Redebeitrag und Flugblatt der AAWE zur Antifademo der AAK am 5. März 2010 – Chemnitz
thank you allies
Wie in Chemnitz kam es auch im Erzgebirge zu berechtigten alliierten Bombenangriffen um den Nationalsozialismus und das Durchhaltevermögen der deutschen Volksgemeinschaft zu zerschlagen. Trotz der ersichtlichen Niederlage der Nazis wurde der Zivilisationsbruch, das Morden an den europäischen Jüdinnen und Juden, akribisch fortgesetzt. Diese Bombardierungen erfolgten kurz vor der Kapitulation Nazideutschlandes, da der Wille zum Endsieg noch immer fester Bestandteil war und sich weiterhin „ganz normale Deutsche“, in jeglicher Form am NS beteiligten, selbst dann noch als die alliierten Truppen weiter unaufhaltsam vorrückten. Die alliierte Strategie, das „moral bombing“ funktionierte immer noch nicht und sollte auch bis zur Kapitulation nicht aufgehen. In Aue fand am 1. Mai 1945 eine öffentliche Kundgebung der NSDAP auf dem heutigen Postplatz statt. „Ich erkläre als Offizier jeden für einen feigen, erbärmlichen Lumpen, der jetzt in Deutschlands schwerster Stunde sich vom deutschen Volk und seiner Führung los sagt.“ So ein Offizier der Wehrmacht zu den Anwesenden. An den Jahrestagen der Bombardements werden lieber Täter_innen zu Opfern verklärt. Ein vermeintlicher Freispruch von Schuld. Dass die alliierten Bombardierungen auf Städte wie Chemnitz, Schneeberg oder Wolkenstein eine logische Konsequenz waren um Deutschland militärisch zu zerschlagen und die Naziopfer zu befreien, bleibt im (öffentlichen) Erinnerungsdiskurs aus. Ein Ausdruck deutschen Unwillens, den Krieg gegen Deutschland als einen antifaschistischen und notwendigen zu erkennen. Wir sehen die Bombenangriffe auf die Volksgemeinschaft und ihre Folgen nicht als Leid, Qual oder Ähnliches. Diese Sichtweise ist nur möglich, wenn aus Täter_innen, die diese Bombardements erst notwendig machten, Opfer werden oder wenn diese Verdrehung fälschlicherweise akzeptiert wird. Auch wenn die Bombardements nicht direkt die Lage der Zwangsarbeiter_innen verbesserten, führten sie dazu, die Barbarei der Deutschen zu beenden. Überlebende der Shoah betrachteten die Luftangriffe unter anderem so: “…jede Detonation ist wie ein Geschenk!” oder „Wir weinten vor Freude, als wir den roten Schein am Himmel sahen. Dresden brennt, die Alliierten sind nicht mehr weit!“ So ein Überlebender des Ghettos Theresienstadt.
Von nichts gewusst?
Hier gab es genauso Pogrome und Verbrechen während der Nazizeit durch gewöhnliche Deutsche, „Hitlers willige Vollstrecker“ wie Goldhagen es niederschrieb. So existierten mehrere Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg zwischen 1943 und April 1945 im Erzgebirge. Darunter auch in Aue, Mülsen St. Micheln und Schönheide, in denen tausende Häftlinge, überwiegend europäische Jüdinnen und Juden, unter Terror und Qualen Zwangsarbeit verrichten mussten. Dass die KZ`s im Ort so existierten und in unmittelbarer Nachbarschaft der Bevölkerung neben der Ausbeutung auch die Vernichtung von KZ-Häftlingen durch Zwangsarbeit und Morden praktiziert wurde, ist umfassend belegt. Es ist unvorstellbar die rollenden Züge nicht wahrgenommen zu haben mit denen die Häftlinge deportiert wurden. Selbst dann als hunderte Zwangsarbeiter_innen im April 1945 Richtung Tschechien gehen mussten, ist nichts darüber bekannt, dass den Häftlingen in irgendeiner Form geholfen wurde. Die einzige Hilfe bekamen sie von einzelnen Zivilarbeiter_innen aus den von den Deutschen besetzen Ländern.
