der Welt jemanden gab, der Trotzki noch mehr hasste als Stalin, dann war es Winston Churchill. 1937 veröffentlichte Churchill ein Buch mit dem Titel "Große Zeitgenossen". Ein Kapitel war Hitler gewidmet, über den Churchill mit unverfrorener Bewunderung schrieb. Er setzte damals noch große Hoffnungen in den deutschen Führer. Aber ein anderes Kapitel beschäftigte sich mit Trotzki. Die Sprache war außer Kontrolle. "Wie eine Krebszelle", schrieb Churchill, "wuchs er, nährte er sich, folterte und schlachtete in Erfüllung seines Wesens." [15] Es sollte erwähnt werden, dass Churchills abscheulichste Verleumdungen gegen Trotzki als Mensch von Service aufgenommen und ausgearbeitet werden.

Hitlers Wut, Churchills Schmähungen und Stalins sadistische Rachsucht sind leicht zu verstehen. Sie waren Trotzkis Zeitgenossen, seine ihm unterlegenen Zeitgenossen. Sie standen im Kampf auf Leben und Tod gegen die revolutionäre Sache, die er, mehr als irgendeine andere Person zu seiner Zeit, repräsentierte und verkörperte. Man lese die Zeitungen jener Zeit. Wie oft findet man auf den Titelseiten unter den Schlagzeilen über das eine oder andere spektakuläre Ereignis der Dreißiger Jahre eine kleinere Titelzeile, in der es heißt: "Trotzki sagt..." oder "Trotzki sagt voraus..." Die Presse informierte ihre Leser auf diese Weise über Trotzkis Antworten auf große Tagesereignisse. Aber woher das Interesse an der Reaktion eines einzelnen Mannes? Weil dieser eine Mann die maßgebliche Stimme der sozialistischen Weltrevolution war. Trotzki war die Revolution im Exil. Am 31. August 1939 - am Vorabend des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges - berichtete die französische Zeitung Paris-Soir über eine Diskussion zwischen Hitler und dem französischen Botschafter Coulondre. Hitler äußert sein Bedauern, dass der Krieg unvermeidlich sei. Coulondre fragt Hitler, ob es ihm schon in den Sinn gekommen sei, dass der einzige Gewinner im Falle eines Krieges Trotzki sei. "Haben Sie darüber nachgedacht?" fragte er. Und Hitler antwortete: "Ich weiß." Als er diesen Bericht las, schrieb Trotzki: "Diese Herren ziehen es vor, dem Gespenst der Revolution einen persönlichen Namen zu geben." [16]

Services Trotzki-Darstellung greift ausschließlich auf die Verleumdungen derer zurück, die im Lager der Reaktion standen, im Lager des Stalinismus oder des Imperialismus. Er kann es sich nicht erlauben, auch nur eine Zeugenaussage anzuführen, die der Karikatur, die er seinen Lesern präsentiert, widerspricht. Darüber hinaus verlässt sich Service darauf, dass es so viele Jahre nach seinem Tod niemanden mehr gibt, der den "Alten", als der er vielen seiner Anhänger bekannt war, wirklich noch kennt, respektiert und liebt. Ich hatte das Glück, Zeitzeugen aus Trotzkis Leben kennenzulernen: Arne Swabeck und Al Glotzer - die beide Anfang der dreißiger Jahre Wochen mit Trotzki in Prinkipo verbrachten, den belgischen Revolutionär Georges Vereeken, den deutschen Revolutionär Oskar Hippe und den Chef von Trotzkis Leibwache in Coyoacan, Harold Robins. Nicht alle diese Männer blieben Trotzkisten. Aber seine Größe und Menschlichkeit haben sie nie angezweifelt. Selbst noch nach Jahrzehnten sahen sie die Zeit, die sie mit Trotzki verbracht hatten, als die wichtigste Periode ihres Lebens an.

