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22nd March
2010
written by Tobias Blanken

Scala mobile (dt. wörtlich: Rolltreppe, sinngemäß Lohngleitklausel) war eine im Nachkriegsitalien vereinbarte Klausel, nach der die Löhne automatisch der Inflation folgen sollten. [...] Die Scala mobile war von Anfang an umstritten, da vermutet wurde, dass die Klausel eine sich selbst verstärkende Inflation hervorrief (eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale).

Nachdem die Inflationsrate Anfang der 80er Jahre über 21% (1980) geklettert war, intensivierte sich die politische Diskussion über ihre Abschaffung. Die war politisch nicht durchsetzbar. Die Regierung unter Bettino Craxi entschärfte jedoch die Anpassungsregeln und erreichte so eine Reduzierung der Inflationsrate auf etwa 5% gegen Ende der achtziger Jahre.

1992/93 wurde sie nach langen Diskussionen und Streiks abgeschafft.

(Wikipedia)

Aus dem Entwurf für das Parteiprogramm der LINKE:

Wir wollen regelmäßige Lohnzuwächse, die mindestens den Produktivitätszuwachs und die Preissteigerungen ausgleichen.

Dagegen ist die abgeschaffte italienische Scala mobile samt Inflationsspirale harmlos – schließlich wurden in Italien “nur” die Löhne an die Inflation gekoppelt. Man könnte also eine Lohn-Preis-Spirale theoretisch durch eine höhere Produktivität stoppen. Wie gesagt, theoretisch. In der Praxis hat die Scala mobile zu hohen Inflationsraten geführt.

Aber bei der Linkspartei kommt noch die Koppelung der Lohnzuwächse an den Produktivitätszuwachs hinzu – und zwar mindestens. Dabei dürften die Folgen von Lohnzuwächsen oberhalb der Produktivitätszuwächse eigentlich selbst den Schmalspurökonomen der Linkspartei bekannt sein: Entweder können die Unternehmen die Lohnzuwächse auf die Produkte umlegen, was unweigerlich steigende Preise zur Folge hat. Oder sie können sie nicht auf die Produkte umlegen, was zunächst den Profit schmälert und schließlich zur Pleite des Unternehmens führt.

Keine Ahnung, was die LINKE hier geritten hat – vielleicht dachten sie ja tatsächlich, die Löhne kommen aus der Steckdose. Von wegen: Wir haben ein Perpetuum mobile für Lohnzuwächse erfunden! Wobei: Es ist tatsächlich eine Form des Perpetuum mobile, leider werden es nur die Inflationsraten sein, die ständig in Bewegung sind – und zwar gnadenlos noch oben.

Weitere Programmpunkte der Linkspartei samt historische Einordnung findet man hier: Unter Linken.

17th March
2010
written by Tobias Blanken

Frankreichs Finanzministerin richtet einen deutlichen Appell an die deutsche Regierung: Die Bundesrepublik müsse die heimische Nachfrage stärken, fordert Christine Lagarde in einem Interview mit der “Financial Times”. Der große Handelsüberschuss gefährde die Wettbewerbsfähigkeit anderer Staaten der Euro-Zone. Deutschland erwirtschaftet fast 50 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit Ausfuhren.

“Können diejenigen mit Handelsüberschüssen nicht ein klein wenig was tun?”, fragte Lagarde. Deutschland habe in den vergangenen zehn Jahren “die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, einen sehr hohen Druck auf seine Arbeitskosten ausgeübt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das ein nachhaltiges Modell ist – langfristig und für die gesamte Gruppe. Wir brauchen offensichtlich eine bessere Angleichung.”

(SPIEGEL ONLINE)

Gegen die Forderungen von Christine Lagarde gibt es viele gute Argumente, die meisten drehen sich um Gerechtigkeitsaspekte (warum soll Deutschland für Frankreich seine Wettbewerbsfähigkeit reduzieren? etc.) und Fehlanreize (warum sollen Länder für ihre Wettbewerbsfähigkeit bestraft werden?). So weit, so richtig. Oder zumindest diskutabel.

