Wie kann die Bildung verteidigt werden?
Von Johannes Stern
5. Juni 2010
Für den 9. Juni sind weitere bundesweite Demonstrationen zur Verteidigung der Bildung geplant. Sie finden im Rahmen der "Bildungsstreik"-Kampagne statt, deren Organisatoren die Illusion verbreiten, man könne durch Druck auf die Regierung irgendwelche Zugeständnisse erreichen.
Bereits im letzten Jahr waren im Juni etwa 270.000 Schüler und Studenten auf der Straße, um ihrem Unmut über den Bologna-Prozess und die umfassende Ökonomisierung der Bildung Ausdruck zu verleihen. Verbessert hat sich seitdem jedoch nichts. Im Gegenteil, die Situation an den Schulen und Universitäten hat sich wie in allen anderen gesellschaftliche Bereichen im Zuge der sich immer weiter zuspitzenden Krise noch einmal extrem verschärft.
In der größten Krise des Kapitalismus seit den 30er Jahren stehen alle angeblich "linken" Parteien auf Seiten der Regierungen und der Banken, bezeichnen die heftigen Angriffe auf die Bevölkerung als "alternativlos" und führen diese selbst durch. In Deutschland hat es die Linkspartei mit ihrer Zustimmung zu mittlerweile vier Eilverfahren im Bundestag ermöglicht, hunderte Milliarden in die Banken zu pumpen. Jetzt sollen diese Gelder durch heftige Kürzungspakete wieder aus der Bevölkerung heraus gepresst werden.
Eine Bewegung, die in der Lage ist, die umfassenden Angriffe zurückzuschlagen, muss unabhängig von den alten Bürokratien der Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien sein, die in der Krise gebraucht werden, um die Angriffe gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Wie in Griechenland sind auch in Deutschland Teile der Finanzaristokratie der Meinung, dass die SPD wieder in die Regierung eingebunden werden müsse, da sie den Sozialkahlschlag auf Grund ihrer engen Verbindung zu den Gewerkschaften besser organisieren kann als eine schwarz-gelbe Regierung.
Bereits in der Vergangenheit waren es vor allem die SPD, die Grünen und die Linkspartei, die die heftigsten Angriffe gegen Arbeiter und Studenten durchgesetzt haben. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurden Hartz IV und die Agenda 2010 auf den Weg gebracht, die breite Gesellschaftsschichten in Armut und Verzweiflung getrieben haben. Gleichzeitig wurden Steuergeschenke an die Reichen und die Wirtschaft verteilt, der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt und die Banken dereguliert.
Im Bildungsbereich brachten SPD und Grüne 1999 den Bologna-Prozess auf den Weg, der sinnbildlich für die Transformation von Bildung zu einer Ware steht. Dies beinhaltete neben der Schaffung von Bachelor- und Masterstudiengängen und der Einführung von so genannten Bildungskrediten die schrittweise Einführung von Studiengebühren.
Noch fataler als die bildungspolitische Bilanz von SPD und Grünen ist nur die der Linkspartei. Diese hat in Zusammenarbeit mit der SPD in den letzten Jahren im Berliner Senat eine Kürzungsorgie veranstaltet, die ohnegleichen ist. Linkspartei und SPD haben an den Berliner Universitäten 75 Millionen Euro gekürzt, was zur Folge hatte, dass 216 Professuren (nahezu ein Viertel) dem Rotstift zum Opfer fielen, fast 500 Mitarbeiter entlassen wurden, ganze Fakultäten schließen mussten und 10.000 Studienplätze abgebaut wurden.
Wenn sich auf den Demos im Rahmen des Bildungsstreiks nun die Studierenden- und Jugendverbände dieser Parteien des Sozialkahlschlags versuchen an die Spitzen zu stellen, muss dies scharf zurückgewiesen werden. Um es klar auszusprechen: Der Linke.SDS, die Jusos, die Grüne Jugend und ihre Mutterparteien sind für die Misere im Bildungsbereich verantwortlich und haben auf den Demonstrationen nichts verloren. Sie setzen den Sozialabbau durch und stehen auf Seiten der Banken, der Manager und der Spekulanten.