Ich bin auch Überlebenden des stalinistischen Terrors begegnet, die aus erster Hand die Gräueltaten der konterrevolutionären nationalistischen Pogrome der Bürokratie gegen die wahren Repräsentanten des Bolschewismus erlebt haben, so wie Rebekka Michailowna Boguslawskaja, Tatiana Iwarowna Smilga and Sorja Leonidowna Serebriakowa, deren Väter Mitglieder der Linken Opposition waren und 1937 und 1938 erschossen wurden. Sie trafen Trotzki, als sie noch Kinder waren, und er schien in ihren Augen wie ein Gigant. Sie erinnerten sich, wie ihre Väter - Michail Boguslawski, Iwar Smilga and Leonid Serebriakow - respektvoll und voller aufrichtiger Liebe von "Lew Dawidowitsch" sprachen. Obwohl Tatiana Smilga and Sorja Serebriakowa noch leben, wurden sie nicht von Service befragt. Nadeschda Joffe war die Tochter von Adolph Joffe, Trotzkis engem Freund, der im November 1927 Selbstmord beging, um gegen Trotzkis Ausschluss aus der kommunistischen Partei zu protestieren. Sie war Trotzki zum ersten Mal als Kind in Wien vor der Revolution 1917 begegnet. Sie spielte zusammen mit Trotzkis Sohn, Leo Sedow. Im Gegensatz zu Services Darstellung Trotzkis als einem lieblosen Vater, erinnerte sich Nadeschda an einen Mann, der Kinder liebte und mit endloser Geduld ihre kleinen Streitigkeiten schlichtete. Obwohl Service Joffes Memoiren zitiert, erwähnt er ihre persönlichen Erinnerungen an Trotzki nicht.

Es gibt eine ganze Anzahl wichtiger Erinnerungen an Trotzki, in denen seine außergewöhnliche Persönlichkeit anschaulich dargestellt wird. Der amerikanische Schriftsteller James T. Farrell reiste im April 1937 zusammen mit John Dewey nach Mexiko. Jahre später, in den Fünfzigern, schrieb er einen Bericht über diese Reise. Farrell hatte Trotzki in der Woche, in der er stundenlang die Fragen der Mitglieder der vorläufigen Kommission beantwortete, aus der Nähe beobachtet. Trotzki stand unter immensem politischem und persönlichem Druck. Ihm war das Grauen, das sich in Moskau entwickelte, nur allzu gegenwärtig, wo seine alten Genossen bereits ermordet worden waren oder auf ihre Hinrichtung warteten. Sein jüngster Sohn, Sergej, war bereits verschwunden. Trotzki war gezwungen, Fragen in einer Sprache zu beantworten, die nicht seine war. Trotzki, so erinnerte sich Farrell, "vermittelte den Eindruck großer Schlichtheit und außergewöhnlicher Selbstkontrolle. Er war eine entschlossene und kontrollierte Person. Er sprach mit bemerkenswerter Präzision. Sein Verhalten und seine Kleidung waren untadelig, und er hatte Charme. Seine Gesten waren sehr ästhetisch. Er war außerordentlich aufmerksam. Manchmal machte es den Eindruck, als ob sein ganzer Organismus seinem Willen untergeordnet sei. Seine Stimme war alles andere als harsch...

Er saß aufrecht, wie ein gespannter Bogen. Ein Bogen, der nicht losgehen, aber beim leichtesten Atemzug vibrieren würde. Sein Temperament war lebhaft. Er war ein Mann von enormem intellektuellem Stolz und Selbstbewusstsein. Er duldete keine Dummheit oder das, was er für Dummheit hielt, und seine Schlichtheit und außergewöhnliche Liebenswürdigkeit schienen durch Erfahrung erworben. Er war ein genialer Mann des Willens und der Ideen. Man könnte ihn auch den Archetypen eines zivilisierten, kultivierten Westeuropäers nennen. Er war ein Mann des Westens, im Gegensatz zur Mehrheit der Männer, die gegenwärtig in der Sowjetunion an der Macht sind. Seine marxistische Überzeugung war ein Glaube an Ideen. Wir können unumwunden sagen, dass Trotzki ein großer Mann war." [17]

Farrell schilderte Trotzkis Zeugenaussage wie folgt: "In Mexiko, so stellte Dewey fest, habe Trotzki acht Tage lang gesprochen und nichts Törichtes gesagt. Und was Trotzki sagte, enthüllte eine Welt des Grauens, der Tragödie, der Erniedrigung des menschlichen Geistes. ’Wenn Menschen sich an das Grauen gewöhnen’, schrieb der russische Dichter Boris Pasternak, ’dann bildet dies die Grundlage des guten Geschmacks.’ Das Grauen der Geschichte war grundlegender Bestandteil von Trotzkis Stil. Seine meisterhafte Ironie ist, wie alle große Ironie, ein Protest, weil das Grauen der Geschichte sich im Angesicht des menschlichen Verstandes so ungeheuerlich auftürmt. Und er war ein Mann der Geschichte in einem Sinne, in dem die meisten von uns es nicht sind und nicht sein können... Und während er sprach, gaben sein Stil, seine Denkweise, seine Ironie der Anhörung eine Note, die die Wirkung der Gräuel der Geschichte, die enthüllt wurden, reduzierten - die Geschichten des Krieges, der Revolution, vom Idealismus, der sich in Zynismus verwandelt, des Zerbrechens mutiger Männer, des Bruchs von Ehre, Wahrheit und Freundschaft, die Verdrehungen der Wahrheit, die Leiden von Familien und der Unschuldigsten, die Enthüllung, wie die Revolution und die Gesellschaft, die für so viele im Westen zur Hoffnung geworden war, sich in Wirklichkeit in eine Barbarei verwandelt hatte, die ihresgleichen in der jüngeren Geschichte sucht. Man lese seine Aussagen schwarz auf weiß und all das wird klar. Einige von Trotzkis interpretierenden und kausalen Erklärungen mögen von unseren abweichen, aber die Tatsachen, die Enthüllungen, die Gräuel sind alle da. Und während Trotzki sprach und die volle moralische Verantwortung für all seine Handlungen während seiner Zeit an der Macht übernahm, verlieh sein Stil seiner Zeugenaussage einen fast künstlerischen Charakter." [18]