Was jedoch deutlich schwerer wiegt ist die eingeschränkte Wahrnehmung der derzeitigen Situation durch Lagarde, die sich allein auf den Handel zwischen den Staaten der Euro-Zone beschränkt. Was sie vollkommen ignoriert ist der Außenhandel der gesamten EU, der sich in den letzten Jahren folgendermaßen entwickelt hat*:

Ausfuhren aus der EU in Milliarden €:
2004 – 953.0
2005 – 1,052.7
2006 – 1,160.1
2007 – 1,241.5
2008 – 1,306.5

Einfuhren in die EU in Milliarden €:
2004 – 1,027.5
2005 – 1,179.6
2006 – 1,352.8
2007 – 1,434.0
2008 – 1,565.0

Wie man anhand der Zahlen leicht erkennen kann erwirtschaftet die EU ein Außenhandelsdefizit, welches sogar stark gestiegen ist. 2004 betrug das Defizit noch rund 70 Milliarden €, 2008 lag es bereits bei 258 Milliarden €.

Natürlich lässt sich der Handel aus der EU heraus auch nach den einzelnen EU-Ländern aufschlüsseln. Dänemark und Irland erwirtschafteten 2008 etwa ein Außenhandelsplus von 2,9 bzw. 14,6 Milliarden €, während Spanien und Italien ein Außenhandelsdefizit von 58,3 bzw. 21,4 Milliarden € erwirtschafteten. Insgesamt kommen 18 Länder auf ein Defizit, während gerade 9 Länder ein Außenhandelsplus voweisen können. Das größte Plus mit 67.6 Milliarden € kommt aus Deutschland – ohne Deutschland käme die EU demnach sogar auf ein Defizit von rund 325 Milliarden €.

Der Außenhandel von Frankreich mit Ländern außerhalb der EU hat sich dagegen folgendermaßen entwickelt (in Milliarden €):

2002 – 13,102
2003 – 10,538
2004 – 8,658
2005 – 4,499
2006 – 3,279
2007 – 0,775
2008 – -5,941

Die Entwicklung lässt m.E. nur den Rückschluß zu, dass nicht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit ein Problem ist, sondern die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der EU. Und, natürlich, dass die EU ohne Deutschland noch deutlich schlechter dastehen würde. Frankreich hingegen verliert seit Jahren an Wettbewerbsfähigkeit auch gegenüber den Ländern außerhalb der EU – woran weder Deutschland noch der Euro Schuld ist. Da wäre es schlichtweg besser, sie würden ihre eigenen Hausaufgaben erledigen als im Namen eines “nachhaltigen Modells” auf Deutschland zu zeigen.

* Alle Daten sind aus dem External and intra-European Union trade – Statistical yearbook – Data 1958-2008

25th February
2010
written by Tobias Blanken

Die deutsche Nahostberichterstattung übertrifft sich mal wieder selbst:

Mosab Hassan Jusefs Deckname war der „Grüne Prinz“. Denn Grün ist die Farbe der Fahne der Hamas, und Jusefs Vater ist Scheich Jassin, der die islamistische Organisation gegründet hatte und später von der israelischen Armee getötet wurde. Schon einmal war der Sohn des bis heute als Märtyrer verehrten Scheichs in den Schlagzeilen, als er nicht nur die Hamas als Mörderbande beschimpfte, sondern auch bekanntgab, dass er Christ geworden sei. Daraufhin musste er vor drei Jahren aus dem Westjordanland nach Amerika fliehen.

Aus der FAZ: Israels Hamas-Spion – Deckname „Grüner Prinz“. Von Hans-Christian Rößler, Jerusalem.

Der Artikel samt Zitaten basiert im Wesentlichen auf dieser Exklusivmeldung von Haaretz: Hamas founder’s son worked for Shin Bet for years.

Das Problem: Selbst mit eingeschränkten Englischkenntnissen müsste man eigentlich sehr schnell merken, dass Haaretz nicht den Hamasgründer, sondern einen Hamasgründer als Vater benennt. Und zwar benennt Haaretz klar und deutlich Sheikh Hassan Yousef als Vater (”Mosab Hassan Yousef is the son of Sheikh Hassan Yousef, a Hamas founder and one of its leaders in the West Bank“).

Es ist vollkommen absurd: Weltweit (vgl. etwa CNN) wird Sheikh Hassan Yousef als Vater benannt, nur in Deutschland (bzw. in der FAZ) ist es auf einmal Scheich Jassin.

Nun könnte man munter spekulieren, wie solch ein Bock geschossen werden konnte. Verfügt der FAZ-Korrespondent nur über eingeschränkte Englischkenntnisse? Oder ist Scheich Jassin mangels Hamas-Kenntnissen der einzige Name, den der FAZ-Korrespondent mit eben jener Terrororganisation in Verbindung bringen kann? Natürlich könnte man sich auch einfach nur über die miese Berichterstattung ärgern.

Oder man nimmt in Zukunft die deutsche Nahostberichterstattung als vollkommen faktenbefreite Märchenstunde aus 1000 und einer Nacht hin. Damit wäre man der Wahrheit zumindest deutlich näher als so mancher deutscher Nahostkorrespondent.

