Nachdem es Nachrichtenjunkies wie mir unmöglich war, dem Mauerfall-Jubiläum zu entkommen, möchte ich meine Gedanken mit euch teilen. Ich bin tief berührt von der Tatsache, dass dort, wo vor 20 Jahren die Menschen noch erschossen wurden, wenn sie zu ihren Familien ins Nachbarland fliehen wollten, heute eine große Party stattfinden kann. Stellt euch das vor: Ihr lebt ein paar hundert Meter Luftlinie von geliebten Menschen entfernt, könnt sie aber nicht sehen.
Was mich noch wesentlich mehr freut ist das Faktum, dass diese Mauer von den Bürgern selbst buchstäblich überrannt wurde. Das war das Paradebeispiel einer friedlichen Revolution. Einer Revolution, die vom Volk, und nicht von Kadern ausging. Der geniale Slogen der Demonstranten in den Wochen und Monaten zuvor brachte es auf den Punkt: „Wir sind das Volk!“ Er ist absolut großartig: Da die SED, die selbsternannte Vorkämpferin der Revolution der glorreichen Arbeiter- und Bauernmassen, kurz: dem Volk. Und hier Hunderttausende, einmal sogar eine Million, die nichts anderes sagen als „Wir sind das Volk.“ Was sie nicht dazusagen brauchen: Und nicht ihr; Denn wir haben die Schnauze voll von euch, und schicken euch in die Wüste – denn wir kämpfen schon selber für uns.
Was man nicht übersehen darf, ist jedoch die große Veränderung in den Jahren zuvor: Ungarns alte Garde hatte plötzlich nichts mehr zu melden und der Eiserne Vorhang zu Österreich wurde geöffnet. In Polen hatte die Gewerkschaft Solidarność dem alten Regime in jahrelangen Kämpfen massive Zugeständnisse abgetrotzt. Und in der Sowjetunion hatte Gorbatschow erkannt, dass es nicht möglich ist, Unrechtsregime ewig zu erhalten. Schon gar nicht, wenn sie quasi bankrott sind und keinen wirtschaftlichen Erfolg haben.
Plötzlich stand Honecker allein vor Ochs und Esel (genannt Volk), die sich anschickten, den Sozialismus nicht nur aufzuhalten, sondern gleich zu zerschmettern. Und so musste er den Hut nehmen – doch auch das konnte das verknöcherte, korrupte SED-Regime nicht mehr retten. Das Wunder, für das wir alle dankbar sein sollten, ist jedoch, dass keine Schüsse fielen. Der 9. November 1989 war eine der Gelegenheiten, die Menschheit in einem 3. Weltkrieg zu vernichten.
Und heute sind die beiden Deutschlands vereint, die EU reicht bis ans Schwarze Meer, die Nato bis vor Russlands Haustür, und ein halber Kontinent lebt in Freiheit statt Unterdrückung. Selbstverständlich gab und gibt es immer noch viele Probleme – dass etwa die Straßen in den kapitalistischen Ländern nicht mit Gold gepflastert waren, wie man ihnen weis machte, war eine herbe Enttäuschung für viele Osteuropäer. Auch der enorme Druck, den die Globalisierung ausübt, ist nicht gerade wünschenswert. Doch all diese Nachteile verblassen, wenn man den Vergleich zu den Zeiten des Realsozialismus zieht.
Noch ein paar Worte zu denen, die die DDR verteidigen. Ja, einiges mag besser gewesen sein (etwa die soziale Absicherung). Nur: Na und? Hitler baute die Autobahn. Wenn man einen Staat und dessen Staatsform an sich beurteilen will, dann wird das alles irrelevant. Dann zählt nur eine Frage: Ist es ein Rechts-, oder ein Unrechtsstaat? Denn nur darauf kommt es an – hält sich der Staat, als Ausformung der Gesellschaft, an die eigenen Regeln? Kann er damit von den Mitgliedern seiner Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werden? Und die DDR, mitsamt dem Stasi-Apparat, war ein enormer Unrechtsstaat. Daran ändert auch keine Wohnbaupolitik oder was weiß ich was etwas – ob wir von der Wohnbaupolitik der DDR was lernen können, schauen wir uns dann an, wenn es um Wohnbau geht. Wer aber heute noch Stalinismus, den real existierenden Sozialismus oder ähnliches Pack verteidigt, ist für mich ebenso abscheulich wie Nazis. Denn die Menschenverachtung war die selbe, auch wenn die Jäckchen bei den Massenaufmärschen rot statt braun waren.
Aber lassen wir das. Stoßen wir einfach darauf an, dass alles gut gegangen ist. Dass ein halber Kontinent in zwanzig Jahren – dem Zeitraum von nur einer Generation – einen in dieser Größenordnung noch nie dagewesenen Sprung nach vorne geschafft hat. Und darauf, dass zusammenwuchs, was zusammengehört. Prost! Cheers! Nastrowje! Salute!
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