3.2.10

Die Lehren der Geschichte



Eine kleine Dokumentation politischer Äußerungen der letzten Tage – und ihre Beurteilung durch einen, der schon gar nicht mehr lebt.

„Ich bin stolz darauf, dass wir der Erzfeind der Nazi-Verbrechen sind. Ich bin stolz auf das Erbe unserer Väter – das Gegenteil jeder Rassenlehre. Ich bin stolz auf die Gründung des Staates Israel, die moralische und historische Antwort auf den Versuch, das jüdische Volk von der Erde zu tilgen.“ (Der israelische Staatspräsident Shimon Peres in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 27. Januar 2010)

„Dazu habe ich mich immer bekannt.“ (Christoph Metzelder, bei Real Madrid mehr oder weniger aktiver deutscher Fußball-Nationalspieler, in einem am 1. Februar 2010 veröffentlichten Interview des kicker auf die Frage, ob er stolz darauf sei, Deutscher zu sein)

„Zum Gedenken an die Opfer des Holocaust habe ich mich selbstverständlich von meinem Platz erhoben. Dass ich nach der Rede von Shimon Peres nicht an den stehenden Ovationen teilgenommen habe, liegt darin begründet, dass ich einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, einen solchen Respekt nicht zollen kann.“ (Sahra Wagenknecht, Bundestagsabgeordnete und Vorstandsmitglied der Partei Die Linke, in einer Erklärung vom 1. Februar 2010)

„Selbstverständlich habe ich an der Gedenkveranstaltung teilgenommen und habe mich bei der Würdigung der Opfer erhoben. Am Ende von Shimon Peres’ Rede bin ich allerdings nicht aufgestanden. Die Unterstellung von Peres, der Iran wäre heute eine ebenso große Bedrohung für die Welt und alle Juden wie Deutschland damals, ist falsch. Ich weise jegliche Gleichsetzung des Irans mit Nazideutschland zurück. Deutschland war die zweitmächtigste Industrie­nation und hatte die größten Landstreitkräfte der Welt. Der Iran heute ist eine zweitrangige Regionalmacht.“ (Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand Die Linke und friedenspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, in einer Erklärung vom 2. Februar 2010)

„Die NPD-Fraktionen in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben solche Canossa-Veranstaltungen immer sofort verlassen oder sind gar nicht erst erschienen. Aber im Blickkontakt mit einem jüdischen Redner, der von deutschen Politikern nur den Kriechgang und die Anerkennung von ‚Kollektivschuld’ und ‚Erbschuld’ kennt, den Betroffenheitsapplaus zu verweigern, hat noch eine andere tabubrecherische Qualität. Für die Einübung des aufrechten Ganges – in diesem Fall durch demonstrative Beifallsverweigerung – gehört ausnahmsweise einmal einer Kommunistin und einer Trotzkistin Dank ausgesprochen.“ (Jürgen Gansel, NPD-Landtagsabgeordneter in Sachsen, in einer Erklärung vom 2. Februar 2010)

„Hochachtung vor Sarah [sic!] Wagenknecht [...]. Man mag in Deutschland leider auch lebende Juden und erweist diesen zu viel Ehre. Manchmal allerdings auch den richtigen, wie z.B. Daniel Barnboim [sic!] oder Alfred Grosser oder Felicia Langer. Juden dürfen auch zurückschlagen, wenn sie geschlagen werden. Aber die Ermordung von 14.500 [sic!] Zivilisten in Gaza ist weit davon entfernt, ein ‚Zurückschlagen’ zu sein. Wenn jemand meint, dass [sic!] müsse man den Juden erlauben, dann kann er auch nichts dagegen haben, was Putin in Tschetschenien getan hat oder die Chinesen in Tibet oder eben auch Hitler mit den Juden.“ (Abraham Melzer, Herausgeber der Zeitschrift Semit, in einem Kommentar vom 2. Februar 2010 zum Beitrag „Sahra und die toten Juden“ auf dem Weblog Basisbanalitäten)

„Der Iran ist nach den Worten von Präsident Mahmud Ahmadinedjad bereit, sein Uran wie von den Vereinten Nationen gefordert im Ausland anreichern zu lassen. Sein Land habe keine Probleme damit, das schwach angereicherte Uran in den Westen zu schicken und es einige Monate später auf 20 Prozent angereichert wieder zurückzubekommen, sagte Ahmadinedjad am Dienstag in einem Interview mit dem staatlichen iranischen Fernsehen.“ (Agenturmeldung vom 2. Februar 2010)

„Der Arbeitskreis Umwelt (AKU) Gronau ruft zum weiteren Protest gegen die Gronauer Urananreicherungsanlage (UAA) auf. Konkret lädt er alle besorgten Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an einer Mahnwache vor dem Gronauer Rathaus am Mittwoch (3.2.) von 17.30 – 18.00 Uhr ein. Anlass ist die öffentliche Sondersitzung des Gronauer Stadtrates, die Mittwoch um 18.00 Uhr beginnt. [...] Am Samstag demonstrierten in Gronau rund 200 Personen unter dem Motto ‚Für ein Leben ohne Urananreicherung’, darunter auch viele aus Gronau. Die Proteste werden auch nach der Mahnwache und Sondersitzung des Rates fortgesetzt.“ (Aus einem Aufruf des Arbeitskreises Umwelt Gronau für den 3. Februar 2009)

„Im Namen des Friedens gegen Israel zu sein, ist etwas Neues. Denn dieses Ressentiment hat alle praktischen und politischen Beweggründe abgestreift. [...] Dieser neue Antisemitismus erwächst weder aus niedrigen Instinkten noch ist er Ausfluss ehrbarer politischer Absichten. Er ist die Moralität von Debilen. Das antijüdische Ressentiment entspringt den reinsten menschlichen Bedürfnissen, es kommt aus der Friedenssehnsucht. Es ist daher absolut unschuldig, es ist so universell wie moralisch. Dieser moralische Antisemitismus beschließt die deutsche Wiedergutwerdung insofern, als sich durch ihn die Vollendung der Inhumanität ankündigt: die Banalität des Guten.“ (Eike Geisel: Bericht aus einem Zwischenlager, in: ders.: Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer – die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin 1998, S. 117-129, hier: S. 120f.)

25.1.10

In guter Gesellschaft



Vieles spricht dafür, dass der Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli (51) für Al-Qaida von überaus großer Bedeutung ist und gute Kontakte zu ihr pflegt. Er selbst sieht sich jedoch als Opfer – und freut sich, dass es die deutschen Behörden sind, die gegen ihn ermitteln. Schließlich können sie an seinem Handeln partout nichts Strafbares erkennen.


VON STEFAN FRANK*

Auf Antrag der Linksfraktion beschäftigt sich der Innenausschuss des Deutschen Bundestages am kommenden Mittwoch mit den angeblichen Mordplänen des US-Geheimdienstes CIA gegen den Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli (Foto). Anlass ist eine Reportage in der amerikanischen Illustrierten Vanity Fair über Erik Prince, den Chef und Gründer des privaten Militärunternehmens Blackwater. Beiläufig wird darin erwähnt, dass das Unternehmen einmal von der CIA den Auftrag erhalten haben will, den Hamburger Geschäftsmann Darkazanli und den pakistanischen Atombombentüftler Abdul Qadir Khan zu beschatten und später eventuell umzubringen. Die Pläne seien jedoch wegen des „fehlenden politischen Willens“ nicht ausgeführt worden. „Es macht mich sprachlos, ehrlich gesagt. Das ist ein Mordauftrag“, sagte Darkazanli dazu der Bild-Zeitung und präsentierte ihr elektronische Bauteile, die er vor kurzem im Wagen seiner Frau entdeckt habe: „Vielleicht sind das Peilsender“. Darkazanli braucht sich aber keine Sorgen zu machen – auch Autofahrer, die nicht von der CIA beschattet werden, haben heutzutage solche Geräte in ihren Fahrzeugen. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass nicht alles stimmt, was in Vanity Fair steht.

Im vorliegenden Fall ist zudem besondere Vorsicht geboten, denn als Beleg für die Geschichte wird lediglich eine anonyme „Quelle“ genannt. Zudem ist der Autor des Beitrags ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, und die lügen bekanntlich wie gedruckt. Wie oft schon wurde unter Berufung auf so genannte Geheimdienstkreise prophezeit, die USA würden die iranischen Atomanlagen bombardieren! Gelegentlich wurden sogar ein genaues Datum und der Name der Operation genannt – doch jedes Mal stellte sich bald heraus, dass es sich um leere Versprechungen gehandelt hatte. Trotzdem gaben sich hierzulande Politiker aller Parteien entsetzt, als die offenkundige Räuberpistole Anfang Januar die Runde machte. Und da es keine Fakten zu diskutieren gibt, sondern bloß eine unbelegte Behauptung, die man entweder glauben oder nicht glauben kann, dürfte die Sitzung des Innenausschusses schnell zu Ende sein und ungefähr so ablaufen:

Abgeordneter der Linken: Ich frage die Bundesregierung: Was wissen Sie?
Abgeordneter der Grünen: Ja, klären Sie alles rückhaltlos auf!
Vertreter der Bundesregierung: Ich weiß gar nichts.
Abgeordneter der Grünen: Was wissen die Amerikaner?
Vertreter der Bundesregierung: Die wissen auch nichts.
Abgeordneter der Linken: Das finde ich skandalös.
Abgeordneter der Grünen: Ich schlage vor, den Chefredakteur von Playboy...
Abgeordneter der Linken: Vanity Fair.
Abgeordneter der Grünen: Ich schlage vor, den Chefredakteur von Vanity Fair einzuladen, vielleicht weiß der etwas.
Vertreter der Bundesregierung: Na, dann kann ich ja jetzt gehen.

„Wie ein Who’s Who von Al-Qaida“

Interessanter wäre es, mehr über das vermeintliche Opfer zu erfahren, und da findet sich in deutschen und internationalen Medien einiges. Die Liste der Personen, mit denen Darkazanli Geschäfte gemacht oder anderweitig Geld ausgetauscht habe, lese sich wie ein Who’s Who von Al-Qaida, schrieb beispielsweise ein Journalist der Chicago Tribune. Die amerikanischen Geheimdienste sind demzufolge spätestens 1998 auf ihn aufmerksam geworden. Damals sei Darkazanli ein Partner von Mamdouh Mahmud Salim gewesen, einem der mutmaßlichen Mitbegründer von Al-Qaida, der inzwischen wegen Mittäterschaft bei den Anschlägen auf US-Botschaften in Afrika verurteilt wurde. Salim hatte Darkazanlis Nummer in seinem Mobiltelefon gespeichert und soll ihn häufig in Deutschland besucht haben. Seit 1995 hatte Darkazanli darüber hinaus eine Vollmacht für Salims Konto bei der Deutschen Bank in Hamburg; er behauptet, das Konto sei zum Ankauf von Antennen für eine Radiostation im Sudan eingerichtet worden, das Geschäft sei jedoch nicht zustande gekommen.

Laut der britischen Tageszeitung Independent taucht Darkazanlis Name auch in einem „mit unsichtbarer Tinte“ – islamische Terroristen sind manchmal etwas altmodisch – geschriebenen Adressbuch von Rangzieb Ahmed auf, dem ranghöchsten Al-Qaida-Mann in Großbritannien, der im Dezember 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Darkazanlis Adresse wurde zudem bei Wadih el-Hage gefunden, einem weiteren Mittäter der Bombenanschläge von Afrika im Jahr 1998. Beide sollen in den 1990er Jahren für Osama bin Laden ein Schiff gekauft haben. Ist es ein Zufall, dass dieses Schiff im November 1995 den saudischen Hafen Jeddah anlief und ihn just am Vortag des Anschlages auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Saudi-Arabien – die Detonation einer Autobombe tötete fünf Armeebedienstete – verließ? Die Täter wurden jedenfalls nie ermittelt.

Im Oktober 1999 wurde in der Hamburger Al-Quds-Moschee die Hochzeit von Said Bahaji gefeiert. Er war damals ein Zimmergenosse von Mohammed Atta und wird dringend verdächtigt, die Hamburger Terrorgruppe logistisch unterstützt zu haben, beispielsweise durch die Beschaffung von Visa und Flugtickets. Zur Hochzeit traf sich offenbar die gesamte Hamburger Al-Qaida-Szene, inklusive Mohammed Atta, Mounir al-Motassadeq und Ramzi Binalshibh. Darkazanli war der Trauzeuge. In der Al-Quds-Moschee predigte damals häufig Mohammed Fizazi, dem es ein dringendes Bedürfnis war und ist, „Juden und Kreuzfahrern“ die „Kehlen durchzuschneiden“. Fizazi hatte Kontakte zu den Urhebern der Anschläge von New York, Madrid und Casablanca und sitzt heute in Marokko im Gefängnis.

Ende August 2001, also kurz vor den Anschlägen in New York und Washington, soll Darkazanli außerdem mit Barakat Yarkas, dem damaligen Chef der spanischen Al-Qaida-Gruppe, in Kontakt gestanden haben. In einem abgehörten Telefonat unterhielten sich die beiden scheinbar belanglos über Herrenmode, wie die Süddeutsche Zeitung 2004 berichtete: „Der Mann mit der deutschen Telefonnummer fragte, ob der andere in diesem Jahr in die Türkei fahre. Der andere, der in Spanien saß, antwortete: Es gebe ‚englische Herrenpullover’, und auf dem Schwarzmarkt seien auch die ‚Preise sehr günstig’. Im weiteren Verlauf ging es um Jugendliche aus Marokko und Algerien, und die Ermittler schlossen aus alledem, dass die beiden womöglich Codewörter benutzt hatten, um über gefälschte Ausweispapiere zu sprechen.“ Yarkas, der heute in Spanien inhaftiert ist, soll sich mehrmals mit Darkazanli in Spanien und Hamburg getroffen haben.

