Ihr habt es sicher mitbekommen: Am Wochenende fand in Bad Nenndorf einer der größten bundesweiten Naziaufmärsche statt – je nach Quelle wird von 800 bis hin zu über 1000 Teilnehmer*innen gesprochen. Gegenaktionen, die im Vorfeld angemeldet waren, wurden verboten, so dass schließlich nur eine antifaschistische Kundgebung stattfinden konnte – und das auch nur relativ kurzfristig. Seit 2006 marschieren die Nazis immer wieder in dem kleinen Örtchen nahe Hannover auf, um ihre Geschichtsverdrehung zu betreiben. Es gab bisher immer mehr oder minder starke Gegenaktivitäten, leider konnte der Aufmarsch aber noch nicht verhindert werden, ist es doch auch ziemlich einfach, die Naziroute abzuschirmen und alle Zugangswege zu versperren. Vielleicht bringen die nächsten Jahre ja mal ein Dresden in die niedersächsische Provinz.
Doch fangen wir am besten ganz vorne an: In Bad Nenndorf steht das sogenannte „Winklerbad“, in dem wohl nach dem zweiten Weltkrieg einige Nazis inhaftiert waren und durch die Brit*innen gefoltert worden sein sollen. Auch, wenn Folter generell abzulehnen ist, nutzen die Nazis heute diese Ereignisse, um die Alliierten auf die Seite der „Bösen“ zu stellen und um dabei gleichzeitig die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren. 2006 begann das Spektakel relativ jämmerlich mit einer kläglichen Anzahl Nazis – inzwischen ist diese Menge um ein Vielfaches gewachsen und Bad Nenndorf steht in dem Ruf, der Ersatz für die inzwischen verbotenen Rudolf-Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel zu werden, wo bis zu mehrere tausend Nazis zusammenkamen.
Und wo Nazis aufmarschieren, ist antifaschistischer Protest meist nicht weit her. Schon 2006 gab es Gegendemos und -aktionen, nach Tiefpunkten in den Jahren 2007 und 2008 wuchsen die Gegenaktivitäten wieder an. Und auch dieses Jahr beteiligten sich deutlich über 1000 Menschen an vielfältigen, kreativen Aktionen gegen den Naziaufmarsch. Hervorzuheben ist besonders dieses Jahr auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft vor Ort, die sich sonst nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hat (es gibt ein „Agnes-Miegel“-Haus in Bad Nenndorf – das war eine Nazidichterin). Dennoch lief nicht alles sonderlich gut für Antifaschist*innen und das hat nicht nur damit zu tun, dass der Großteil der Szene die Bedeutung des Aufmarsches noch nicht ganz erfasst hat.
Es gibt nämlich noch den Staat, der ziemlich schnell dabei ist, die „Extremismus-Karte“ auszuspielen, um missliebigen Protest zu kriminalisieren oder sogar zu verbieten. Meist funktionieren Demoverbote in diesem Staat nicht, da es ja so etwas wie ein Versammlungsrecht in der Verfassung gibt und die meisten Gerichte die Grundrechte schätzen, aber dieses Mal wurde das Verbot der Gegenaktionen fast bis zum Ende durchgezogen, während das vorläufige Verbot der Nazidemo schon in der ersten Instanz wieder aufgehoben wurde. Im Endeffekt führte dies zu der Situation, dass dann zwar doch eine Gegenkundgebung gestattet wurde, dies jedoch erst am Freitag Abend ab 20 Uhr abends bekannt war und der Ort erst um 22 Uhr feststand. Nebenbei wurde auch noch ein angemeldetes Sportfest abgesagt, so dass es eine Zeitspanne gab, in der keine legalen Gegenaktivitäten angekündigt waren – für einige kann dies schon ganz schön demoblisierend wirken.