Das Außenlager des KZ Flossenbürg in Venusberg bei Gelenau
Im Jahr 1943 suchten die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke, einer der größten Rüstungskonzerne im Nationalsozialismus, nach geschützten Produktionsstandorten. Mit den in Berlin beschlossenen Verlagerungen, von gefährdeten wichtigen Fertigungsstandorten für die deutsche Kriegsindustrie, wurden die Junkerwerke in der Venusberger Spinnerei, trotz Widerstandes des Eigentümers, eingerichtet. Anfang Januar 1945 wurden die ersten sowjetischen Zwangsarbeiter_innen nach Venusberg und dann in umliegende Ortschaften deportiert.
Damit war das mit Stacheldraht umzäunte Außenlager Venusberg, mit seiner Verlagerungsproduktion, das zuletzt gegründete des KZ Flossenbürg. Mit einem Bahntransport aus dem KZ Ravensbrück kamen 500 ungarische Jüdinnen um den 10. Januar ’45 herum nach Venusberg. Das Alter der Frauen und Mädchen des Transports lag zwischen 14 und 55 Jahren, wobei der Anteil jüngerer Frauen überwog. Die damals 30-jährige Ella L. berichtet, dass ungefähr 100 Frauen in einem Zimmer wohnen mussten. Bewacht wurden die Häftlinge während der Zwangsarbeit von SS-Aufseherinnen. Am 20. Februar, also eine Woche nach den Luftangriffen auf Dresden, wurden weitere 500 Frauen aus dem KZ Bergen Belsen, die zuvor der Hölle von Auschwitz entkommen waren, nach Venusberg deportiert. Medizinische Versorgung gab es praktisch nicht. Die zudem verheerenden hygienischen Zustände wurden durch die Brutalität des SS Kommandanten Dücker und der Oberaufseherin verschärft. Die Frauen wurden sowohl von den Aufseherinnen als auch durch Wachmänner mit Tritten und Peitschenschlägen misshandelt. Mindestens 1000 Jüdinnen mussten unter barbarischen Bedingungen für die deutsche Rüstungsindustrie in den Venuswerken, unter Leitung der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke, arbeiten. Leichen wurden in der Nähe des KZ´s verscharrt, da die Pfarrämter in Drebach und Herold sich weigerten die Toten auf dem Friedhof beizusetzen. Die Lagerleitung hatte stets Angst vor Bombenangriffen, so wurde beispielsweise das komplette Gebäude mit einem Tarnanstrich versehen. Mit dem Vorrücken der alliierten Streitkräfte und dem bevorstehenden Ende des Krieges wurden Mitte April 1945 die Frauen aus dem KZ Venusberg in geschlossenen Viehwaggons abtransportiert. Nach einer fast zweiwöchigen Irrfahrt kamen die Frauen am 4. Mai im KZ Mauthausen an. Mindestens die Hälfte der Frauen starb während des Transports. Die ungarische Jüdin Magda W. beschreibt die Räumung des Lagers mit „Die Frauen starben wie Fliegen, wir fuhren zusammen mit den Leichen.“ Am 5. Mai wurden sie dann von amerikanischen Truppen befreit.
Die Erla-Maschinenwerke und seine Außenlager
Vorläufer dieser war das 1933 gegründete „Eisen- und Flugzeugwerk Erla G.m.b.H.“ im erzgebirgischem Erla. Für den Bau und die Reparatur von Flugzeugen wurde 1934 die „Erla-Maschinenwerk G.m.b.H.“ in Leipzig-Thekla gegründet. Die Straßen, der später gebauten Werkssiedlung, erhielten Namen germanischer Götter. Heute wird diese noch mit ihren Götterstraßennamen als Erla-Siedlung bezeichnet. Erla war hinsichtlich der gebauten Stückzahlen eines der größte Produzenten des Jagdflugzeugs Me 109. Einen Verlagerungsbetrieb unterhielt das Unternehmen in Johanngeorgenstadt. Mehrere KZ Außenlager, die für die Erlawerke produzierten, wurden bis Mitte April 1945 durch das Konzentrationslager Flossenbürg betrieben. So unter anderem in Mülsen St. Micheln, Flöha oder Leipzig-Thekla.