In Spanien hat sich damals offenbar auch Mohammed Zouaydi herumgetrieben. Zouaydi ist der ehemalige Buchhalter der saudischen Königsfamilie und gilt als Al-Qaida-Mäzen. Die Welt meldete am 25. April 2002: „Zouaydi soll über verschiedene Wohnungsbaufirmen Terrorkommandos rund um den Globus finanziert haben. Mindestens 667.000 Euro soll der gebürtige Syrer mit spanischem Pass an Zellen unter anderem in den USA, in Großbritannien, in Belgien, im Jemen und in Australien überwiesen haben. 180.000 Euro gingen auch an Mamoun Darkazanli (‚Abu Ilias’), der in Deutschland für die Todesflieger vom 11. September um Mohammed Atta zuständig war. Darkazanli soll neben Atta auch Logistikchef Ramsi Binalshibh angeworben haben, nach dem jetzt auch im Zusammenhang mit dem Djerba-Attentat gefahndet wird.“ Darkazanli behauptete hingegen, von Zouaydi lediglich 9.000 US-Dollar bekommen zu haben. Dafür hätte er in Hamburg einen Gebrauchtwagen kaufen und ihn zu Zouaydi nach Spanien schicken sollen. Darkazanli habe jedoch kein passendes Auto gefunden und das Geld deshalb zurücküberwiesen. Es heißt, deutsche Ermittler hätten bezweifelt, dass ein Millionär wie Zouaydi jemanden engagieren muss, der ihm in Hamburg ein Fahrzeug aus zweiter Hand besorgt.

Der Terrorismusexperte Jean-Charles Brisard schrieb im Dezember 2002 in einem für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angefertigten Bericht: „Geld wurde von der saudischen Al Rajhi Bank über Mamoun Darkazanli und Abdul Fattah Zammar an die Hamburger Terrorzelle geleitet, die die Flugzeugentführer mit finanzieller und logistischer Unterstützung versorgten.“ Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verfügt US-Präsident Bush die Beschlagnahmung des Vermögens von 27 Firmen und Personen, die verdächtigt wurden, Geld an Al-Qaida geleitet zu haben, unter ihnen Mamoun Darkazanli. Auf der Seite von Interpol findet man den Steckbrief, mit dem Darkazanli international gesucht wird – außer dort, wo er wohnt. Gegen ihn liegt in Deutschland nichts vor, und da er einen deutschen Pass hat, wird er nicht an die Justiz eines anderen Landes überstellt.

Dabei sah es für ihn auch schon mal weniger gut aus. Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón – der durch seine Bemühungen, Augusto Pinochet vor Gericht zu bringen, international bekannt geworden ist – wollte Darkazanli in Spanien den Prozess machen, da er ihn für eine Schlüsselfigur von Al-Qaida hält. Im Oktober 2004 beantragte er deshalb die Auslieferung. Rechtliche Grundlage war der „europäische Haftbefehl“, der seit August 2004 auch Deutschland verpflichtete, eigene Staatsbürger zur Strafverfolgung zu überstellen, sogar für Taten, die hierzulande nicht strafbar sind.

„Strafrechtlich nicht relevante Handelsgeschäfte“

Darkazanli kam in Haft, doch eine Stunde bevor er nach Spanien geflogen werden sollte, stoppte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung. Das deutsche Gesetz zum europäischen Haftbefehl, stellte es später fest, sei verfassungswidrig. Es musste überarbeitet werden; in der Zwischenzeit leitete die Bundesanwaltschaft ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen Darkazanli ein, das am 14. Juli 2006 jedoch eingestellt wurde. Die Bundesanwaltschaft erklärte, Darkazanli habe zwar „zwischen 1993 und 1998 als Ansprechpartner verschiedener Al-Qaida-Verantwortlicher“ fungiert und sei „vermittelnd, betreuend und verwaltend in die international angelegten unternehmerischen Aktivitäten des Al-Qaida-Firmengeflechts eingebunden“ gewesen. Diese „der Al-Qaida-Organisation zugute gekommenen Aktivitäten“ hätten „jedoch nicht die Voraussetzungen einer Strafbarkeit“ wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs erfüllt. Und weiter: „Soweit er für Al-Qaida tätig geworden ist, wickelte er strafrechtlich nicht relevante Handelsgeschäfte als Vermittler ab. Weder die Art der gehandelten Waren noch die Abwicklungsmodalitäten noch der Einsatzzweck der Waren beim Empfänger lassen einen konkreten Bezug zu terroristischen Zielsetzungen erkennen.“

Dass Darkazanli möglicherweise die Al-Qaida GmbH finanziell betreut hat, hielt die Bundesanwaltschaft nicht für strafbar, denn das Gesetz gegen die Unterstützung von terroristischen Vereinigungen im Ausland gilt erst seit August 2002. So hatte auch Darkazanlis Anwalt Michael Rosenthal argumentiert. In seiner beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung Darkazanlis heißt es: „Für die Zeit vor 2002 fehlt es jedenfalls an der Unterstützung einer inländischen terroristischen Vereinigung. In der Zeit nach 2002 hat der Verfolgte sicher keine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt (§ 129b StGB ist am 30. August 2002 in Kraft getreten).“

Da Darkazanli aufgrund dieser Gesetzeslücke nicht in Deutschland verurteilt werden konnte, verlangte die spanische Justiz erneut die Auslieferung. Jetzt aber griff die Exekutive ein. Bundesjustizministerin Zypries (SPD) lehnte das Ersuchen ab und nannte die Einstellung des Verfahrens in Deutschland ein „zwingendes Bewilligungshindernis“. Mit anderen Worten: Die Gesetzeslücke, die ein Verfahren in Deutschland verhinderte, bewahrte Darkazanli auch vor einem Prozess in Spanien – dank der Bundesjustizministerin. Hamburgs Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) warf ihr deshalb damals vor, „einen wichtigen Terrorverdächtigen vor der Strafverfolgung zu schützen“.

Der Terrorismusexperte Victor Comras sieht in Darkazanli eine wichtige Figur der islamistischen Terrorszene. Comras untersucht seit Jahrzehnten die Finanzierung terroristischer Organisationen und hat im Auftrag des UN-Generalsekretärs die Implementierung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen gegen Al-Qaida überwacht. Gegenüber Lizas Welt sagte er: „Herr Darkazanli ist von den USA und dem 1267-Komitee der Vereinten Nationen als jemand genannt worden, der direkt an der Finanzierung des Al-Qaida-Terrorismus beteiligt war. Er war – und ist vielleicht immer noch – aktiv involviert in den Erwerb und die Weiterleitung von Geldern an Al-Qaida und ähnlich gesinnte Gruppen.“

Das Problem sei, dass viele Beweismittel vor Gericht nicht verwertet werden könnten, da sie auf geheimdienstlichem Weg beschafft worden seien und die Verteidigung keine Möglichkeit habe, die Informanten vor Gericht zu befragen. Zudem sei es in allen Fällen, in denen es um Geldwäsche oder die Finanzierung von Terrorismus gehe, extrem schwierig, eine strafrechtliche Schuld festzustellen, da man den Fluss des Geldes vom Geber zum endgültigen Empfänger lückenlos rekonstruieren müsse. Die Weigerung der Bundesregierung, Darkazanli an Spanien auszuliefern, sieht Comras als ein Indiz dafür, dass es bei der Umsetzung von europäischen Abkommen zur grenzüberschreitenden Terrorbekämpfung weiterhin Defizite gebe. Und was sagt Darkazanli selbst? Er meint, es gebe „eine große Show, nur weil ich eine Tasse Kaffee bei meinem Freund getrunken habe“.

Heute hat er viel Zeit, in die Al-Quds-Moschee am Hamburger Steindamm zu gehen, wo er auch als Vorbeter tätig ist. Er lebt von Hartz IV, denn seinem früheren Beruf kann er ja nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen, seit die meisten seiner Geschäftspartner im Gefängnis sitzen. Warum hatte Darkazanli mehr Glück als sie? Die New York Times zitierte ihn 2002 mit den Worten: „Natürlich weiß ich, dass gegen mich ermittelt wird – aber Gott sei Dank sind es die deutschen Behörden.“

* Stefan Frank ist freier Journalist und Autor des Buches „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“.

23.1.10

Stern (nicht nur) des Südens



Nebenan, auf dem Weblog Verbrochenes, hat der geschätzte Kollege Bonde aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und eine regelrechte Philippika gegen meinen Lieblingsverein in die Tasten gehackt. Der Zeitpunkt ist dabei natürlich kein Zufall: Heute spielen seine Bremer gegen die Bayern; fünf Stück würden die Gäste aus München bekommen, hatte er mir in einer E-Mail vollmundig angekündigt, woraufhin sich zwischen uns ein über Twitter ausgetragener kleiner, angenehm unfairer Battle entwickelte. Möglicherweise war es das, was ihn zu seiner unerhörten Tirade motiviert hat; vielleicht wollte er sich aber auch einfach nur für den Fall absichern, dass sein recht gewagter Tipp am Ende in die Hose geht.

Gleichwie: Bonde mag den FC Bayern nicht, und dafür bringt er eine Reihe von Gründen vor: Der Klub habe sich beispielsweise „an die deutsche Industrie verkauft“ und sei so zu einer „Institution für Werbung und Marketing“ mutiert. Das komplette Personal des Vereins sei zutiefst unsympathisch und politisch bedenklich; der Bayern-Vorstand verleide mit allerlei Schikanen den Gästefans außerdem nachhaltig den Besuch des Münchner Stadions. Die vermeintlich linken Ultras von der „Schickeria“ träten in Wahrheit als „arrogante Prollbewegung“ auf, und das übrige, eventorientierte Publikum in der Allianz-Arena zerstöre den Traum, „dass im Fußball und unter seinen Zuschauern irgendetwas zu erleben wäre, was es anderswo nicht gibt“ und „dass im Fußballumfeld vielleicht etwas gesellschaftlich Relevantes entstehen könnte“. Kurzum: Wer es mit diesem Verein hält, kann eigentlich nicht mehr alle Latten am Zaun haben.

Die ganze Suada ist eine etwas eigenartige Mischung aus einer Kritik der politischen Ökonomie, moralinschwangerem Hadern, Soziologismus und allerlei Befindlichkeiten. Im Gegensatz zu den handelsüblichen Abneigungen gegen den deutschen Rekordmeister ist sie zwar frei von jedwedem Ressentiment, bleibt aber in einem seltsamen Romantizismus gefangen und kommt – form follows function – in einem nörgeligen Ton daher, der so gar nicht zu den sonst so leichtfüßigen Polemiken des Autors passen will. Aber gut: Die Welt ist schlecht eingerichtet und Werder Bremen nur Sechster mit reichlich Rückstand auf die Spitze, da muss dann zur Not auch mal Ivica Olics unfairer Einsatz gegen Per Mertesacker als Beleg für die Schlechtigkeit der Bayern herhalten, selbst wenn es nicht lange zurückliegt, dass der Bremer Torwart Tim Wiese eben diesem Olic fast den Kopf abgetreten hat und dafür von Bonde gefeiert wurde.

Ein weiterer Grund, die Bayern nicht zu mögen, sei es, dass der Klub mit der Veräußerung von Anteilsscheinen an die Firmen Adidas-Salomon (zehn Prozent) und Audi (neun Prozent) eine Grenze überschritten habe und „gekippt“ sei wie zuvor schon der VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen: von einem Verein, der für Geld Werbung mache, damit er erfolgreich Fußball spielen könne, zu einem Konzern, der einen Verein kaufe, der dann für ihn Werbung mache. Habe ich da etwas verpasst? Hält der FC Bayern München e.V. nicht mehr die Mehrheit der Anteile an der FC Bayern München AG? Ist nicht mehr Karl-Heinz Rummenigge deren Vorstandsvorsitzender, sondern Herbert Hainer oder Rupert Stadler? Und worin genau besteht eigentlich das Problem, sich solche Finanzquellen zu erschließen? Der Profifußball ist seit mindestens zwanzig Jahren ein lohnendes Marktsegment und damit einer Durchkapitalisierung unterworfen, die sich die ihr entsprechenden Organisationsformen gibt. Werder Bremen ist übrigens eine GmbH & Co. KGaA. Das ist natürlich etwas völlig anderes.

Dabei stellt sich der FC Bayern lediglich etwas geschickter an als seine Konkurrenten, und er konnte beizeiten auch auf eine bessere Infrastruktur zurückgreifen: Das große Olympiastadion etwa sorgte ab 1972 für höhere Einnahmen bei den Spielen, und das Management hatte ein feines Gespür für die Möglichkeiten finanzieller Akquise. Als erster deutscher Fußballklub dehnten die Münchner zudem ihre Werbung um Fans, Mitglieder und Sympathisanten auf das gesamte Bundesgebiet aus und brachen damit die so eherne wie abstoßende Regel, dass man gefälligst seine autochthonen Wurzeln zu bedenken und als Kölner zum „Eff-Zeh“ zu halten hat – oder als Bremer eben zum SV Werder. Darüber hinaus erschlossen sie sich durch ein innovatives Merchandising weitere Geldquellen. Das so gewonnene Kapital wurde akkumuliert und reinvestiert, nämlich in Beine und Steine. Daran ist nichts Ehrenrühriges.