Der Grund für die Verbote war das vorgeschobene Argument des „polizeilichen Notstandes“, wer jedoch am Samstag in Bad Nenndorf war und sich selbst ein Bild machen konnte, wird diese Begrifflichkeit bald anders verstehen, Notstand bestimmt, aber nicht im Sinne von „zu wenig“ Polizeieinheiten. Versammlungsbehörden und Verfassungsschutz zeichneten gemeinsam ein Horroszenario von einer großen Menge „gewaltbereiter Linksextremist*innen“ – zwar Quatsch, aber offensichtlich genug, um manche Richter*innen zu beeindrucken. Das neben dem schwarzgekleideten Spektrum damit aber auch alle zivilgesellschaftlichen Akteur*innen diskreditiert wertden, wurde wohl bewusst in Kauf genommen. Manchmal frage ich mich schon, wieso – in meinen Augen gerechtfertigter – Protest in die Illegalität gedrängt wird und in die „Extremismus-Ecke“ gesteckt wird. Ein Redner vor Ort sagte, solche Vorkommnisse gäben dem Begriff „Rechtsstaat“ eine ganz neue Bedeutung. Das ist sicherlich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt, aber beschreibt gut das Gefühl vieler Protestler*innen.
Einer weiteren Behauptung will ich mich auch nicht anschließen: Diesen ständigen SA-Vergleichen, die gemacht werden, wenn mensch über die Bad-Nenndorf-Demo redet. Selbst wenn die heutigen Nazis sich gerne mal an der Symbolik um den Auftreten der historischen Nazis bedienen – es gibt ja auch eine ideologische Kontinuität – sind wir heute noch weit davon weg, dass es eine Organisation gibt, in der mehrere hunderttausend Menschen organisiert sind, die eine Art „organisierten Straßenterror“ verursachen. Dieser Trauermarsch am Samstag mag ja einiges gewesen sein, aber sicher keine SA-Aktion, mit solchen Vergleichen stellt mensch sich nur selbst ins abseits, schießt dabei weit übers Ziel hinaus und läuft gar in die Gefahr, die Proto-NS-Verbrechen in der Weimarer Republik zu verharmlosen.
Befassen wir uns also lieber mit der Gegenwart: Das beschauliche Dörchen Bad Nenndorf, überfallen von einer Horde Neofaschist*innen in weißen Hemden (weil die SA nach dem Verbot auch weiße Hemden trug, bemühen viele jetzt den angesprochenen Vergleich) und einer weiteren Horde Polizist*innen, die alle Wege zur Naziroute hin abgeriegelt hatten – aufgrund der Lage der Route und der Beschaffenheit des Ortes kein unmögliches Unterfangen, wie schon in den Jahren zuvor. Auf der angemeldeten DGB-Kundgebung sammelten sich zwar mehrere hundert Menschen und es gab auch eine anschließende Spontandemo, der aber sowohl Entschlossenheit als auch Orientierung fehlte, so dass sie sich nach einigen Versuchen, in Richtung der Naziroute zu bewegen in Kleingruppen zerteilte.
Doch die Kleingruppen – sowohl von bunt bis schwarz als auch von aggressiv bis gechillt – schafften es aber nicht, eine Blockade auf der Strecke der Nazidemo zu etablieren, die meisten kamen nichtmal in deren Nähe und die wenigen, die es schafften, machten meist körperliche Bekanntschaft mit dem staatlichen Gewaltmonopol. Daneben gab es aber auch vereinzelt ziemlich witzige Aktionen, wie etwa die kurzzeitige Sitzblockade eines Sanitärwagens der Polizei, die aber schnell wieder aufgelöst wurde. Als die Nazis ihre Kundgebung am Winklerbad abhielten, hatten sich in nahen Seitenstraßen (und so gerade in Sichtweite) viele Gegner*innen versammelt und machten mit Sprechchören, Trillenpfeifen und Vuvuzelas in Nationalfarben (gleich zwei schreckliche Dinge in einem vereint – ich wäre nicht traurig über Demoauflagen, die Vuvuzelas verbieten) einen großen Krach.
Ganz in der Nähe, kurz vor dem Winklerbad, hatten sich zuvor einige Leute an einer Betonpyramide festketten können, an der die Nazis schließlich direkt vorbeilaufen durften, die Angeketteten wurden durch eine Polizeireihe geschützt – trotzdem ein sehr riskantes Unterfangen bei fast 1000 Nazis. Eine große Frage war, wie es diese Mutigen geschafft haben, mit ihrer Blockade auf die Naziroute zu kommen. Die Antwort ist einfach und lustig zugleich: Sie haben sich mehr oder minder selbst als Polizist*innen getarnt und konnten so die Absperrungen passieren und danach ihre Blockade errichten. Auf jeden Fall die wohl gelungenste antifaschistische Aktion des Tages, wenngleich die Aktivist*innen wohl mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen dürfen, das sollte mensch auch weiter verfolgen.