Nachtrag: Jetzt wird es richtig peinlich. Die FAZ hat ihren Fehler bemerkt und den Artikel korrigiert. Bzw. hat im zitierten Absatz “Scheich Jassin” durch “Scheich Hassan Jusef” (die deutschsprachige Version von Sheikh Hassan Yousef) ersetzt. Daher steht dort jetzt folgender Absatz:

Mosab Hassan Jusefs Deckname war der „Grüne Prinz“. Denn Grün ist die Farbe der Fahne der Hamas, und Jusefs Vater ist Scheich Hassan Jusef, der die islamistische Organisation gegründet hatte und später von der israelischen Armee getötet wurde. Schon einmal war der Sohn des bis heute als Märtyrer verehrten Scheichs in den Schlagzeilen, als er nicht nur die Hamas als Mörderbande beschimpfte, sondern auch bekanntgab, dass er Christ geworden sei.

Das Problem: Scheich Hassan Jusef ist quicklebendig. Wurde nicht von der israelischen Armee getötet. Wird daher auch nicht als Märtyrer verehrt.

Ja, und um die Verwirrung zu vervollkommnen findet sich weiter unten im FAZ-Text auch noch folgender Satz: “Eine Information des Sohnes von Hamas-Gründer Jassin seien tausend Stunden Arbeit israelischer Terrorexperten wert gewesen”.

Merke: In der FAZ-Phantasie können Palästinenser zwei Väter haben und quicklebendige Terroristen werden (Ejaculatio praecox?) als Märtyrer verehrt.

Nachtrag II: FAZ, du machst dich. Nach der nächsten Korrektur ist Mosab Hassan Jusef ein normaler Mensch mit nur einem Vater (“Eine Information des Sohnes von Hamas-Gründer Jusef…”). Außerdem hat dieser Vater die Hamas nur “mitbegründet”, nicht mehr “gegründet”. Falls du, liebe FAZ, in einer der nächsten Korrekturen auch noch dafür sorgen könntest, dass der Vater noch unter uns weilt und eben nicht “als Märtyrer” verehrt wird, dann kommen wir der Wahrheit schon sehr nahe.

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12th January
2010
written by Tobias Blanken

Aus dem aktuellen WELT-Artikel* über den neuen Jahresbericht von Freedom House:

Die Organisation bezeichnet sich als unabhängig und überparteilich, wird aber zu etwa zwei Dritteln aus Geldern der US-Regierung finanziert.

Dieser Satz/Vorwurf ist in doppelter Hinsicht typisch: Zum einen fällt er fast immer, wenn in deutschen Medien, Blogs etc. über Freedom House oder anderen amerikanischen Organisationen berichtet wird. Zum anderen ist es immer wieder erstaunlich, dass dieser Vorwurf gegenüber deutschen Organisationen im Normalfall nicht erhoben wird. Ganz im Gegenteil: Deutsche Organisationen werden als “unabhängig und überparteilich” bezeichnet, wenn sie nicht “von privaten Geldern abhängig sind.” Siehe etwa die Debatte über den öffentlichen Rundfunk. Oder über die Drittmittelfinanzierung deutscher Universitäten. Oder über die Finanzierung von Verbraucherschutzorganisationen. Oder über staatlich subventionierte Kultureinrichtungen. Oder über die Notwendigkeit einer Bundeszentrale für politische Bildung.

* Studie: Mehr als 2,3 Milliarden Menschen sind nicht frei. Lesenswert.

30th October
2009
written by Tobias Blanken

Oder: Heute sind wir alle Imperialisten

Aus dem ZEIT-Artikel Die Grenzen westlicher Macht von Ulrich Ladurner:

Natürlich, Obama ist ziviler in seiner Rede, er ist auch ziviler in manchen seiner Taten; doch auch seine Politik stützt sich auf einen dicken Knüppel, den er durchaus einzusetzen weiß. Das ist in Afghanistan der Fall, und jüngst auch in Pakistan. Dieses Land bekommt finanzielle Unterstützung aus Washington nur dann, wenn es einen ganzen Katalog an Forderungen erfüllt; viele von ihnen verletzten eindeutig die Souveränität Pakistans. Es gab eine Zeit, da nannte man dies Imperialismus. Heute läuft das unter dem Titel: Kampf gegen den Terror.