Das Außenlager des KZ Flossenbürg in Johanngeorgenstadt
Am 1. Dezember 1943 wurde das Außenlager errichtet. Es war das erste für Zwecke der Rüstungsindustrie gebaute AL des KZ Flossenbürg. Umgeben von einem stromgeladenen Stacheldrahtzaun und bewacht von anfänglich 40 SS-Männern. Im Spätsommer 1944 kamen Luftwaffensoldaten als Bewacher dazu. Kommandoführer war anfangs Cornelius Schwanner und später dann der SS-Hauptscharführer Gottfried Kolacevic. Ab 3. Dezember mussten dann die ersten 100 KZ-Häftlinge Zwangsarbeit für die „Erla Maschinenwerk GmbH“ leisten. Seit dem 20. Dezember waren es dann 420 Häftlinge, von denen knapp die Hälfte (205) als Facharbeiter_innen abgerechnet wurden. Durch weitere Transporte stieg die Anzahl der Häftlinge im Juni 1944 auf 833. Der Höchststand des Lagers lag im Januar 1945 bei 988 Häftlingen. Von denen waren 400 allein aus der damaligen Sowjetunion. Auch Sinti und Romas aus Tschechien mussten hier Zwangsarbeit leisten. Kranke wurden zurück ins KZ Flössenbürg deportiert. Gearbeitet wurde in zwei Schichten von je zwölf Stunden und in Gruppen von 25 bis 80 Personen. Wer die Normen nicht erfüllte, musste mit Prügelstrafe rechnen. Zum Schneeräumen oder Aufräumarbeiten in der Stadt wurden die Häftlinge ebenfalls gezwungen. Überaus brutal ging die SS bei sogenannten „Vergehen“ der Häftlinge vor. Von drei flüchtenden jugendlichen Häftlingen wurde einer erschossen und einer wieder ergriffen. Dieser wurde dann drei Tage in einen Eisschrank in der Küche eingesperrt und danach auf dem Fabrikhof erhängt. Dabei riss zunächst der Strick, erst beim zweiten Versuch wurde der junge Russe getötet. Über den dritten geflüchteten Häftling ist nichts bekannt. Mindestens 124 weiter Häftlinge wurden ermordet oder starben an Typhus und Tuberkulose. Am 16. April ’45 wurde das Lager geräumt und die Häftlinge auf einen Todesmarsch, kommend aus dem Außenlager Mülsen St. Micheln, in Richtung KZ Theresienstadt getrieben.Über 30 weitere Häftlinge, welche in Schönheide mit anderen auf dem Sportplatz rasteten, mussten sterben. Zuvor wurden von der SS 86 entkräftete Häftlinge des Todesmarsches in Niederschlema ermordet und verscharrt. Die wenigen Überlebenden des Todesmarsches wurden am 8. Mai durch die SS an eine Schweizer Delegation in Theresienstadt übergeben. Die SS-Lagerkommandanten Kolacevic und Schwanner wurde beide 1948 in Landsberg hingerichtet.
mission accomplished?
„Der Kampf um Deutschlands Zukunft und Freiheit geht weiter!“ so die Zeitung „Erzgebirgischer Volksfreund“ vom 3. Mai 1945. Hinsichtlich dessen, dass sich heute weiterhin der Verantwortung, die aus Shoah und Vernichtungskrieg hervorgeht, entzogen und vermeintliches „deutsches Leid“ mit dem der NS-Opfer gleichgesetzt wird, hat dieses Wurstblatt recht gehabt. Eine äußerst bequeme Aufarbeitung der Geschichte für die geläuterten Deutschen. Aufgrund ihrer „Freiheit“ wird nun „nicht trotz sondern wegen Auschwitz“ wieder Krieg geführt. Eine notwendige und kritische Auseinandersetzung bedeute, sich mit der Vergangenheit und individueller Schuld auseinander zu setzten. Aber vor allem heißt dies einen kontinuierlichen Bruch mit der nationalsozialistischen Ideologie und deren Kontinuitäten zu vollziehen. Die „einzige Konsequenz“: ein Bruch mit Deutschland! Somit entfiele damit dann auch die Möglichkeit sich weiterhin positiv auf Deutschland und dessen Ideologie zu beziehen.
Abschließend sei noch eine Ausführung von M. Postone zum europäischen Judentum und dem deutschen Vernichtungsprojekt zitiert: „Militärisch verloren die Nazis den Krieg. Sie gewannen ihren Krieg, ihre „Revolution“ gegen das europäische Judentum. Sie ermordeten nicht nur sechs Millionen jüdische Kinder, Frauen und Männer. Es ist ihnen gelungen, eine Kultur zu zerstören …“
Autonome Antifa Westerzgebirge Februar 2010
Den Redebeitrag zum downloaden gibt es hier.