Studenten können die umfassenden Angriffe nur abwehren, wenn sie mit diesen politischen Heuchlern ein- für allemal brechen und sich als Teil der internationalen Arbeiterklasse verstehen.
In ganz Europa und weltweit sollen nun die Milliarden, die an die Banken geflossen sind, mit Hilfe der "linken" Parteien wieder bei der Bevölkerung eingespart werden. In Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Großbritannien und Frankreich wurden bereits dratsische Sparpakete verabschiedet, die u.a. Lohnkürzungen von dreißig Prozent, Kürzungen bei den Renten und die Erhöhung der Mehrwertsteuer beinhalten. Auch hierzulande stehen nun brutale Sparrunden bevor. Die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse verlangt, dass jährlich zehn Milliarden Euro eingespart werden müssen.
In allen Ländern wächst der Widerstand gegen diese Kürzungsorgien. In Griechenland gab es gegen das von der EU diktierte Sparpaket drei Generalstreiks, an denen sich jeweils mehrere Millionen Menschen beteiligten und die das Land komplett lahm legten. Am Tag vor der Abstimmung über das griechische Sparpaket waren allein in Athen über 200.000 Menschen auf der Straße. Doch trotz dieser massiven Proteste wurde das Sparpaket von der sozialdemokratischen PASOK unter Papandreou durchs Parlament gepeitscht.
Durchgesetzt werden können diese Kürzungen nur, weil die Gewerkschaften und kleinbürgerliche Parteien wie SYRIZA und die KKE alles in ihrer Macht stehende tun, um eine unabhängige Bewegung der Arbeiter zu verhindern und die Kürzungen auf die Bevölkerung abzuwälzen. Zunächst haben sie die Wahl Papandreous unterstützt und sind nach dessen Kürzungspolitik nun dazu übergangen Nationalismus zu schüren, Streiks zu isolieren und einen gemeinsamen Protest aller Arbeiter gegen das Sparprogramm zu verhindern.
Arbeiter und Studenten dürfen sich nicht spalten und gegeneinander ausspielen lassen. Die Verteidigung des Grundrechts auf Bildung ist eine Klassenfrage. Es kann nur verteidigt werden, wenn Studierende sich als Teil eines umfassenderen Kampfes gegen die Kürzungen verstehen, die jetzt in allen gesellschaftlichen Bereichen anstehen. Dieser Kampf muss auf der Grundlage einer internationalen sozialistischen Perspektive geführt werden. Ohne den Kapitalismus zu stürzen, die Macht der Banken und der Wirtschaft zu brechen und diese unter demokratische Kontrolle der Bevölkerung zu stellen, kann keine einzige gesellschaftliche Errungenschaft wie das Grundrecht auf Bildung verteidigt werden.
Eine Bildung, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist und der persönlichen Entfaltung jedes Einzelnen dient, kann nur etabliert werden, wenn sie wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche dem Marktgeschehen entzogen wird und demokratisch kontrolliert wird. Eine umfassende und freie Bildung ist deshalb eng mit dem Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft verbunden.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, eine neue marxistische Arbeiterpartei aufzubauen, die sich auf die Lehren aus dem Kampf gegen Stalinismus und Sozialdemokratie stützt. Nur eine Partei, die auf einer festen wissenschaftlichen Grundlage steht, ist in der Lage, die politischen Aufgaben, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist, zu formulieren, und ihr zu ermöglichen, als bewusste und unabhängige Kraft in die gesellschaftliche Entwicklung einzugreifen und eine Gesellschaft aufzubauen, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und nicht am Profitstreben einer schmalen Elite.
Die ISSE wird als Studentenorganisation des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) und der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) in den kommenden Tagen Veranstaltungen organisieren, um diese Perspektive mit allen Interessierten zu diskutieren. Die genauen Termine werden Anfang nächster Woche auf unserer Website bekannt gegeben (http://intsse.com/de).