Proletenromantik, ein Blut-Schweiß-und-Tränen-Ideal und eine volksgemeinschaftliche Vereinsidylle hingegen gab es beim FC Bayern glücklicherweise zu keiner Zeit; seit seiner Gründung war er ein bürgerlicher, metropolitaner und liberaler Klub, der sich stets international orientierte und dem das Motto „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ erfreulich fremd war. Die Nazis schmähten ihn als „Judenklub“, stoppten seinen sportlichen Aufstieg jäh (während Werder gleichzeitig vier Gaumeisterschaften gewann) und sperrten seinen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer ins Konzentrationslager Dachau, von wo aus er ins Exil flüchtete. Die Ultras von der „Schickeria“, jene laut Bonde „arrogante Prollbewegung“, richten übrigens jährlich ein Fan-Fußballturnier aus, dessen Siegerpokal nach Landauer benannt ist.

Der Rest von Bondes Anwürfen: geschenkt. Wer mehr auf hemdsärmelige Sozialdemokraten steht als auf vermeintlich oder tatsächlich reaktionäre Kleinbürger, ist bei Allofs und Schaaf sicher besser aufgehoben als bei Hoeneß und Rummenigge; ein Unterschied ums Ganze ist das allerdings ganz gewiss nicht. Der Disziplinfanatiker mit den deutschen Sekundärtugenden namens Felix Magath wiederum war bekanntlich nicht nur bei den Bayern, sondern auch bei den Bremern unter Vertrag – bloß mit geringerem Erfolg – und scheidet als Argument gegen die Münchner somit aus. Das Publikum in der Allianz-Arena mag eventgeil sein; im Weserstadion ist es einfach nur stinklangweilig. Außerdem hat die demonstrative Penetranz, mit der sich ganz Bremen bei Heimspielen in eine einzige provinzielle Pro-Werder-Bewegung verwandelt, fast schon etwas Dörflich-Totalitäres. Dass in diesem Fußballumfeld „vielleicht etwas gesellschaftlich Relevantes entstehen könnte“, wie Bonde es ausdrückt, möchte ich lieber nicht hoffen. Und wer von Torsten Frings nicht reden will, sollte von Mark van Bommel besser schweigen.

Bleibt die von Bonde gestellte Frage nach dem „Wie kann man nur“. Ja, wie kann man nur Bayernfan sein? Als Kind bin ich es womöglich deshalb geworden, weil ich für mein Alter zu klein war, rote Haare hatte und mir montags nicht noch die Häme meiner Mitschüler zuziehen wollte, wenn mein Lieblingsverein schon wieder verloren hatte. Ich hätte es wie der Rest mit dem 1. FC Köln halten können, aber ich habe es kalt lächelnd vorgezogen, mich dafür anfeinden zu lassen, dass der von mir favorisierte Klub erfolgreicher ist als die Geißböcke. Im Übrigen hat die Kulturindustrie nun mal eine Menge Kompensationsmöglichkeiten für den schnöden Alltag hervorgebracht, und Bayern München gehört definitiv nicht zu ihren schlechtesten Angeboten. Außerdem bin ich froh, wenigstens eine Leidenschaft zu haben, die mein Leben seit mehreren Jahrzehnten begleitet und ihm auf diese Weise so etwas wie Kontinuität verleiht. Daran ändert weder der Verkauf von Anteilen des Vereins an Konzerne etwas noch ein Personal, bei dem ein Werderfan den Daumen senkt. Und selbst wenn wir heute Nachmittag tatsächlich fünf Stück kriegen sollten, wird das allenfalls eine Momentaufnahme sein.

18.1.10

Befreiung auf der Bühne



Wenn ein Theaterstück, das die „schicksalhafte Verbindung“ junger Erwachsener aus Deutschland, den palästinensischen Gebieten und Israel zum Thema hat, in der deutschen Presse überschwänglich gelobt wird, muss man als Besucher dieser Inszenierung mit dem Schlimmsten rechnen. Trotzdem hat sich Lea T. Rosgald
die Aufführung in Dessau für Lizas Welt angesehen.

VON LEA T. ROSGALD

„Wir sind längst keine Opfer mehr, sondern in der dritten Generation zu Tätern geworden“ – ein solcher Satz aus dem Mund eines Juden oder einer Jüdin lässt das Herz eines jeden „Israelkritikers“ höher schlagen. Gesagt hat ihn Yael Ronen, die israelische Regisseurin des mit deutschen, arabischen und israelischen Schauspielern bestückten Bühnenwerks „Die dritte Generation“, in einem Interview mit der taz. Der Holocaust werde von der israelischen Politik instrumentalisiert, behauptete Ronen darüber hinaus – und wurde dafür von der Tageszeitung, der Henryk M. Broder einmal das Prädikat „Kreuzberger Kinderstürmer“ verlieh, denn auch gelobt: Sie gehöre zu jener Generation von Israelis, die erkannt habe, „dass es gerade das sture, alles rechtfertigende Beharren auf dem eigenen Opferstatus ist, das den Kreislauf der Gewalt auf beiden Seiten immer wieder mit mörderischer blinder Wut anfüttert“. Applaus gab es auch im Neuen Deutschland; dort begeisterte sich Christoph Funke über den „Slapstick“ der Schauspieler, die „frisch und frech die Belastungen im Verhältnis der drei Nationen Deutschland, Israel, Palästina“ darstellten, und die Berliner Morgenpost jubelte, „die Stereotypen der beliebten Opfer- und verordneten Täterrollen“ würden „aberwitzig über den Haufen geworfen“.

Diese Lobeshymnen, soviel sei vorweg genommen, sind berechtigt. Wenn ein deutscher Schauspieler das Stück mit einem Selbstgespräch einleitet, in dem er sich für alle möglichen Dinge entschuldigt, für Banalitäten wie den Holocaust und ärgere Dinge wie das schlechte Wetter, dann feixt das Publikum, weil es weiß, dass es nichts zu entschuldigen gibt. Diese Freude wird nur kurz getrübt, wenn eine der israelischen Schauspielerinnen anklagend fragt, weshalb die Deutschen seinerzeit weggesehen hätten, als Juden erst durchs Dorf getrieben und anschließend ermordet wurden. Denn die Entlastung des ohnehin nicht belasteten deutschen Gewissens folgt auf dem Fuß: Schließlich baue die israelische Regierung „eine schlimme Mauer“, weil „die Israelis nicht wissen wollen, was in den besetzten Gebieten vor sich geht“. Der mögliche Einwand, dass dieser Schutzzaun die Israelis vor dem Terror der palästinensischen Mörderbanden schützt, wird von der Schauspielerin antizipiert und in ihrem Monolog sogleich gekontert: Die Terroristen fänden trotzdem ihren Weg, außerdem sei es „schrecklich, über eine Million Menschen in einem Gefängnis ohne Essen einzusperren“. (Dass eines der dringlichsten gesundheitlichen Probleme der Menschen im Gazastreifen das Übergewicht ist, sei hier nur am Rande erwähnt.) Ähnlich der Eröffnungsrede ihres deutschen Kollegen soll auch der Monolog der Israelin offenbar witzig daherkommen, wenn nach jedem Statement – etwa über die Shoah und die „Nakba“ – die Versicherung angefügt wird, das könne man „überhaupt nicht vergleichen“, wie auch der Holocaust mit dem Völkermord in Ruanda nicht zu vergleichen sei, weil Ruanda ja „ein ganz anderer Kontinent“ sei.

Genozid und tote Juden als Schenkelklopfer, die Israelis als Volk von Tätern – das macht Laune hierzulande, zumal, wenn die Vergangenheit so „frisch und frech“ bewältigt wird, wie es nicht nur das Neue Deutschland gerne hat. In einer anderen Szene begegnet ein palästinensischer „Geist“ seinem israelischen Mörder in Uniform und beteuert ihm gegenüber, er habe damals in Jenin statt einer Handgranate doch nur eine Coladose in den Händen gehalten – wodurch auf die Lüge vom „Massaker in Jenin“ Bezug genommen wird. Anschließend wird die israelische Armee auch noch des Mordes an den Bewohnern des Zoos von Gaza für schuldig befunden, was im Land der Tierfreunde und Judenhasser natürlich besonders gut ankommt. Und schließlich versichert eine Schauspielerin augenzwinkernd, Israel habe die moralischste Armee der Welt; die Soldaten der Zahal täten keiner Fliege etwas zuleide. Da lacht der Theaterbesucher, hat er doch kurz zuvor erfahren, dass Israelis generell „nicht zurechnungsfähig“ und „traumatisiert“ seien – nicht etwa durch den realen Massenmord, sondern durch die eigene Regierung, die doch tatsächlich Erinnerungsfahrten für israelische Schulklassen nach Auschwitz organisiert, was für die Schauspieler Anlass zu einem mit der Gitarre begleiteten Liedchen ist: „Don’t stop sending us to Auschwitz, so Auschwitz could never happen again“, trällert es fröhlich von der Bühne, und die deutschen Zuschauer sind entzückt.

Bemerkenswert ist der Zuruf einer israelischen Darstellerin an ihre Kollegen, mit dem Stück werde lediglich der Wunsch der Deutschen nach jüdischen Tätern zum Zwecke der eigenen Entlastung erfüllt; die Deutschen liebten die Juden aber dennoch nicht. Diese ausgesprochene – und gerade dadurch dementierte – Wahrheit ist allerdings augenscheinlich nicht das Resultat einer kritischen Reflexion der eigenen Darbietung, sondern eher der ins Stück integrierte Vorwurf, der den Schauspielern in Israel begegnete und sowohl ihnen als auch dem Publikum so absurd erscheint, dass über ihn nicht weiter nachgedacht werden muss. In der sich kürzlich in Dessau an die Aufführung anschließenden Diskussionsrunde, die ihren Namen nicht verdiente, marschierten die Künstler, das Publikum und der Moderator Andreas Montag – Kulturredakteur bei der notorisch „israelkritischen“ Mitteldeutschen Zeitung und also schon von Berufs wegen Liebhaber der „Dritten Generation“ – denn auch im Gleichschritt zum Dreiklang Antizionismus, deutsche Vergangenheitsbewältigung und palästinensischer Befreiungskampf. Das inszenierte Rebellentum, ohne das kein antizionistisches Spektakel auskommt, kulminierte schließlich darin, dass die Schauspieler berichteten, sie hätten vor der Premiere in Israel „Angst vor Tomatenwürfen“ gehabt (die dann aber doch ausblieben) und sich der „Zensur“ im jüdischen Staat widersetzen müssen – die das Ensemble in dem schlichten Umstand zu erkennen glaubte, dass das israelische Außenministerium ihnen die Co-Finanzierung des Stückes versagte.

„Provozierend“, „verstörend“, „revolutionär“ gar, wie es in den Jubelorgien über die Aufführung zu lesen war, ist in „Dritte Generation“ jedenfalls gar nichts. Vielmehr handelt es sich um eine konformistische Revolte auf der Theaterbühne, in der die Schauspieler mit dem Publikum in antizionistischer Sehnsucht gemeinsam aufgehen und die „letztendlich befreiend“ wirkt, wie die Berliner Morgenpost frohlockte, um zu ergänzen, das Stück sei „eine Option auf die Zukunft“ – was angesichts der Darbietung unbedingt als Drohung verstanden werden muss.

Das Foto zeigt einen Ausschnitt aus dem Theaterstück „Die dritte Generation“. Hier reißt der deutsche Schauspieler Niels Bormann das Publikum zu Beifallsstürmen hin.

5.1.10

Hurra, wir fraternisieren!



Kennen Sie den? Unterhalten sich zwei Alzheimerpatienten. Fragt der eine: „Sag mal, weißt du, was ein Déjà-vu ist?“ Sagt der andere: „Keine Ahnung, aber mir ist so, als ob mich das schon mal jemand gefragt hätte.“ Der Witz passt ganz gut zu alledem, was sich seit dem Attentatsversuch auf den dänischen Zeichner Kurt Westergaard so in den Medien abgespielt hat: Irgendwie wird man den Einruck nicht los, etliche beschwichtigende und also verharmlosende Kommentare schon einmal gehört oder gelesen zu haben – vor ziemlich genau vier Jahren nämlich, während des „Karikaturenstreits“ –, und irgendwie scheint es außerdem weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein, dass besonders reizbare Diener des Propheten Mohammed schon in der Vergangenheit zahlreiche Mordaufrufe gegen „Ungläubige“ veröffentlicht und Mordanschläge auf sie verübt haben. Stellvertretend für viele seien hier nur die Fatwa gegen Salman Rushdie (an die Henryk M. Broder, eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen von der unrühmlichen Regel, am vergangenen Samstag erinnert hat), die Hetzjagd auf Ayaan Hirsi Ali sowie die Hinrichtung von Theo van Gogh erwähnt. Und natürlich frühere Attentatspläne gegen Westergaard.

Besonders bemerkenswert ist es, was sich die Süddeutsche Zeitung diesbezüglich in den vergangenen Tagen geleistet hat. Zunächst ließ sie Andrian Kreye, einen ihrer beiden Feuilletonchefs, von der Leine. Dem ist die Causa Rushdie zwar durchaus nicht unbekannt, doch er findet die Analogisierung der islamischen Tötungsverfügung gegen den Autor der „Satanischen Verse“ mit der Attacke des 28jährigen Somaliers auf Westergaard völlig verfehlt: „Man kann ein Werk der Weltliteratur, in dem sich einer der klügsten Schriftsteller unserer Zeit auf kulturgeschichtlich höchstem Niveau mit den religiösen Spannungen seines Heimatlandes Indien auseinandersetzt, nicht mit der plumpen Witzelei eines dänischen Karikaturisten vergleichen.“ Den Vollstreckern Allahs geht dieser – vermeintliche oder tatsächliche – Unterschied allerdings ungefähr so weit am Allerwertesten vorbei, wie Westergaards Wohnort Århus von Mekka entfernt liegt. Das aber ist nun mal entscheidend – und nicht die Einordnung der Werke zweier Kunstschaffender durch einen Feingeist, der in einer Münchner Redaktionsstube sitzt.