Systematische Entwicklungshilfe wird eigentlich immer an Bedingungen geknüpft. Egal, ob bilateral oder multilateral. Wenn Deutschland z.B. Geld direkt an ein afrikanisches Land überweist, dann ist die Überweisung im Normallfall an Bedingungen geknüpft. Ebenso sieht es bei der multilateralen Hilfe etwa von der EU, UN oder der Weltbank aus.

Darüber werden auch – im Normalfall sonntags – viele schöne Reden (mit noch viel schöneren Titeln) gehalten. Etwa der Milleniums Deklaration. In den Reden fallen dann immer wieder Wörter wie Good Governance. Inhaltlich handeln die Reden meist davon, dass das Geld nicht verjubelt (Staatskarossen Marke Mercedes, Rüstungsgüter Marke Sukhoi, Nummernkonto Marke Credit Suisse) sondern bestmöglich (Schulen, Krankenhäuser, Anti-Korruptionsprogramme etc.) investiert wird.

Angesichts dieser vielen Reden dürfte jedem – also auch Herrn Ladurner – mittlerweile bewußt sein, dass wir ebenso “die Souveränität” von diversen Ländern durch “einen ganzen Katalog an Forderungen” verletzen (ok, am Zahltag wird dann meist nicht so genau hingeschaut, schließlich interessieren Sonntagsreden werktags nicht wirklich).

Nach Ladurner sind wir demnach also alle Imperialisten. Was einfach nur lächerlich ist. Unerträglich wird Ladurners hahnebüchener Vergleich jedoch dadurch, dass die ungeheuren Verbrechen (Versklavung ganzer Völker, Massaker, ethnische Säuberungen etc.) des Imperialismus mal eben relativiert werden. Aber das ist einem Ladurner vermutlich egal. Er meint es ja nur gut.

28th October
2009
written by Tobias Blanken

Celebrities gain some combination of altruistic satisfaction, a good PR image, and a boost for their acting or singing career. Africa Malawi gains aid.

(TANSTAAFL)

Die Wirklichkeit übertrifft alle Satire:

Siehe auch: Sing, Bono, sing…was anderes.

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26th October
2009
written by Tobias Blanken
9th October
2009
written by Tobias Blanken

An It girl or It-girl is a charming, sexy young woman who receives intense media coverage unrelated or disproportional to personal achievements.

(Wikipedia)

Mr Obama becomes the third sitting US President to receive the prize. The committee said today that he had “captured the world’s attention”. It is certainly true that his energy and aspirations have dazzled many of his supporters. Sadly, it seems they have so bedazzled the Norwegians that they can no longer separate hopes from achievement. The achievements of all previous winners have been diminished.

Times Online: Absurd decision on Obama makes a mockery of the Nobel peace prize

2nd October
2009
written by Tobias Blanken

Aus dem ZEIT-Artikel “Schönheitswahn: Zu dünn, um wahr zu sein“:

Jo Swinson, Mitglied der britischen Liberalen, mag keine Werbeplakate, auf denen Frauen perfekt aussehen. Ihr Zorn richtet sich gegen Bilder von Frauen, denen man mit Hilfe moderner Bildbearbeitung eine Rundung oder eine Falten zuviel entfernt hat. “Wenn Teenager und Frauen diese Bilder sehen, werden sie am Ende unglücklich mit sich selbst“ sagte Swinson zuletzt in einem Interview mit der International Herald Tribune. Ihren Vorschlag, eine Kennzeichnungspflicht für Werbeanzeigen einzuführen, hat die drittgrößte Partei Großbritanniens jetzt in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Für Werbung, die sich an Kinder unter 16 Jahren richtet, soll sogar ein vollständiges Verbot von bearbeiteten Fotos ergehen.

In Frankreich kämpft Válerie Boyer für naturbelassene Frauenbilder. Sie ist Mitglied in der UMP, der Partei Nicolas Sarkozys. Boyer hat unlängst mit einer Gruppe von etwa 50 Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Einsatz von Programmen wie Photoshop kontrollieren will. Es gehe ihr darum, die “irreführenden und standardisierten Körperbilder” zu bekämpfen, sagte Boyer der französischen Zeitung La Croix. Diese verleiteten vor allem Frauen zu dem Glauben, immer jung und schön sein zu müssen. “Das führt schon im jungen Alter zu Komplexen”, glaubt sie. Auch Kunstfotos und politische Kampagnen sollen unter die neue Regelung fallen.

Irreführende und standardisierte männliche Körperbilder, ca. 200 vor Christus:

Laocoon und Söhne

Laocoon und seine Söhne*

*Das Bild ist unter der Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 License lizenziert. Autor/ Quelle: JuanMa/ Wikipedia

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