Ich habe diese Passage so ausführlich zitiert, weil Sie sie einfach hören müssen. Sie haben ein moralisches und ein intellektuelles Recht darauf. Die junge Generation ist intellektuell weitgehend von den revolutionären Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts abgeschottet. Wir haben jahrelang in einem Umfeld politischer und intellektueller Reaktion gelebt. Die Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts werden verfälscht oder, was fast genauso schlimm ist, nicht besprochen oder beschrieben. Es besteht die große Gefahr, dass die jungen Generationen, die in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts heranwachsen, nicht wissen werden, was sie über die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, seine Revolutionen und Konterrevolutionen, wissen müssen. Von den Kriegen und den Bemühungen, sie zu beenden. Und sie werden nicht den Klang der großen Stimmen der Vergangenheit hören oder die Worte, die sie sprachen.

Wir treten in eine neue Epoche des revolutionären Kampfes ein. Dafür gibt es wachsende und zunehmend deutlicher werdende Anzeichen. Die Kluft zwischen den wenigen Wohlhabenden, deren Vermögen sich jenseits aller Vernunft und allen Verstandes bewegen, und der großen Masse der Menschheit, wird immer größer. Das Wirtschaftssystem, das den Wohlstand der Reichen sichern und vermehren soll, nimmt vor unseren Augen einen immer irrationaleren Charakter an. Die globalen Probleme breiten sich krebsartig aus und schaffen gesellschaftliche und ökologische Katastrophen. Die Handlungsweisen privater Konzerne gefährden in immer offensichtlicherer Weise das Überleben des Planeten. Das zunehmende Bewusstsein um diese Gefahren, die Wut über Ungleichheit und Ungerechtigkeit, wachsen. Eine Änderung im Bewusstsein der Massen hat eingesetzt. Aber die Entwicklung dieses Bewusstseins muss mit den Lehren der Geschichte verknüpft werden. Die großen Stimmen der Vergangenheit, einschließlich der Leo Trotzkis, müssen zu neuem Leben erweckt werden, damit wir von ihnen lernen und von ihnen inspiriert werden können.

Anmerkungen: (Zitate aus den englischen Quellen übersetzt)

[1] Stalin: Triumph and Tragedy (New York: Grove Weidenfeld, 1988), S. 228. [2] Ibid., S. 254-56. [3] The Social and Political Thought of Leon Trotsky (Oxford: Clarendon Press, 1978), S. viii. [4] Studies in Contemporary Communism, Vol. X, Nos. 1 & 2, Spring/Summer 1977, S. 10. [5] The New York Times, 3. November, 1987. [6] "1. September, 1939," by W.H. Auden [http://www.poemdujour.com/Sept1.1939.html] [7] Twilight of the Comintern, 1930-35 (New York: Pantheon Books, 1982), S. 427. [8] Verratene Revolution (Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1997), S. 310. [9] Love and Revolution, S. 332. [10] Ibid., S. 332-3. [11] John Dewey: The Later Works, 1925-1953, Volume 11: 1935-1937, Essays and Liberalism and Social Action, Edited by Jo Ann Boydston (Carbondale and Edwardsville, Southern Illinois University Press, 1991), S. 307. [12] Ibid., S. 317. [13] Ibid., S. 315. [14] Ibid., S. 314. [15] Cited in Trotsky, Great Lives Observed, edited by Irving H. Smith (Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall, 1973), S. 86. [16] "Wieder und noch einmal über den Charakter der UdSSR", in Verteidigung des Marxismus (Essen: Arbeiterpresse Verlag, 2006), S. 36. [17] "Dewey in Mexico," in Reflections at Fifty (New York: The Vanguard Press, 1954), S. 108-09. [18] Ibid., S. 111-12.

Siehe auch:
Historiker im Dienste der "Großen Lüge": Eine Untersuchung von Prof. Robert Services Trotzki-Biografie
(19. Januar 2010)