Kreye jedoch mag das nicht sehen; ihn beschäftigen ganz andere Fragen: „Was zählt mehr? Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit? Oder der Respekt für religiöse Gefühle?“ Weil aber die einen nun mal so sagen („Meinungsfreiheit!“) und die anderen so („Respekt!“), weil also alles irgendwo furchtbar kompliziert ist, auch und gerade für den Feuilletonboss einer führenden deutschen Tageszeitung, lautet dessen Antwort schließlich „weder noch“: „Es geht vielmehr um die Unfähigkeit des Westens, die immer dringendere Auseinandersetzung mit dem islamischen Kulturkreis und seinen Einfluss auf die moslemische Diaspora auf europäischem Boden realistisch einzuschätzen. Im Westen geht die Wertedebatte prinzipiell davon aus, dass der Wertekanon von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten etwas ist, das der gesamte Rest der Menschheit herbeisehnt.“ Ein Muslim sei „jedoch kein Unterdrückter, der unter einer Diktatur leidet, bis ihn endlich die Flucht oder ein Befreier von seinem Schicksal erlöst“. Denn: „Freiheit und Demokratie sind keineswegs Lebensformen, die in der islamischen Welt als höchste Stufe der menschlichen Entwicklung angesehen werden.“

Das ist das postmoderne anything goes par excellence, das ist der Prototyp des Geschwätzes von den „Narrativen“ und den „Kulturkreisen“, die alle ihre je eigene Wahrheit und Berechtigung haben sollen, das ist lupenreiner Kulturrelativismus, der keine universalistischen Maßstäbe kennt, sondern stattdessen das „emotionale Verhältnis“ der Muslime zur Meinungsfreiheit beschwört und sich verständnisinnig fragt, „was ein Moslem empfindet, wenn ein Ungläubiger“ – ohne Anführungszeichen! – „seinen Glauben beleidigt“, wie es Westergaard getan haben soll. Zwar beeilt sich Kreye zu beteuern, „unsere Grundwerte“ seien „natürlich nicht verhandelbar“, aber nur, um sofort einzuschränken: „Mit Gott allerdings kann man auch nicht debattieren.“ Ganz recht – wer würde es schließlich schon wagen, dem Allmächtigen die Aufklärung entgegenzusetzen und eine Freiheit zum Maßstab zu machen, die zuvörderst die Freiheit von Religion, „Kultur“ und anderen Zumutungen ist und nicht für sie?

Doch das war noch nicht alles, was die Süddeutsche zum versuchten Mord an Kurt Westergaard zu bieten hatte. Einen Tag nach Kreyes Kakophonie hob sie nämlich außerdem eine „Außenansicht von Wolfgang Benz“ ins Blatt, einen Beitrag des Leiters des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung also, auf dessen Agenda zurzeit bekanntlich die unsägliche Gleichsetzung von Antisemitismus und „Islamophobie“ steht. Diese Gleichsetzung führte er nun unter der Überschrift „Hetzer mit Parallelen“ erneut aus, und es wirkt wie ein Hohn auf den 74jährigen dänischen Cartoonisten und seine fünfjährige Enkeltochter – die nur die Flucht in den „Panikraum“ von Westergaards Wohnung davor bewahrte, eine Axt auf ihre Schädel zu bekommen –, wenn Benz Sätze wie diesen von sich gibt: „Derzeit wird der Islam gedanklich mit Extremismus und Terror verbunden, wodurch alle Angehörigen der islamischen Religion und Kultur mit einem Feindbild belegt und diskriminiert werden sollen.“ Als ob es nicht der muslimische Attentäter selbst gewesen wäre, der den Islam „mit Extremismus und Terror verbunden“ hat – und zwar nicht nur gedanklich, sondern überaus handfest.

Für Benz wie für die Süddeutsche hingegen ist nicht die bloß knapp gescheiterte Bluttat eines offenbar zu al-Qaida gehörigen Islamisten das Problem; vielmehr warnen die Zeitung und der Zentrumsleiter einmütig vor den Islamkritikern, die sich ganz ähnlicher Methoden bedienten wie weiland die Antisemiten, und davor, einen „Wertekanon von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten“ gegenüber jenen zu verteidigen, die andere „Lebensformen“ bevorzugen – das heißt, für ihre Gegner nur Todesformen übrig haben. Derlei lässt sich schon nicht mehr als Appeasement qualifizieren, sondern nur noch als Fraternisierung, als faktische Kollaboration mit den Feinden der Freiheit. Hierzulande würfe man einem unmittelbar bedrohten Islamkritiker vermutlich eine linksliberale Tageszeitung in die Wohnung; wie gut, dass die Polizei in Århus andere Maßstäbe verfolgt und deshalb dem Täter – der seine Axt und sein Messer schließlich auf sie richtete, ihr also keine Wahl ließ – nicht mit einer Kerze, sondern mit einer Waffe gegenübertrat.

Das Foto zeigt Westergaards Bungalow – dem Attentäter gelang es, mit seiner Axt in die Wohnung einzudringen; er scheiterte jedoch zum Glück an der Tür zum „Panikraum“, in den sich der Zeichner und seine Enkeltochter geflüchtet hatten.

14.12.09

Regime Change statt Dialog!



Von welchen Kräften wird die „Islamische Republik Iran“ getragen? Welche Gefahren gehen von ihr aus? Und wie kann sie überwunden werden? Diese und viele weitere Fragen hat der iranische Journalist Amir Taheri in einem Buch analysiert. Petra A. Fessel hat es für Lizas Welt gelesen.

VON PETRA A. FESSEL


Im Sommer dieses Jahres hat der in Paris und London lebende iranische Journalist Amir Taheri mit The Persian Night – Iran Under the Khomeinist Revolution eine gründliche Analyse der „Islamischen Republik Iran“ vorgelegt, die in Deutschland bislang jedoch hartnäckig ignoriert worden ist. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass Taheri sich nicht scheut, das seit 30 Jahren in Teheran herrschende Regime das zu nennen, was es seinem Wesen nach ist: faschistisch. In 30 kurzen Essays liefert der Autor, der vor 1979 viele Jahre Chefredakteur der größten iranischen Tageszeitung Kayhan war, keine chronologische historische Abhandlung, sondern widmet sich vorwiegend der khomeinistischen Ideologie und dem auf ihr basierenden politischen System. Bereits die Staatsbezeichnung „Islamische Republik Iran“ offenbart Taheri zufolge eine dreifache Lüge: Das Regime sei weder islamisch noch demokratisch; Khomeini und seinen Anhängern sei die Geschichte und Kultur des Iran zudem nicht nur fremd, sondern sie lehnten sie ihrerseits strikt ab. Während angesichts der letzten beiden Punkte wenig Diskussionsbedarf besteht, wirft die von Taheri bestrittene Bedeutung des Islams für das in Teheran herrschende System zumindest Fragen auf.

Taheris grundlegendes Argument für seine These, die „Islamische Republik“ habe entgegen ihrer Selbstzuschreibung mit dem Islam nichts zu tun, lautet, der Khomeinismus beruhe auf einer extremen Variante der Shia, die ihrerseits wiederum nur von etwas mehr als einem Zehntel der 1,3 Milliarden Muslime auf der Welt geteilt werde. Viele Sunniten erkennten bereits Schiiten nicht als islamisch an und stünden insbesondere den Zwölfer-Schiiten – denen Khomeini und auch der amtierende iranische „Präsident“ Mahmud Ahmadinedjad angehören – äußerst ablehnend gegenüber. Diese Ablehnung beruhe auf Gegenseitigkeit: So dürften Sunniten in der „Islamischen Republik“ beispielsweise keine Moscheen an Orten bauen, an denen sie nicht die Bevölkerungsmehrheit bildeten, was dazu führe, dass es in Teheran keine einzige sunnitische Moschee gebe, obwohl dort drei Millionen Sunniten lebten. Auch höhere Staatsämter blieben Sunniten im Iran ebenso verwehrt wie Juden, Christen und anderen religiösen Minderheiten. Darüber hinaus stünden auch viele Schiiten den Khomeinismus äußerst skeptisch gegenüber, da sie den irakischen Ayatollah Sistani als religiösen Führer betrachteten und das von Khomeini geschaffene und bis zu seinem Tod selbst bekleidete Amt des Obersten Rechtsgelehrten, in dem religiöse und politische Autorität zusammenfielen und für das es keine historische Entsprechung gebe, rigoros ablehnten.

Nicht zuletzt aufgrund solcher und weiterer religiöser und kultureller Unterschiede zwischen der „Islamischen Republik“ und großen Teilen der muslimischen und vor allem arabischen Welt benötigte und benötigt das Regime in Teheran Taheri zufolge einen ideologischen Kitt, um sich als globale islamische Führungsmacht zu legitimieren. Dieses einigende Element stelle der Antisemitismus dar, der für Khomeini und seine Anhänger zum ideologischen Fundament gehört habe, obwohl der Judenhass im Iran bis 1979 vergleichsweise marginal gewesen sei. In Verbindung mit einem ausgeprägten Antiamerikanismus habe das Regime versucht, sich auf diese Weise die Sympathien in der islamischen Welt zu sichern und sich ungeachtet aller Differenzen als deren Fürsprecher zu etablieren. Obwohl diese Strategie bisweilen aufzugehen scheint, sind Spannungen zwischen den im Antisemitismus und Antizionismus vereinten radikalen Islamisten schiitischer und sunnitischer Prägung nicht zu übersehen. So weigern sich etwa die Führer der sunnitischen Hamas, deren Krieg gegen Israel von der „Islamischen Republik“ mit Millionen von Dollar finanziert wird, bei Besuchen in Teheran nach wie vor, gemeinsam mit ihren schiitischen Gastgebern zu beten oder gar dem Khomeini-Schrein zu huldigen.

Umfassend äußert sich Taheri zur Frage der Legitimität des Mullah-Regimes, die nicht nur außerhalb des Iran stark bezweifelt werde, sondern auch und insbesondere im Inneren des Landes. Sei die Revolution von 1979, die Khomeini an die Macht brachte und im Westen von vielen linken Intellektuellen wie etwa Michel Foucault enthusiastisch begrüßt wurde, nur durch ein breites Bündnis aus islamisch-marxistischen, bürgerlichen und religiösen Gegnern des Schahs möglich geworden, so habe sich die Unterstützung des Regimes seitens der iranischen Bevölkerung infolge der unmittelbar nach seiner Errichtung einsetzenden Repression stetig verringert. Als unterdrückte Gegner des Regimes führt Taheri dabei ebenso Arbeiter und Studenten an wie Frauen und religiöse oder ethnische Minderheiten wie die Baha’i, die Zoroastrier, die Kurden und die Belutschen. Auch dem demografischen Faktor spricht Taheri eine wichtige Rolle zu: Fast siebzig Prozent der Iraner seien unter 30 Jahre alt und hätten folglich keine Erinnerungen an den Schah, dafür aber überaus konkrete Erfahrungen mit dem totalitären khomeinistischen System.

Taheri ermöglicht seinen Lesern einen überaus kenntnisreichen Blick auf das konkrete Handeln der „Islamischen Republik Iran“ und der dem Regime zugrunde liegenden Ideologie des Khomeinismus, dessen größte Feinde die Vereinigten Staaten, Juden und Frauen seien. Eine besondere Stärke von The Persian Night liegt dabei darin, dass sich der Autor zwar auch, aber nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig mit dem Atomwaffenprogramm der Mullahs auseinandersetzt. Gerade die schwerpunktmäßige Bezugnahme auf die Unterdrückung verschiedenster Minder- und im Falle der Frauen auch Mehrheiten im Iran sowie die von Taheri ebenfalls dargelegte Förderung des weltweiten Terrorismus durch das Regime verdeutlichen, dass das Atomwaffenprogramm zwar zu einem schnellen und entschlossenen Handeln drängt, die Notwendigkeit, die „Islamische Republik“ zu Fall zu bringen, aber auch unabhängig von deren Streben nach Nuklearwaffen besteht. Bleiben die wiederholt und unverblümt ausgesprochenen Vernichtungsdrohungen Teherans gegenüber Israel daher für sich genommen bereits Grund genug für einen Regime Change, wäre eine iranische Bombe schon allein deswegen mit allen Mitteln zu verhindern, da sie die Standfestigkeit eines faschistischen und terroristischen Regimes auf lange Sicht festigen würde.

Ausführlich diskutiert Taheri deshalb die Frage, wie sich der Westen im Allgemeinen und die Vereinigten Staaten im Speziellen dem Regime gegenüber verhalten sollten. An zahlreichen Beispielen demonstriert er, dass sich das Appeasement gegenüber der „Islamischen Republik“ in Form einseitiger Zugeständnisse oder Vertrauensvorschüsse des Westens in der Vergangenheit stets als zwecklos erwiesen haben und von Teheran lediglich als Zeichen von Schwäche aufgefasst worden sind. In diesem Zusammenhang weist Taheri mit Nachdruck darauf hin, dass das Regime entgegen westlichen Wunschvorstellungen nicht reformierbar und ein grundlegender Wandel in der Politik Teherans daher nicht zu erwarten ist. Folglich sei eine dauerhafte Aufhebung der terroristischen und in naher Zukunft möglicherweise atomaren Bedrohung der freien Welt im Allgemeinen und Israels im Speziellen durch die „Islamische Republik“ nur durch einen Regime Change zu erreichen.