Aus antifaschistischer Sicht war der Tag aber dennoch kein Erfolg: Es ist weder gelungen, die Nazidemo irgendwie zu blockieren, noch sie signifikant zu stören oder zu ärgern, daran ändert die Betonpyramide auch nichts. So sehr sich hunderte von Leuten auch angestrengt haben, es gab einfach kein Durchkommen zur Route, die bereits frühzeitig abgeriegelt war – zivilgesellschaftliche Massenblockaden sind aufgrund der geringen Größe Bad Nenndorfs auch eher unwahrscheinlich, wenn nicht sehr viele Leute von außerhalb (etwa aus Hannover) kommen. Die Nazis haben die Teilnehmer*innenzahl glücklicherweise nicht erneut verdoppeln können (wie die Jahre zuvor), blieben aber auf unerfreulich hohem Niveau. Immerhin war das Wetter gut, Regen hätte der Mobilisierung des Protestes sicherlich noch mehr geschadet (aber auch den Nazis).
Spätestens jetzt sollte allen Antifaschist*innen auch die Bedeutung dieses Aufmarsches klar geworden sein und es bleibt zu hoffen, dass es in den nächsten Jahren mal zu einem Blockadeerfolg kommt, am besten mit Beteiligung der örtlichen Zivilgesellschaft, dann hat es die Presse schwerer, gegen „Extremist*innen“ zu hetzen – wobei es mir egal ist, von wem der Naziaufmarsch dann schlussendlich blockiert wird, auch vollkommen schwarze Blockaden können etwas hermachen, obwohl sie wahrscheinlich deutlich räumungsgefährdeter sind. Ebenso muss das Agieren der Verwaltungs- und Justizbehörden in den nächsten Jahren genauer beäugt werden, damit es nicht zu einem ähnlichen Debakel (aus rechtlicher Sicht) kommt wie in diesem Jahr. Festzuhalten bleibt, dass vor allem der Protest noch deutliches Potential nach oben hat, aber auch bei den Nazis eventuell noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist.
Einige Zeit nach der Demo versammelten sich noch 50-70 Nazis vor der Wohnwelt (alternatives Zentrum) in Wunstorf (auch ganz in der Nähe), wurden aber durch die Polizei verscheucht und machten sich dann mit Autos aus dem Staub. Aber wen wundert ein solches Verhalten, wenn schon der Anmelder des „Trauermarsches“ – Marcus Winter – nicht unbedingt für seine Friedfertigkeit bekannt ist. Er wollte am selben Abend auch noch eine Spontandemo in Minden anmelden, um gegen die Ingewahrsamnahme von 50 Nazis zu protestieren, mit Erfolg: Die Polizei ließ die Nazis frei und die Demo musste nicht einmal stattfinden. Dabei muss mensch sich vor Augen führen, dass die Verbote der Gegenaktionen vor allem auf der Behauptung fußten, es ginge große Gewaltbereitschaft von anreisenden „Autonomen“ aus.
Und die Moral von der ganzen Geschichte: Einmal war es wie eine übliche Provinzdemo, bei der mensch hoffnungslos versucht, irgendwas zu erreichen, aber nur Zeit tottritt, andererseits etabliert sich in ebendieser niedersächsischen Provinz eine Naziveranstaltung von bundesweiter Bedeutung, der es entgegenzutreten gilt. Erst die nächsten Jahre werden jedoch endgültig zeigen, was aus den großspurigen Ankündigungen des DGB-Redners wird, der schon nächstes Jahr den Aufmarsch der Nazis verhindern will – ohne das von allen so ausgegrenzte radikal-antifaschtische Spektrum wird es wahrscheinlich kaum funktionieren. Bis dahin bleibt nur der alte, wenn auch grammatikalisch fürchterlich falsche, Slogan: Bad, badder, Bad Nenndorf.
Anbei noch eine winzige Presseschau, ihr könnt gerne selbst lesenswerte Artikel ergänzen.
Ein Artikel bei Indymedia