Von diesen Prämissen ausgehend, befasst sich Taheri in den letzten Abschnitten von The Persian Night folgerichtig mit den Voraussetzungen für einen solchen Systemwechsel. Der Kampf der Mullahs gegen die eigene Bevölkerung sowie eine verfehlte Wirtschaftspolitik hätten im Inneren des Landes zwar zu einer stetig zunehmenden Unzufriedenheit mit der „Islamischen Republik“ geführt; dies sei jedoch noch keine hinreichende Bedingung für einen Regime Change. Für einen von den Menschen im Iran ausgehenden und nicht von außerhalb durch Militärgewalt herbeiführten grundlegenden Wechsel müssen Taheri zufolge drei weitere Grundlagen erfüllt sein: Erstens müsse es zu einem weitaus tieferen Riss in der Führung der „Islamischen Republik“ kommen, als dies bislang der Fall sei – eine Entwicklung, die sich seit dem Sommer dieses Jahres (als Taheris Buch bereits erschienen war) erheblich beschleunigt hat. Zweitens müssten die Stützen des Regimes nicht länger gewillt sein, es gegen die Mehrheit der Bevölkerung zu verteidigen. Anzeichen hierfür habe es bereits gegeben, als sich die iranische Armee im Jahr 2006 geweigert habe, Gewerkschaftsstreiks und studentische Demonstrationen niederzuschlagen, weshalb das Regime gezwungen gewesen sei, irreguläre und teilweise aus dem Ausland kommende Kräfte einzusetzen. Vergleichbares war bekanntlich auch nach der Revolte im Anschluss an Ahmadinedjads inszenierte „Wiederwahl“ zu beobachten.

Drittens, so Taheri, bedürften die Menschen im Iran alternativer Moralvorbilder und Inspirationen. Dies sei insofern problematisch, als es zwar eine Reihe exil-iranischer Oppositionsgruppen gebe, von denen jedoch keine für sich genommen in der Lage sei, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln. Hoffnung setzt Taheri diesbezüglich auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, stellt der Iran doch nach den Vereinigten Staaten die zweitmeisten Blogger auf der Welt. Allerdings gilt es hierbei zu bedenken, dass die von manch einem herbeigesehnte „Twitter-Revolution“ im Sommer dieses Jahres an ihre Grenzen stieß, sodass bis auf Weiteres eher von einem ergänzenden denn von einem entscheidenden Einfluss der Technik ausgegangen werden muss.

Obwohl er davon ausgeht, dass das iranische Regime grundsätzlich zu Fall gebracht werden kann, hält Taheri dessen baldiges Ende nicht für wahrscheinlich – eine Prognose, die sich durch die zumindest oberflächliche Normalisierung nach dem wochenlangen Aufstand im Anschluss an die gefälschten „Präsidentschaftswahlen“ im Juni 2009 zu bestätigen scheint. Da die von Taheri genannten Bedingungen für einen Regime Change dabei zum Teil bereits erfüllt zu sein schienen, wäre in diesem Zusammenhang gesondert zu untersuchen, warum die Revolte letztlich nicht in einen Systemwechsel mündete. Dabei müsste ein besonderes Augenmerk auf die Reaktionen des Westens gerichtet werden, der sich nicht dazu durchringen konnte, die Aufständischen zu unterstützen, sondern unbeirrt sein business as usual weiterbetrieb.

Darüber hinaus wäre angesichts des sich schließenden Zeitfensters bezüglich des iranischen Atomwaffenprogramms zu fragen, wie ein Regime Change von außen zumindest begünstigt, wenn nicht gar herbeiführt werden kann. Sich für einen solchen Wechsel auszusprechen und einzusetzen, hält Taheri im Gegensatz zur amtierenden US-Regierung für moralisch geboten und zweckmäßig. Er plädiert für eine Reihe von ökonomischen, diplomatischen und politischen Alternativen, um die erwähnten Voraussetzungen für einen Systemwechsel zu schaffen. Dabei betont Taheri, es sei ebenso möglich wie notwendig, sich zwischen den beiden Polen der in Europa und von der gegenwärtigen US-Regierung bevorzugten Beschwichtigung einerseits und des in den Vereinigten Staaten zumindest von prominenten Außenseitern wie dem ehemaligen UN-Botschafter John Bolton vorgeschlagenen militärischen Vorgehens andererseits zu bewegen.

Zunächst sei diesbezüglich die moralische und politische Klarheit des Westens gefordert, sich unmissverständlich für einen Regime Change auszusprechen, befindet Taheri. Eine Voraussetzung hierfür wiederum sei es, sich über das Wesen des khomeinistischen Regimes und die von ihm ausgehenden Gefahren bewusst zu werden. Es gelte zu erkennen, dass weder in Afghanistan noch im arabisch-israelischen Konflikt bedeutsame Fortschritte erzielt werden könnten, solange die klerikalfaschistische „Islamische Republik“ dies mit allem Nachdruck zu verhindern versuche. Eine eindeutige Position des Westens und vor allem der Vereinigten Staaten würden überdies sowohl die Opposition innerhalb des Iran stärken als auch dessen Nachbarländer ermutigen, sich Teherans Streben nach hegemonialer Dominanz zu widersetzen.

Zum Ende des Buches hebt Taheri hervor, wie eine auf den Sturz des faschistischen Regimes in Teheran gerichtete US-Politik konkret auszusehen habe: „Den Iranern muss, erstens, unmissverständlich klar gemacht werden, dass die Vereinigten Staaten das gegenwärtige despotische Regime niemals unterstützen oder legitimieren werden. Es muss dabei geholfen werden, die repressive Politik, die Menschenrechtsverletzungen, die zügellose Korruption und die schamlose Unterstützung einiger der schlimmsten Terrororganisationen auf der Welt zu enthüllen. Wichtiger und letztlich wohl auch effektiver ist es, zweitens, dass die Vereinigten Staaten ihre gewaltige Bühne nutzen, um den iranischen Kampf für die Freiheit bekannt zu machen.“

Es ist überaus bemerkenswert, dass die tatsächliche Politik der Obama-Regierung, die Taheri zum Zeitpunkt der Fertigstellung seines Buches noch nicht in Gänze vorausahnen konnte, diese beiden Handlungsempfehlungen nicht nur nicht befolgt, sondern in ihr Gegenteil verkehrt: Präsident Obama hat die Legitimität der „Islamischen Republik Iran“ in seiner Ansprache zum persischen Neujahr explizit anerkannt; seine Regierung hat sich zudem deutlich gegen eine auf einen Systemwechsel im Iran hinarbeitende Politik ausgesprochen und die Finanzierung des Iran Human Rights Documentation Center auslaufen lassen. Mit dem letzten Satz von The Persian Night bleibt daher die – gewiss nicht nur, aber auch und vor allem – an den Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009 gerichtete Frage zu stellen: „Seit dem Sturz der Sowjetunion und des Apartheidregimes in Südafrika ist die Freiheit die Hauptsache auf der internationalen Bühne gewesen. Warum also nicht auch im Iran, und warum nicht jetzt?“

Amir Taheri: The Persian Night. Iran under the Khomeinist Revolution. Encounter Books, New York/London 2009. – Ebenfalls lesenswert ist Taheris Buch Morden für Allah. Terrorismus im Auftrag der Mullahs. Droemer/Knaur, München 2000.

9.12.09

Un trionfo storico bavarese



Der Kenner schweigt und genießt. Der wahre Fan wiederum verströmt Adrenalin, als gäbe es kein Morgen. Was für ein formidabler, unvergesslicher Abend!

6.12.09

Das Dilemma der Islamkritik



Der ländliche Kanton Appenzell Innerrhoden war lange Zeit eine Art innerschweizerische Parallelgesellschaft. Denn dort, im Nordosten des eidgenössischen Staates, hatten Frauen bis vor knapp zwanzig Jahren kein Wahlrecht. Verschiedene Volksabstimmungen – an denen ja stets nur Männer teilnehmen durften – brachten über die Jahrzehnte das immer gleiche Ergebnis, mit Mehrheiten von bis zu 95 Prozent: Frauen gehören an den Herd und nicht an die Urne. Selbst als die Schweiz im Februar 1971 als eines der letzten europäischen Länder per Referendum die grundsätzliche Beseitigung dieses Missstands beschloss, blieben die Appenzeller weitere 19 Jahre lang stur – bis sie Ende März 1990 vom Schweizer Bundesgericht dazu gezwungen wurden, den weiblichen Teil der Bevölkerung auch auf kantonaler Ebene wählen zu lassen, was acht Monate später schließlich vollzogen wurde.

Dieses Beispiel zeigt recht eindrucksvoll, dass plebiszitäre Elemente in demokratisch verfassten Staaten nichts per se Gutes sind und dass der ominöse Volkswille eine ziemlich hässliche Veranstaltung sein kann, zumal dann, wenn er elementare Rechte zu gewähren sich weigert. Nun wollte es der Weltgeist so, dass der Kanton Appenzell Innerrhoden auch das deutlichste Ergebnis bei der jüngsten Abstimmung über das Minarettverbot hervorbrachte (bei der es, das ist bei Befürwortern wie Gegnern unstrittig, nicht in erster Linie um die Moscheentürme ging, von denen es in der Schweiz ohnehin nur vier gibt): 71 Prozent der Teilnehmer votierten dort mit „Ja“. Es braucht nicht viel Wagemut, um zu behaupten, dass dieses Resultat wohl kaum deshalb zustande kam, weil die Appenzeller und Innerrhoder besonders erbost über die Frauenunterdrückung im Islam sind. Auch der islamische Hass auf Juden und Homosexuelle wird nicht den Ausschlag gegeben haben, denn in solchen konservativen, ländlichen Gebieten hat man es mit Minderheiten oft selbst nicht so, um es zurückhaltend zu formulieren.

Erheblich wahrscheinlicher ist es da schon, dass die Eingeborenen in den Dörfern oft weniger ein dezidiertes Problem mit dem Islam als politreligiöser Ideologie haben als vielmehr grundsätzliche Ressentiments gegen Fremde pflegen. Überhaupt fand die Verbotsinitiative dort die meiste Zustimmung, wo nur wenige der rund 380.000 Schweizer Muslime leben. Mehr als 90 Prozent von ihnen wohnen in den großen Städten des Landes – und in allen wurde das Minarettverbot mehrheitlich abgelehnt, am deutlichsten im Stadtkanton Genf. Diese Zahlen legen zunächst einmal den Schluss nahe, dass schlechte Erfahrungen mit Muslimen respektive ihrer Weltanschauung nicht der Grund gewesen sind, mit „Ja“ zu stimmen. Umgekehrt bedeutet ein „Nein“ nicht, dass es keine Probleme gibt und der Islam vollkommen harmlos ist; vor allem bei sich progressiv dünkenden Städtern ist die „Toleranz“ genannte kulturrelativistische Verklärung islamischer Zumutungen bisweilen stark ausgeprägt, was das Abstimmungsergebnis in dichter besiedelten Orten wesentlich beeinflusst haben dürfte.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass offenbar eine eher städtische Bevölkerungsgruppe das berühmte Zünglein an der Waage gespielt hat, der man eine Nähe zur Schweizerischen Volkspartei (SVP) – die die Abstimmung maßgeblich initiiert und getragen hat und bei der der Übergang von der Islamkritik zur Fremdenfeindlichkeit fließend ist – sicher nicht unterstellen kann: Analysen zufolge haben viele linke, feministische Frauen ebenfalls mit „Ja“ gestimmt, weil sie, wie die Politikwissenschaftler Regula Stämpfli und Michael Hermann befanden, „ein Zeichen gegen eine Kultur setzen wollten, die sie als autoritär, machohaft und aggressiv empfinden“, und weil sie mit dem Islam vor allem Burka, Sharia, „Ehrenmorde“ und andere Formen der Unterdrückung von Frauen verbänden. Julia Onken, eine der bekanntesten Feministinnen der Schweiz, hatte in einer an 4.000 Frauen verschickten E-Mail sogar ausdrücklich dazu aufgerufen, die Initiative zu unterstützen, obwohl sie von der SVP ins Leben gerufen worden war.

Das alles zeigt ein Dilemma, ja, ein Elend auf: Eine im besten Sinne des Wortes liberale, fortschrittliche Islamkritik fristet noch immer ein Schattendasein, und ihre Vertreterinnen und Vertreter sitzen zudem zwischen allen Stühlen. Denn von den Linken wird schlicht jeder Einwand gegen den Islam unter Rassismusverdacht gestellt und abgelehnt; die Rechten wiederum benutzen die Islamkritik als Ticket für ihre fremdenfeindliche Agenda. Wer auf eine klare Unterscheidung zwischen Kritik und Ressentiment besteht, wird von beiden Seiten dem jeweils anderen Lager zugerechnet. Etliche Kommentare und Reaktionen nach dem Schweizer Volksentscheid machen eine vernunftorientierte Positionierung nicht leichter: Während es aus der islamischen Welt widerwärtige Boykottaufrufe gegen die Schweiz hagelt, die von Linken wie Daniel Cohn-Bendit unterstützt werden, feiern andere das Abstimmungsergebnis, frei nach Leni Riefenstahl, als Triumph des Volkswillens.

Es wäre interessant zu erfahren, aus welchen Gründen immerhin 46 Prozent der Schweizer – das sind trotz der vergleichsweise hohen Abstimmungsbeteiligung immer noch sehr viele – gar nicht erst zum Kreuzchenmachen erschienen sind. Womöglich mochten sich viele von ihnen einfach nicht zwischen zwei schlechten Alternativen entscheiden.

Eine bulgarische Übersetzung dieses Beitrags findet sich auf dem Webportal Либерален Преглед (Liberale Studie): Дилемата на критиката срещу исляма

2.12.09

Thea gegen den Rest der Welt



Als der Düsseldorfer Droste-Verlag den „Ehrenmord“-Krimi von Gabriele Brinkmann plötzlich nicht mehr wollte, witterte der Leda-Verlag in Leer eine Zensurmaßnahme und veröffentlichte das Werk kurzentschlossen. Malte S. Sembten hat es für Lizas Welt gelesen.

VON MALTE S. SEMBTEN

Einst lebten Kriminelle gefährlich. Inzwischen leben Krimischreiber gefährlicher. Das gilt nicht etwa für Henning Mankell, der zwar den Israelis öffentlich den kollektiven Selbstmord empfahl, um den Arabern ihre kollektive Ermordung zu ersparen, aber dennoch keine Todesdrohungen mordwütiger Zionisten erhielt. (Stattdessen sahnte er „für seine engagierte Schilderung des Lebens in Afrika“ den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ab, der für genau das gleiche Verdienst auch Leni Riefenstahl zu Lebzeiten hätte zuerkannt werden können.) Vielmehr wird die Aufmerksamkeit unfriedlicher Zeitgenossen der Bochumer Schriftstellerin Gabriele Brinkmann (Foto) zuteil. Nach dem Presserummel um den Verlagswechsel ihres Kriminalromans Ehre, wem Ehre... landete ihr Name auf einer radikalislamischen Internetseite: Muslime, die ihr Buch nie in der Hand hielten und die ohne den öffentlichkeitswirksamen Rückzieher des ursprünglichen Verlegers niemals von den angeblich darin enthaltenen islamophoben Sakrilegien erfahren hätten, drohen der Autorin und anderen vermeintlichen „Islamhetzern“ mit dem Schwert von „Abu Askar aus Deutschland“. Diese unlängst in einem Djihadistenvideo präsentierte eindrucksvolle Klinge rief im gesamten Abendland Neid hervor, führte aber auch zur Vermutung, es handle sich um ein Schinkenmesser-Requisit aus der Küche des Films The Incredible Shrinking Man.

Doch mögen Abu Askar und die übrigen wichtighuberischen Butzemänner aus den Trainingslagern der Islam-Terroristen auf Youtube auch noch so erheiternd rüberkommen – für die betroffene Autorin dürfte sich der Spaß dabei in Grenzen halten. Wahrscheinlich ist immerhin, dass das kaufmännische Kalkül ihres neuen Verlags, die skandalbedingte überregionale Aufmerksamkeit für den regionalen Krimi werde sich in erhöhtem Bücherabsatz niederschlagen, aufgeht. Sicher ist (dem neuen Verlag sei Dank), dass bereits ein Etappensieger aus der beherzten Romanveröffentlichung hervorging: die Freiheit des Wortes. Schon darum (und weil ein Teil des Erlöses an Solwodi – Solidarität mit Frauen in Not geht) lohnt der Kauf des Buches. Doch lohnt auch die Lektüre?

Ansatzpunkt der Krimihandlung ist ein Drive-by-Shooting in der Bochumer Innenstadt. Aus einem Auto heraus wird auf eine türkische Metzgerei gefeuert. Ein Angestellter des Ladens und eine deutsche Passantin sterben sofort. Eine junge Türkin erliegt ihren Verletzungen auf der Intensivstation. Die Kripo vermutet eine ausländerfeindlichen Neonazi-Anschlag oder einen Krieg zwischen rivalisierenden Kiezkönigen. Verfolgt wird schließlich die vermutete Spur zum russischen Bordellboss. Nur die leitende Kommissarin Thea Zinck ermittelt eigenmächtig in eine politisch unbequeme Richtung. Sie tippt von Anfang an auf einen türkischen ,Ehrenmord‘.

Gleich auf der ersten Seite erweist Gabriele Brinkmann sich als zünftige Krimischreiberin. Ihre Kommissarin führt nämlich die Dienstwaffe im „Holster“ und nicht, wie man bei deutschsprachigen Autoren und Übersetzern häufig liest, im „Halfter“, so, als ginge es um Hufeisenträger statt um Schießeisenträger. Die Trunksucht der daueralkoholisierten Kommissarin lässt auf klassische Genre-Vorbilder schließen. Nein, gemeint sind nicht die Alkis vom ZDF-Kriminaldauerdienst und auch nicht die Psychos mit Dienstausweis vom ARD-Tatort, obwohl gewisse Parallelen nicht von der Hand zu weisen sind.

Vielmehr ist Thea Zinck eine späte und degenerierte Nachfahrin der Privatdetektive aus der amerikanischen Hardboiled-Schule. Zwar weiß sie die Faust nicht zu gebrauchen wie Phil Marlowe, doch wie er verwahrt sie „Notfall-Flachmänner“ in der Schublade ihres Büroschreibtischs und im Handschuhfach ihres Automobils. Anders als Marlowe setzt sie auf Wodka statt auf Whiskey, und im Gegensatz zu ihm bedingt ihr stabil hoher Blutalkoholpegel chronische Ausfallerscheinungen, sodass sie nach erfolgtem Führerscheinentzug ihr Auto nicht mehr selbst steuern darf. Dass sie dennoch von allen Angehörigen der Bochumer Mordkommission die „höchste Quote“ hat, also die höchste Verbrechens-Aufklärungsrate beanspruchen darf, dient als Begründung für die schier unfassbaren Freiheiten, die sie sich während der Dienstausübung und speziell gegenüber ihrem Vorgesetzten Abels herausnehmen kann. Gleichzeitig gemahnt es uns daran, dass uninspirierte Bürokraten und Technokraten niemals Säufer sind, sensible Künstler und andere an der Menschheit leidende Genies hingegen oft.

Um dieses torkelnde Zentralgestirn gruppiert sich weiteres Romanpersonal aus dem Bochumer Polizeipräsidium. Auf der engsten Umlaufbahn kreist Zincks neuer Kriminalassistent Kai Stettner. Wie es spätestens seit Holmes und Watson altbewährter Krimibrauch ist, gibt er als „Sidekick“ das Kontrastbild zur Hauptfigur. Wo Zinck rabiat und rücksichtslos ist, ist er furchtsam und sanft. Wo sie konfrontativ ist, ist er konziliant. Sie glaubt an das Böse, er glaubt an das Gute. Geschmäht als „Helferlein“ der unbeliebten Zinck und verachtet wegen vermeintlicher erwiesener Feigheit, wird Stettner zum Prügelknaben seiner neuen ,Kollegen‘. Dabei erinnern deren Mobbing-Methoden an die brutalen Initiationsriten amerikanischer Studentenverbindungen oder sadistische Erniedrigungsrituale unter Internatsschülern. Ist so etwas an einem deutschen Polizeipräsidium überhaupt denkbar? Vor wenigen Monaten jährten sich nacheinander die Selbstmorde dreier junger, deutscher, von ihren Revierkollegen drangsalierter Polizistinnen zum zehnten Mal. Somit fällt ein überzeugtes ,Nein‘ als Antwort schwer.

Hauptmotor der Feindseligkeiten gegen Stettner ist Horst Schreiber, fett, verschlagen, brutal und feige, das Ekel vom Dienst der Bochumer Mordkommission. Zur unvermeidlichen personellen Konstellation gehören außerdem der Deutsch-Türke vom Dienst, Lothar Özgü, Lieferant interkultureller Kompetenz, sowie Dr. Manfred Abels, der sich schon mittels Doktortitel und Krawatte als der typische selbstgefällige, karrieristische, rückgratlose Vorgesetzte der Beamtenschar outet. Für ihn ist der Mehrfachmord kein Kriminalfall, den es aufzuklären gilt, sondern ein Störfall, der politisch möglichst schmerzlos ad acta gelegt werden muss.

Nebst derlei Figuren erfindet die Autorin Dialoge, die zumindest anfänglich oft hölzern oder abgedroschen ausfallen (Was hält der RTL-Reporter dem zugeknöpften Kripochef entgegen? „Die Bürger haben ein Recht auf Information!“), jedoch im Verlauf flüssiger werden und manchmal sogar Filmreife besitzen (Kotzbrocken Schreiber zu Zincks Ex-Assi Özgü: „Du hast ja auch mal unter der Domina gedient. Was macht die eigentlich mit euch? Beißt die euch gleich am ersten Tag die Pimmel ab und legt die in Wodka ein?“).

Insofern würde alles perfekt zu einem öffentlich-rechtlichen Primetime-Krimiabend passen. Daher überrascht es nicht, dass die Story, ehe sie zur Romanform fand, als Filmstoff bei einem Drehbuchwettbewerb zum neudeutsch benannten Thema „Clash der Kulturen“ eingereicht wurde. Dass sie es nicht auf die Mattscheibe schaffte, überrascht ebenso wenig – und es liegt nicht an Mängeln der Vorlage, sondern an der mangelnden Courage der Produzenten.

Das Gegensatzpaar Thea Zinck/Kai Stettner personifiziert nämlich ohne politisch korrekte Zurückhaltung den Kontrast ,Islam- und Türkenfeind‘ auf der einen und ,ahnungsloser Gutmensch‘ auf der anderen Seite. Vermutlich würden Verlag und Autorin diesen ,Vorwurf‘ gegen ihre Kommissarin zurückweisen. Doch Tatsache ist, dass Stettner bestürzt und erschrocken erkennt, dass seine neue Vorgesetzte ein lückenloses Kompendium aller gängigen Vorurteile (oder – je nach Standpunkt – begründeten Vorbehalte) gegen den Islam und türkische Einwanderer verkörpert; auch und gerade in Bezug auf die Frauenrolle im Islam und im türkischen Patriarchat. Aber nicht nur im Denken, sondern auch in Rede und Auftritt stellt Thea Zinck geradezu die Inkarnation politischer Unkorrektheit dar.

Zugleich repräsentiert diese anstößige und respektlose Kommissarin und Anti-Multikulturalistin die Stimme, mit der die Autorin selbst spricht. Das merkt der Leser früh. Dieser Kriminalroman will keine Detektivgeschichte, kein ,Whodunnit‘ sein, und so ist nicht zu viel verraten, wenn man vorweg nimmt, dass die von Zinck schon früh verdächtigte türkische Familie den Mord an der eigenen Tochter bzw. der eigenen Schwester tatsächlich begangen hat, und dass es sich tatsächlich um einen so genannten ,Ehrenmord‘ handelt.

Die einzelnen Mitglieder der Ehrenmord-Familie Cetin selbst sind – je nach Sichtweise – Klischeefiguren oder beispielhafte Prototypen eines bestimmten Schlages muslimisch-türkischer Zuwanderer. Die Familie besteht auf Täter- und Mitverschwörerseite (man könnte auch sagen, auf männlicher Seite) aus den folgenden Personen: dem Vater, der – ebenso wie seine fast unsichtbar bleibende Frau – auch nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Deutschland kaum ein Wort Deutsch spricht; aus dem Onkel, dem „Mullah“, der Deutsch radebrecht und als Clanoberhaupt fungiert; schließlich aus den drei Söhnen. Alle drei scheinen vordergründig bestens integriert: Tayfun Cetin, der älteste Bruder, des Deutschen perfekt mächtig, wortgewandt und smart, leitet die Filiale eines Autohauses. Hakan, der Zweitgeborene, spricht ebenfalls ein makelloses Deutsch und besitzt eine Diskothek. Bekir, der jüngste Spross, auch er ohne Defizite im Deutschen, absolviert eine Banklehre.

Gleichzeitig sind alle drei stark in der muslimischen Kultur und in ihren heimatlichen Traditionen verhaftet; die scheinbare Adaption an die Lebensart des Aufnahmelandes erweist sich als ein dünn aufgetragener Lack. Tayfun misshandelt seine Frau und betrügt sie mit einer deutschen „Hure“. Zusammen mit Hakan verübt Tayfun das Metzgerei-Massaker. ,Kollateralschäden‘, ob toter türkischer Ladengehilfe oder tote deutsche Frau, belasten das Gewissen zumindest der beiden älteren Brüder anscheinend wenig. Mit dem Blut bereits dreier Menschen an den Händen prügeln Tayfun und Hakan später noch den deutschen Freund ihrer ermordeten Schwester zu Tode. Nur Bekir, der Jüngste, scheint von Skrupeln geplagt. Als Hobby betreibt das Brüder-Trio Kampfsport in einem türkischen Kickbox-Club.

Auf der Opferseite der Cetins stehen: Yasemin, die einzige Tochter; Leyla, Tayfuns Frau; schließlich Atila, deren Sohn. Die ,Todsünden‘ gegen die Familienehre, deren Yasemin sich schuldig macht: Sie verliebt sich auf der Abendschule in einen Deutschen. Sie verbündet sich heimlich mit Leyla gegen ihren gewalttätigen Gemahl. Sie versucht, ihrer ins Frauenhaus geflohenen Schwägerin Leyla den kleinen Atila zuzuführen.

Bei den Ermittlungen in diesem Umfeld erlebt Kriminalassistent Stettner, dass seine naive gutmenschliche Einstellung schmerzlich auf die Probe gestellt wird. Ihm (und dem Leser) wird die geballte Parallelwelt-Ladung verabreicht – fast kein ,Standard-Aspekt‘ fehlt: Deutsche Frauen fallen auf muslimische Machos rein und zahlen in harter Währung Lehrgeld... Muslime praktizieren ,Taqquyia‘ (ein religiös legitimiertes Belügen von ,Ungläubigen‘)... Muslimische Mädchen haben Analsex, um ihr Jungfernhäutchen intakt zu halten... Muslime spielen ständig und erpresserisch die „Rassismus-Karte“... Muslimische Immigranten verweigern der deutschen Polizei die zivile Mithilfe bei Ermittlungen in ihren eigenen Milieus; wenn in ihren Milieus Festnahmen erfolgen, rotten Muslime sich drohend gegen die Beamten zusammen... Özgü, der Deutsch-Türke, der loyal das deutsche Gesetz vertritt, wird in bestimmten Türkenkreisen als Verräter verachtet. Und so weiter, und so fort.

Selbstverständlich gibt es im Sinne des Ausgleichs und um den Einruck vorurteilsvoller Einseitigkeit zu vermeiden zwei Versöhnlichkeitscharaktere, die als Gegenbeispiel dienen. Dies sind Sevgi, Stettners Friseurin, das Musterbild einer modernen, ,in Deutschland angekommenen‘ jungen Türkin, und natürlich Lothar Özgü, der ruhige, zurückhaltende Kriminalpolizist mit der deutschen Mutter und dem türkischen Vater. Ein Sympathieträger unter den Nebenfiguren, der mit Zincks Einstellung oftmals Schwierigkeiten hat. Man ahnt, warum er trotz ihres gegenseitigen Respekts der ehemalige Assistent der Kommissarin ist.

In Zincks Charakter indessen wird ein sonderbarer Bruch offensichtlich: So rigoros sie ihr anstößiges Alltagsgebaren und ihre offensiven Überzeugungen in Bezug auf Muslime und speziell die muslimische Frauenfeindlichkeit pflegt, so elastisch ist der Maßstab, den sie an die Frauenverachtung eines Bordelliers anlegt. Slawa, der russische Kiezkönig und Puff-Pate, der bei der Kripo als Auftraggeber des Metzgerei-Massakers in Verdacht steht, ist schon seit Langem ihr Saufkumpan. Regelmäßig lässt sie sich von ihm im Privatseparee seines Etablissements unter den Tisch bechern. Dass er sich in seinem Reich nicht gerade als Frauenversteher geriert, perlt an ihr ab:
[Zinck:] „Dein Frauenbild ist zum Kotzen, grundsätzlich. Wenn das einer mit deinen Töchtern machen würde...?“
[Slawa:] „Wäre er morgen tot.“ Er deutete mit dem Kopf auf Grischa und Sascha, die am anderen Ende des Tresens saßen. „Hm... nein, am selben Tag, fürchte ich.“
Die Kommissarin kippte ihren Wodka herunter. „Und was würdest du mit deinen Töchtern machen?“

„Ich nehme ihnen die Kreditkarten weg.“ Er hob sein Glas. „Prost, Thea. Auf die Frauen.“

Die beiden stießen miteinander an und leerten ihre Gläser.

Durch den Boden eines Wodkaglases betrachtet, entfalten Chauvinismus und Frauenverachtung urplötzlich einen rauen Charme. Zu allem Überfluss dichtet die Romanverfasserin dem Russenboss und seinen Handlangern im Laufe des Geschehens eine kitschige Gangster-Ehre an. Falls diese den romantischen Kontrast zur perversen Familien-Ehre der Cetins abgeben soll, wäre das nicht nur falsch, sondern verlogen.

Was immer diese Kiezrussen an der Kommissarin finden, bleibt als Frage offen. Um ihnen geschäftlich zu nutzen, ist Zinck nicht korrupt genug. Dennoch hat „Madame Thea“, wie sie von Slawas Gorilla-/Schläger-/Killer-Gespann respekt- und zuneigungsvoll genannt wird, bei Slawa und den beiden Jungs einen dicken Stein im Brett. Dass zwei Typen dieses Kalibers eine alkoholkranke deutsche Polizistin Mitte fünfzig – die sie nach jeder Saufniederlage im Bordell als stinkendes, wankendes und lallendes Wrack nach Hause bringen und oft auch noch ins Bett verfrachten müssen – hochachten und in ihre großen russischen Herzen schließen, lässt sich schwer glauben. Aber die russische Seele ist ja bekanntermaßen unergründlich.

Ein zweiter hervorgehobener Kritikpunkt betrifft Zincks Assistenten Kai Stettner. Als einziger Polizist des Romans gewährt er dem Leser eine gewisse Anteilnahme an seinem Privatleben, was darauf schließen lässt, dass Stettner die eigentliche Sympathie- und Identifikationsgestalt des Romans darstellen soll. Dummerweise hat das offenbarte Privatproblem Stettners – ein demenzkranker Vater, der in seinem Heim nicht zurechtkommt – nichts mit der Romanhandlung oder Stettners Charakterentwicklung zu tun, außer dass Stettner dadurch von der Ermittlungsarbeit abgelenkt wird. Diese Romanabschnitte sind schlicht überflüssig.

Es dauert einige Seiten, bis der Roman stilistisch in Fluss kommt, dann jedoch erweist die Autorin sich als souveräne Erzählerin. Die Lesespannung hält trotz der Vorhersehbarkeit bis zum Ende an.

Apropos: Der Gutachter des Landeskriminalamts, bei dem der ursprüngliche Verleger in seiner Gewissensnot um Rat ersuchte, legt, wie die Autorin zu berichten weiß, in seiner Expertise dem „kritischen Leser“ die „sorgfältige Lektüre bis zum Schluss des Buches“ nahe, auch weil das Ende „so sehr aufwühlend“ sei. Tatsächlich: Der letzte Absatz der Geschichte trifft den Leser wie ein Schuss, der sich aus einer noch rauchenden, aber bereits gesicherten Pistole löst.

Das ist dann abermals filmreif.

W. W. Domsky: Ehre, wem Ehre... Taschenbuch, 253 Seiten, 9,90 Euro. Leda-Verlag, Leer 2009. ISBN 978-3-939689-33-1

Foto: © privat

1.12.09

„Es roch nach Zensur“

Anfang Oktober gab es in den Feuilletons einigen Wirbel um einen „Ehrenmord“-Krimi, den der Düsseldorfer Droste-Verlag kurz vor der Drucklegung aus dem Programm genommen hatte. Zur Begründung ließ der Verlagsleiter Felix Droste seinerzeit verlautbaren, er verlege „keine Bücher, die die Gefühle einiger Mitmenschen verletzen“ – schon gar nicht die Gefühle jener, die „die Sicherheit meiner Mitarbeiter oder meiner Familie beeinträchtigen könnten“. Zwar gab es noch nicht einmal konkrete Drohungen seitens empörter Muslime, doch Droste blieb bei seinem Entschluss, den Kriminalroman nicht zu veröffentlichen. Mehr noch: In einem taz-Interview behauptete er, das Werk sei „in einigen Passagen ausländerfeindlich“ und eine Beleidigung des Islam; es laufe „einem kalt den Rücken herunter, wenn man es liest“. Diese Worte sprach Droste, wohlgemerkt, nachdem er das Manuskript bis auf drei kleine Stellen, die seine langjährige Autorin Gabriele Brinkmann ändern sollte, aber nicht wollte, längst durchgewinkt hatte.

Brinkmann wartete nach der kurzfristigen Absage „auf den ersten demokratischen Verleger, der mich anruft und sagt: Ich werde nicht in vorauseilendem Gehorsam Bücher einstellen“. Lange musste sie nicht ausharren, denn der Leda-Verlag mit Sitz im ostfriesischen Leer erklärte sich kurzerhand bereit, den Krimi unter dem neuen Titel „Ehre, wem Ehre...“ ins Programm zu nehmen; pünktlich zur Frankfurter Buchmesse war er schließlich lieferbar. Seine Lektüre lohnt sich, wie eine Rezension deutlich macht, die am kommenden Donnerstag auf diesem Weblog erscheinen wird. Zuvor erklärt die Leiterin des Leda-Verlags, Heike Gerdes (Foto), im Interview mit Lizas Welt, warum sie das Buch publiziert hat, welche Resonanz es bislang gab und wie sie mit unerwünschtem Beifall umgeht.

Lizas Welt: Haben Sie schon Morddrohungen bekommen, Frau Gerdes?

Heike Gerdes: Nein. Im Gegenteil war die Resonanz bislang ausschließlich positiv; Kollegen, Medien und Politiker haben unseren Entschluss ausdrücklich begrüßt. Auch unser Standnachbar auf der Frankfurter Buchmesse, ein Syrer, fand die Geschichte gut. Er hat viele muslimische Messebesucher auf sie aufmerksam gemacht, und von denen kam ebenfalls ein zustimmendes Echo. Was zeigt, dass mitnichten alle Muslime gleich beleidigt reagieren, wenn man Probleme thematisiert, die mit dem Islam zusammenhängen.

Hatten Sie wirklich keine Angst? Immerhin ist die Krimi-Kommissarin nicht gerade zart besaitet und geht mit dem Islam ziemlich hart ins Gericht.

Nein, wir hatten wirklich keine Angst. Das Buch bietet auch gar keinen Anlass dafür, zumal andere Romanfiguren die schroffe Kommissarin wieder ausgleichen. Die Polizei war zwar informiert, weil wir es nicht gut gefunden hätten, wenn sie aus den Medien von dem Aufsehen erfährt, während wir auf der Buchmesse sind, und der Bochumer Staatsschutz hat unserer Autorin ungefragt angeboten, sie zu beschützen. Aber das war nicht nötig. Es gab weder Anrufe noch E-Mails oder Briefe, in denen wir beschimpft, beleidigt oder bedroht worden wären.

Was hat Sie bewogen, den Krimi ins Programm des Leda-Verlags zu nehmen?

Der Droste-Verlag hat von der Autorin verlangt, einzelne Passagen zu verändern, und als sie das ablehnte, hat er schließlich von der Veröffentlichung Abstand genommen. Das roch für uns förmlich nach Zensur, und da sind wir hellhörig geworden. Wir haben dann das Manuskript angefordert und schnell festgestellt: Das ist zwar ein teilweise harter Krimi, aber ein sehr guter und sehr spannender. Den Vorwurf, er sei stellenweise rassistisch, konnten wir nicht nachvollziehen. Wenn er tatsächlich ausländerfeindlich wäre, hätten wir ihn auch nicht genommen.

Nun wird das Werk aber auch in äußerst rechten Kreisen gelobt. Stört Sie das nicht?

Wir sind schon mehrmals darauf angesprochen worden, aber wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem Beifall von der falschen Seite. Wenn man das Buch richtig liest und versteht, kann man es außerdem gar nicht „rechts“ finden. Es richtet sich gegen die inakzeptable Beschneidung von Freiheitsrechten und gegen die Unterdrückung von Frauen; es greift nicht „die Türken“ oder „den Islam“ an, sondern die Auswüchse einer frauenfeindlichen Einstellung, die sich auf Tradition und Religion beruft, um Männern ihre Macht zu erhalten.

Ein Teil des Erlöses geht an den Verein für „Solidarität mit Frauen in Not“ (Solwodi). Was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?

Das war ein Anliegen der Autorin Gabriele Brinkmann. Der Verein hilft Opfern von Sextourismus, Heirats- und Menschenhandel, und es ist auch in unserem Sinne, ihn zu unterstützen. Außerdem wollten wir deutlich machen, dass es uns nicht darum geht, von einem Skandal finanziell zu profitieren.

Dennoch sei die Frage erlaubt: Schlägt sich die positive Resonanz auch in den Verkaufszahlen nieder?

Ja, eindeutig. Wir hatten in aller Eile eine Startauflage von 2.000 Exemplaren drucken lassen – für einen kleinen Verlag ist das eine ganze Menge –, die innerhalb von zwei Wochen ausverkauft war. Die zweite Auflage ist inzwischen ausgeliefert. Wir sind zufrieden, aber jetzt, wo das Buch nicht mehr so im Mittelpunkt steht wie zu Beginn, muss sich zeigen, dass es mehr ist als ein Skandälchen, sondern ein guter Krimi, nicht mehr und nicht weniger. Und ob es das Zeug zum Longseller hat.
Foto: © Leda-Verlag

20.11.09

Shoa-Chic



Für Altkanzler Gerhard Schröder sollte das Holocaust-Mahnmal ein Ort werden, „an den man gerne geht“. Der Publizist Hannes Stein hingegen fand: „Nicht 2.000 stilisierte Grabsteine hätten in Berlin zu stehen, sondern 2.000 Galgen, wie sie nach den Nürnberger Prozessen Verwendung fanden, meinetwegen hübsch in Messing gegossen. Und unter jedem von ihnen müsste eine Plakette mit dem ausführlichen und exemplarischen Lebenslauf eines jener Massenmörder angebracht sein, wie sie nach dem Krieg zu Tausenden ungestraft herumliefen.“ Wie Recht Stein doch hatte!

VON THOMAS VON DER OSTEN-SACKEN

Die Zeiten, als man mit Zahngold und Kopfhaar ermordeter Juden ein nicht unbeträchtliches Zubrot verdienen konnte, sind glücklicherweise vorbei. Aber mit toten Juden lässt sich auch dieser Tage gutes Geld machen, wie die Novemberausgabe des Bordmagazins von Easyjet eindrücklich zeigt. Für die peppige Präsentation neuester Mode an Berliner Lokalitäten, die dem Leser sogar schon auf der Titelseite – unter dem Motto „Reviving the Bauhaus Zeitgeist“ – ans Herz gelegt wird, posieren die Models mit Vorliebe in den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin.

Offenbar aber hat das bislang keinen der in den Urlaub jettenden Fluggäste der Billigairline weiter gestört. Möglichst viele entsprechende E-Mails an Easyjet (Deutsche.Presse@easyJet.com) respektive die Macher des Magazins (easyjet.ads@ink-publishing.com) wären deshalb durchaus angebracht. Und vielleicht lohnte auch bei den Verwaltern des Denkmals die Nachfrage, ob sie derartige Präsentationen generell gestatten.

Auch die in Berlin ansässige Modedesignerin Anuschka Hoevener wäre da zu erwähnen, deren hier präsentiertes Kleid für schlappe 229 Euro zu haben ist.

Update 21. November 2009: Wer sagt’s denn? Easyjet hat die Novemberausgabe des Magazins nun zurückgezogen (und zwar sowohl die Print- als auch die Online-Version), sich für den „Shoa-Chic“ entschuldigt und die Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Bordzeitschrift auf den Prüfstand gestellt. Alles Weitere von Thomas von der Osten-Sacken auf dem WADI-Blog: hier und hier.

17.11.09

Bürger, rechts, Bewegung!



Manche Dinge kann man einfach nicht erfinden:
Bundespräsident Horst Köhler zeichnete zum 20. Jahrestag des Mauerfalls verdiente DDR-Bürgerrechtler mit dem Bundesverdienstkreuz [aus]. Zu den Ausgezeichneten, die am Montag im Bundespräsidialamt eingeladen waren, gehörten der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem zentralen ehemaligen Stasi-Gefängnis, Hubertus Knabe, der Schauspieler Jochen Stern sowie die Frau vom Checkpoint Charlie, Jutta Fleck. Die Regisseurin und Autorin, Freya Klier, sowie der Liedermacher Stephan Krawczyk [Foto], beide Mitbegründer und Symbolfiguren der DDR-Friedensbewegung, begleiteten das Programm musikalisch.

Als Krawczyk vom Bundespräsidenten zum Ende der Veranstaltung gebeten wurde, die Nationalhymne anzustimmen, vergriff dieser sich im dreistrophigen Text. „Deutschland, Deutschland über alles...“ sang der Liedermacher, bis er unterbrochen und darauf aufmerksam gemacht wurde, dass bei der offiziellen deutschen Nationalhymne nur die dritte Strophe des „Liedes der Deutschen“ von Hoffmann von Fallersleben gesungen wird: „Einigkeit und Recht und Freiheit...“. Die ersten beiden Strophen sind zwar nicht verboten, aber – nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus – weitgehend tabuisiert.
Für das, was die Deutsche Presse-Agentur in ihrer Meldung schamhaft als Vergreifen zu beschönigen sich bemüßigt fühlte, gibt es mehrere denkbare Erklärungen. Die unwahrscheinlichste ist, dass Krawczyk irgendjemandem auf den schwarz-rot-goldenen Schlips treten wollte, denn am „verordneten Antifaschismus“ in der DDR fand er als Vorzeigebürgerrechtler nicht nur das Verordnen, sondern auch den Antifaschismus falsch. Schon näher an der Wahrheit dürfte man mit der Vermutung liegen, dass die Stasi dem Barden dermaßen auf die Pelle gerückt ist, dass er seinen Verstand verloren hat. Damit könnte er immerhin mildernde Umstände geltend machen. Womöglich begreift sich Krawczyk aber auch weiterhin als oppositionelles Sprach- respektive Gesangsrohr des Ostens und glaubt, Volkes Stimme besonders öffentlichkeitswirksam zur Geltung bringen zu müssen. In jedem Fall darf die „Symbolfigur der DDR-Friedensbewegung“ (dpa) sich glücklich schätzen, die Erweiterung des deutschen Staatsgebiets in Richtung Maas, Memel, Etsch und Belt nur in der Bundesrepublik gefordert zu haben. Dort bekommt man in einem solchen Fall nämlich bloß einen spontanen und höflichen Kurzlehrgang in Staatsbürgerkunde verabreicht, mehr nicht.

Andererseits muss man Stephan Krawczyk schon wieder dankbar sein: Nach den Ehrungen von Felicia Langer und Henning Mankell hatte sich Horst Köhler eine solche Blamage redlich verdient. Dass sie ausgerechnet bei der Verdienstkreuzverleihung an prominente „Wir sind das Volk“-Deutsche vonstatten ging, ist so eine Laune des Weltgeistes, die passt wie der Arsch auf den Eimer.

15.11.09

Der Professor und sein Prophet



Wenn einem Buch zum Thema Israel hierzulande aus so ziemlich allen politischen Lagern vernehmlich applaudiert wird – von der Frankfurter Rundschau bis zur Jungen Freiheit –, dann kann man mit einigem Recht davon ausgehen, dass der Autor des entsprechenden Werkes den postnazistischen, von Judenhassern zu „Israelkritikern“ mutierten Deutschen mehrheitlich aus der Seele gesprochen respektive geschrieben hat. Dies umso mehr, wenn es sich beim Verfasser um einen Juden handelt, der darob mit Begeisterung zum Kronzeugen der Anklage gegen den jüdischen Staat befördert wird und hinter dem es sich notfalls bequem in Deckung gehen lässt. Avraham Burg heißt der neueste Liebling der Antizionisten und „Hitler besiegen – warum Israel sich vom Holocaust lösen muss“ die deutsche Ausgabe seiner Schrift, die im Campus-Verlag erschienen ist, dort also, wo bereits Mearsheimers und Walts Tirade gegen die „Israel-Lobby“ ein Zuhause fand.

Burg erzählt seinen Lesern das, was man in Deutschland schon immer wusste: Israel sei geradezu krankhaft auf die Shoa fixiert, gewalttätig und friedensunfähig; wenn es überleben wolle, müsse es dem Zionismus abschwören, auf die staatliche Selbstverteidigung weitgehend verzichten und sich Europa zum Vorbild nehmen. Diesen bizarren Unfug fand sogar das Fritz­-Bauer-Institut in Frankfurt – das es eigentlich besser wissen sollte – so anziehend, dass es Ende Oktober zu einer öffentlichen Veranstaltung mit dem Autor lud und dessen Thesen von Micha Brumlik salvieren ließ. Nun hat Brumlik in der Jüdischen Allgemeinen auch noch eine Rezension von Burgs Buch folgen lassen. Henryk M. Broder über einen Professor und seinen Propheten.


VON HENRYK M. BRODER

Dass Micha Brumlik das neue Buch von Avraham Burg bespricht, hat weniger mit dem Werk als mit Brumlik zu tun. Es ist das Buch, das der Pädagogik-Professor aus Heidelberg gerne selbst geschrieben hätte, wenn ihm eine innere Stimme nicht geraten hätte: „Warte ab, bis es ein anderer macht!“ Denn die Abrechnung mit den „Lebenslügen“ des Zionismus ist das biografische Projekt, das Brumlik seit langem mit Hingabe betreibt, ein finaler Höhepunkt seiner ansonsten mediokren akademischen Karriere, deren demnächst bevorstehendes Ende er mit einem Big Bang zelebrieren möchte. Brumliks persönliche Agenda ist kein Geheimnis, seit er vor ein paar Monaten auf einer Anti-Israel-Demo auf dem Frankfurter Römer gesehen wurde – mit einem schwarzen Luftballon in der Hand und in der Gesellschaft eines Kampfschriften-Verlegers, der sich darauf spezialisiert hat, für seine Kunden den Adolf zu machen. Und wie andere Professoren, deren Geschäftsgrundlage eine Konversion ist, die Wissen und Kompetenz durch formale Zugehörigkeit ersetzen soll, ist auch Brumlik dabei, überzutreten. Musste man zu Heines Zeit dazu den christlichen Glauben annehmen, genügt es heute, sich zum Antizionismus zu bekennen. Der Götzendienst, den der zum Antizionismus konvertierte Jude täglich leisten muss, ist eine Dienstleitung am Publikum, das sich seine eigenen Ressentiments von einem leibhaftigen Juden gerne als koschere Überzeugung bestätigen lassen möchte. Deswegen strömt es „zu Hunderten in seine Vorlesungen“ und hört dem „demagogisch nicht unbegabten Redner“ gebannt zu.

Brumliks Begeisterung für Burg entspricht der Bewunderung, die ein Frankfurter Würstchen für eine richtig dicke Salami empfindet, die es vor ihm in die Auslage eines Metzgerladens geschafft hat. Mehr noch: Burg ist schon da, wo Brumlik noch ankommen möchte: Im Verdauungstrakt des Publikums. Und da reicht der Platz gerade aus, um mit angehaltenem Atem zu schreiben. „Demagogisch nicht unbegabt“ nennt Brumlik Burg, dessen einzige Qualität darin besteht, sein Publikum um den Verstand zu reden, die Haupttugend eines jeden Hochstaplers, der eine fixe Idee geschickt vermarktet, wie Erich von Däniken und Gunther von Hagens. Burgs Konvolut ist ebenso wirr wie inkonsistent, ein Handkäs’ mit Musik, der, um den Gestank zu neutralisieren, mit 4711 verfeinert wurde. Brumlik ist von dieser Mischung so angetan, dass er von einem „nicht immer systematisch gehaltenen, aus autobiografischen Erinnerungen, moralischen Reflexionen, historischen Traktaten und religiösen Bekenntnissen zusammengesetzten“ Text spricht, den er als „epochales Ereignis“ wertet. Epochal! Wie das „Kapital“ von Marx, die „Traumdeutung“ von Freud und Herzls „Judenstaat“. Nur ein wenig durcheinander.

Wenn man von falschen Voraussetzungen ausgeht, kommt man automatisch bei verkehrten Ergebnissen an. Burgs Prämisse, die von Brumlik nicht in Frage gestellt wird, ist die, dass Israels „Fixierung auf den Holocaust“ zu einer „heillosen Verkennung der Realität“ führt und das Land „letztlich unfähig zum Frieden macht“. Nun weiß inzwischen selbst jeder Dortmunder Rentner, der den Genitiv vom Dativ nicht unterscheiden kann, dass Israel irgendwie irgendwas mit dem Holocaust zu tun hat. Zum Beispiel, dass es einen Shoah-Gedenktag gibt, an dem eine Minute lang der öffentliche Verkehr zum Stillstand kommt – zur Erinnerung an die Opfer der Endlösung. Schwer zu erklären, was daran auszusetzen wäre. Im Übrigen ist Israel weit weniger auf den Holocaust „fixiert“ als beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland, wo beinahe alles, vom Einsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien bis zu der Käfighaltung von Hühnern, vor dem Hintergrund des Holocaust debattiert wird. Die Israelis dagegen haben genügend aktuelle und substanzielle Probleme, um sich nicht täglich mit dem Völkermord von gestern beschäftigen zu müssen; es reicht ihnen, die Drohungen des iranischen Präsidenten ernst zu nehmen, die im holocaustbegeisterten Deutschland als „Übersetzungsfehler“ verharmlost werden. Was man wiederum auf zweierlei Weise erklären kann. Entweder wollen die Deutschen, berauscht vom eigenen „Sündenstolz“ (Hermann Lübbe), ihr Copyright mit niemand teilen, oder sie hoffen, dass irgendein Irrer den Job zu Ende bringen wird, den die Nazis unvollendet abbrechen mussten.

So ’rum oder so ’rum: Burg liegt mit seiner Analyse jedenfalls so daneben wie ein Abstinenzler, der überall Alkohol riecht. Er ist auf den Holocaust fixiert, ebenso wie Brumlik, der keine Gelegenheit verpasst, über die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft des Holocaust zu dozieren. Darüber hinaus suggeriert Burg – und sein Nachkoster Brumlik schließt sich ihm an –, dass Israels Unfähigkeit zum Frieden für die Situation im Nahen Osten verantwortlich ist, während die Hamas, die Hizbollah und der iranische Präsident ein Friedensangebot nach dem anderen unterbreiten, die Israel in „heilloser Verkennung der Realität“ nicht annehmen mag.

Was Brumlik in diesem Zusammenhang vollkommen unter den Tisch fallen lässt, ist die Tatsache, dass Avraham Burg nicht nur der Sohn von Josef Burg, sondern der Lafontaine der Israelis ist: ein von Rachegelüsten angetriebener, rhetorisch begabter und streckenweise unterhaltsamer Querulant, der es dem Land so heimzahlen möchte wie Oskar der SPD. Auch Burg hatte es relativ weit gebracht; er war Sprecher der Knesset und Chef der Jewish Agency. Dass er plötzlich zum „Zionismuskritiker“ mutierte, hatte mehr private als politische Gründe. Es sei ihm nicht gelungen, so wird in Israel erzählt, seine politischen Positionen in wirtschaftlichen Erfolg umzusetzen. Man habe ihm nicht einmal einen Dienstwagen auf Lebenszeit geben wollen. Und so zog er nach Frankreich und gab jedem Israeli den Rat, seinem Beispiel zu folgen. Es ist also nicht Burgs Absicht, wie von Brumlik kolportiert, sein „Volk, das in den letzten Jahren vom Weg abgekommen ist, wieder auf den Weg zu bringen, den seine Vorfahren und Gründer ihm geebnet haben“ – schon allein ein dermaßen präpotenter Satz müsste alle Alarmsysteme aktivieren –, es ist Avram Burg, der vom Weg abgekommen ist und wieder zurück möchte – auf dem Ticket des „kritischen Israeli“, um einen Platz am Katzentisch der „Israelkritiker“ zu bekommen, ein Prophet, der im eigenen Land nicht gehört wird.

Das ist er in der Tat, aber es gibt Propheten, die haben es nicht besser verdient.

10.11.09

Robert Riese ist tot



Traurig
und sprachlos, deshalb ohne Worte.